Pictet | Frankfurt, 10.02.2024.
Investoren können Chancen in den Schwellenländern finden, wenn sie sich auf die Aussichten der Länder für das Wachstum des Humankapitals konzentrieren.
Investoren sind stark auf das Kapital konzentriert – Kapitalvermehrung, Ersatzkapital, Kapitalkosten, Naturkapital und so weiter. Ein weiterer wichtiger Treiber für die langfristige Leistung einer Wirtschaft und damit auch für die Investitionsleistung ist jedoch das Humankapital1, z.B. Lebenserwartung, Bildung, Gleichstellung oder weichere Indikatoren für die Lebensqualität.
Wir sind der Überzeugung, dass Investoren auf der Grundlage der Fülle an Researchinformationen Überrenditen erzielen können, sofern es ihnen gelingt herauszufinden, wo das größte Potenzial für das Wachstum des Humankapitals besteht. Das gilt insbesondere für Investoren in Schwellenländeranleihen.
Es geht aber nicht um Entwicklung um jeden Preis. Der Aufbau von Humankapital muss in einem ökologisch nachhaltigen Rahmen erfolgen, denn eine nicht nachhaltige Entwicklung ist letztlich selbstzerstörerisch, weil sie die Lebensperspektiven künftiger Generationen gefährdet.
Der Faktor Mensch
Das Humankapital kann für sich genommen ein wichtiger Motor für Wirtschaftswachstum sein. Nehmen wir zum Beispiel Singapur, Taiwan und Südkorea, die nicht besonders mit natürlichen Ressourcen gesegnet sind, aber im vergangenen halben Jahrhundert von ganz unten zu den führenden globalen Volkswirtschaften aufgeschlossen haben. Ein großer Teil dieses Fortschritts ist dem enormen Anstieg des Humankapitals in diesen Ländern zu verdanken. Im Gegensatz dazu gibt es Länder mit beträchtlichem natürlichem Reichtum, die dennoch eine schwache und marode Wirtschaft haben, weil sie beim Humankapital schlecht abschneiden.
Bakker et al. haben herausgefunden, dass ein großes Humankapital und eine gute Staatsführung eine entscheidende Rolle bei der Förderung einer hohen totalen Faktorproduktivität (TFP, ein Maß für die Produktivität) in einer Volkswirtschaft spielen.2 Da die TFP einer der wichtigsten Treiber für die Wirtschaftsleistung ist, ist ein hohes Humankapitalniveau der Schlüssel zu einem hohen Pro-Kopf-BIP. Die Bedeutung des Humankapitals für die Produktivität einer Volkswirtschaft ist sowohl theoretisch als auch empirisch durch eine Vielzahl von Studien belegt.
Das gilt für verschiedene Messgrößen des Humankapitals. So zeigt zum Beispiel unsere eigene Analyse, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen den durchschnittlichen PISA-Ergebnissen3 und der TFP gibt. In Ländern, in denen die Lebenserwartung bei der Geburt bezogen auf Frauen signifikant niedriger ist, ist auch die TFP niedriger. Länder, in denen Kinder ein verkümmertes Wachstum aufweisen, also kleiner sind, haben eine niedrigere TFP. Länder mit einer höheren Unterernährungsrate haben eine niedrigere TFP. Länder, in denen ein geringerer Anteil der männlichen und weiblichen Bevölkerung 65 Jahre alt wird, haben eine niedrigere TFP.
Man braucht sich nur die Auswirkungen der Pandemie auf die Perspektiven der Studierenden anzusehen, um zu erkennen, wie bedeutsam selbst mäßige Veränderungen bei der Bildung von Humankapital sein können. Die Weltbank schätzt, dass „Studierende bis zu 10 Prozent ihres zukünftigen Jahreseinkommens durch Covid-bedingte Lernverluste verlieren könnten … das entspricht 17% des heutigen globalen BIP“. 4
Wohlstand von Nationen
Angesichts des Zusammenhangs zwischen Wirtschaftsleistung und Humankapital wird die Entwicklung von Humankapital für die Schwellenländer zu einem wichtigen Treiber für Wachstum, ohne die natürlichen Ressourcen übermäßig zu belasten.
Die wirtschaftliche Entwicklung wurde in der Vergangenheit vor allem durch die industrielle Entwicklung vorangetrieben, die allerdings sehr ressourcenintensiv war. So haben die am stärksten industrialisierten Volkswirtschaften massive kumulative CO2-Schulden angehäuft, weil sie ihre industrielle Entwicklung zunächst mit Kohle und dann mit Öl befeuert haben. Aber das ist nicht das einzige Modell für Wirtschaftswachstum – durch Digitalisierung und moderne Technologie kann die Wirtschaftsleistung auf weitaus weniger ressourcenintensive Weise erzeugt werden kann. Aber die Menschen brauchen auch die Fähigkeiten, um die Vorteile der Spitzentechnologie nutzen zu können, daher ist es wichtig, Humankapital aufzubauen.
In anderen Bereichen der Wirtschaft findet dank der technologischen Innovation bereits eine saubere(re) Entwicklung statt. Nehmen wir als Beispiel die Telekommunikation. Dank Mobilfunktelefonie brauchen weniger entwickelte Länder keine umfangreichen Infrastrukturausgaben mehr zu tätigen, um eine flächendeckende Versorgung zu erreichen. Sie brauchen lediglich ein paar gut platzierte Funkmasten.
Während die am stärksten industrialisierten Länder ein hohes Entwicklungsniveau erreicht haben, aber auf Kosten einer Überschreitung etlicher planetarer Belastungsgrenzen5, verfügen die Schwellenländer über das Potenzial, sich nachhaltig zu entwickeln, indem sie menschliche Produktivität durch Verbesserung des sozialen Fundaments freisetzen.
In einigen Bereichen ist das sehr leicht. Die Verbesserung der Wasserqualität und der sanitären Verhältnisse kann sich sehr positiv auf die Gesundheit auswirken, nicht zuletzt durch die Senkung der Kindersterblichkeit, weil Krankheiten reduziert werden. So einfache und günstige Maßnahmen wie die Verabreichung von Entwurmungstabletten an Kinder verbessern nachweislich die schulischen Leistungen. Bessere Bildung und Qualifikationen – nicht zuletzt von Frauen – sind ein wichtiger Treiber für Produktivitätssteigerungen in einer Volkswirtschaft, ebenso wie die Ermutigung von Frauen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.
Allgemein sind die Verbesserung der Überlebensraten, die höhere Lebenserwartung bei der Geburt und die Verringerung von Unterernährung eine wesentliche Grundlage für den Aufbau von Humankapital. Von da an ist es eine Frage der Bildung: Verbesserung der Einschulungs- und Abschlussraten, Verbesserung der Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz, Steigerung der Zahl der Kinder, die nach der Grundschule eine weiterführende Schule und anschließend eine Hochschule besuchen. Bildung hilft den Menschen, grundlegende Fähigkeiten zu erwerben, was wiederum dazu beiträgt, die Erwerbsquote einer Volkswirtschaft zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit zu senken.
Treiber des Wandels
Ein stabiler Staat mit einer Führung, die sich für die Verbesserung des Wohlergehens der Bevölkerung einsetzt, ist ein wesentlicher Baustein. Groß angelegte Maßnahmen sowohl im Gesundheits- als auch im Bildungswesen hängen von der Ausgabenbereitschaft und der Politik der Regierung ab. Aber der Staat braucht die Unterstützung des Unternehmenssektors. Unternehmen können beim Aufbau von Humankapital helfen, unter anderem durch die Entwicklung von Infrastruktur, finanzielle und digitale Inklusion und Kompetenzförderung.
Der Grad der Entwicklung von Humankapital dient den Managern unserer Schwellenländer-Anleiheportfolios als Orientierung bei ihren Anlageentscheidungen.
Wir sind bestrebt, unsere Investitionen auf die Länder zu konzentrieren, die die größten Fortschritte bei der Beseitigung von Defiziten in der Humanentwicklung machen.
Um die besten Renditechancen für uns als Investoren aufzuspüren, ermitteln wir Bereiche, in denen das Humankapital am meisten wachsen kann. Die Defizite werden anhand einer Reihe von Indikatoren mit definierten Schwellenwerten bewertet, an denen sich die Entwicklung des Humankapitals ablesen lässt und die ermöglichende Unternehmenssektoren zutage bringen. Dies ermöglicht eine regelmäßige Bewertung der staatlichen Maßnahmen und der Ergebnisse in puncto Humankapital, wobei zeitliche Verzögerungen zu berücksichtigen sind – einige Interventionen tragen relativ schnell Früchte, andere brauchen mehrere Jahre. Das bildet die Grundlage für ein investierbares Universum von Ländern und Unternehmen.
Auf dem Markt für Staatsanleihen werden zunächst Entwicklungsdefizite in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Qualifikationen und Anreize ermittelt. Länder, die keine nennenswerten Defizite aufweisen, können ebenso unberücksichtigt gelassen werden wie Länder, die keine Fortschritte beim Abbau ihrer Defizite machen oder die sich nicht an den Grundsatz halten, der Umwelt keinen erheblichen Schaden zuzufügen. Schließlich kann eine Analyse der von den verbleibenden Ländern verfolgten Politik helfen festzustellen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie ihre Entwicklungsrückstände aufholen werden. Dazu werden verschiedene quantitative und qualitative Ansätze angewendet, um die Stärke der politischen Intention und die Ausrichtung an den UN-Nachhaltigkeitszielen und deren politische Umsetzung zu bewerten.
Humankapital ist eine bisher kaum beachtete, aber potenziell lohnende Chance für Investoren.
Ein besonders interessantes Beispiel ist Angola. Auf den ersten Blick weist das Land erhebliche Entwicklungsdefizite auf. Doch auch abgesehen von seinen riesigen Naturreichtümern verfügt es über enormes Potenzial. Zum einen hat das Land eine der höchsten Geburtenraten der Welt, fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt, und die Regierung hat erkannt, wie wichtig es ist, die Wirtschaft zu diversifizieren und nicht nur auf Öl zu setzen. Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssten die Ausgaben für Bildung um 8,3% des BIP, für Gesundheit um 5,7% des BIP und für Wasser und Sanitäreinrichtungen um 2,1% des BIP erhöht werden. Das würde das Humankapital des Landes erheblich stärken und damit zur Diversifizierung seiner Wirtschaft beitragen. Außerdem würde dies klimaresiliente Chancen eröffnen, nicht zuletzt bei grüner Energie, und die demografische Dividende des Landes nutzbar machen.
Der Blick darf jedoch nicht nur auf Länder gerichtet sein. Auch Unternehmen können viel bewirken, indem sie zur Freisetzung von Humankapital beitragen, beispielsweise durch Förderung der finanziellen Inklusion. Hier geht es um die Bewertung und anschließende Messung signifikanter Entwicklungsdefizite in bestimmten Bereichen, wie zum Beispiel Aktivitäten, die glaubhaft eine Entwicklungslücke in einer der Humankapital-Dimensionen in den Bereichen Finanzwesen, Telekommunikation, Infrastruktur, Versorger, Gesundheit, Bildung usw. schließen. Dabei werden Aspekte wie Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit und Qualität von Waren und Dienstleistungen berücksichtigt.
Nehmen wir den Finanzsektor: Der erste Schritt besteht darin, den Anteil der Bevölkerung eines Landes zu ermitteln, der Zugang zu Bankkonten hat, und dann den Kontobesitz bei den einzelnen Finanzinstituten zu untersuchen. Gibt es Raum für Wachstum? Was tun die Banken, um den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu erleichtern? Welche Fortschritte haben sie gemacht? Ein Musterkandidat für eine Investition wäre eine Privatkundenbank, die aufgrund eines breit gefächerten Zielmarktes eine große Reichweite hat und über technologische Lösungen verfügt, mit denen abgelegene und unterversorgte geografische Standorte angebunden werden können.
Dadurch wird eine positive Dynamik in Gang gesetzt. Durch den Aufbau von Humankapital stärken die Unternehmen die wirtschaftliche Lage der Länder, in denen sie tätig sind, was wiederum zu mehr Geschäftsmöglichkeiten und höheren Einnahmen für den Unternehmenssektor insgesamt führt. Humankapital ist eine bisher kaum beachtete, aber potenziell lohnende Chance für Investoren.
1 In Anlehnung an die Definitionen von Gary Becker und der Weltbank verstehen wir unter Humankapital Gesundheit, Wissen, Qualifikationen und Anreize.
2 Bakker et al., „The Lack of Convergence of Latin-America Compared with CESEE: Is Low Investment to Blame?“, IMF Working Papers, Juni 2020.
3 Programme for International Student Assessment, das die schulischen Leistungen von 15-Jährigen in der ganzen Welt durch Tests und Noten vergleicht.
4 https://www.worldbank.org/en/news/feature/2021/10/27/taking-a-comprehensive-view-of-wealth-to-meet-today-s-development-challenges
5 Das Stockholm Resilience Centre hat neun planetarische Belastungsgrenzen definiert, das heissst ökologische Schwellenwerte, deren Überschreitung die menschliche Existenz bedroht. Dazu gehören: Süsswassernutzung, Klimawandel, Veränderung der Integrität der Biosphäre, Abbau der Ozonschicht, Übersauerung der Ozeane, veränderte Landnutzung und biogeochemische Kreisläufe.
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