Pictet | Frankfurt, 09.08.2023.
Es ist alles eine Frage der Perspektive.
Auf den ersten Blick scheint der Rückgang der Unternehmensgewinne im Vergleich zum Vorjahr nichts Gutes zu verheissen. Die bisher für das zweite Quartal gemeldeten Zahlen liegen jedoch deutlich über den Konsenserwartungen. Erfreulich ist, dass die Analysten ihre Prognosen für die künftigen Gewinne nach oben korrigieren – zum ersten Mal gibt es binnen eines Jahres mehr Aufwärts- als Abwärtskorrekturen.
All diese Faktoren stimmen uns etwas optimistischer, was die Aussichten für globale Aktien anbelangt. Daher sind wir von einer Untergewichtung zu einer neutralen Gewichtung übergegangen. Wir ziehen erst dann eine Übergewichtung in Betracht, wenn wir Belege dafür sehen, dass die globale Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt. Eine Stabilisierung reicht uns nicht. Und bisher sehen wir keine Beweise für das Gegenteil.
Gleichzeitig haben wir unsere Gewichtung in Cash reduziert. Da die Renditen in den kommenden Monaten sinken dürften, wenn die geldpolitische Straffung durch die Zentralbanken ihren Höhepunkt erreicht, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, sich aus Cash zurückzuziehen und sich die noch relativ hohen Zinsen auf dem Anleihemarkt – wo wir übergewichtet sind – zu sichern.
Unsere Konjunkturindikatoren deuten auf eine sanfte Landung der globalen Wirtschaft hin.
Die Schwellenländer sind und bleiben die Top-Performer. Sie haben den Kampf gegen die Inflation früher aufgenommen als die Industrieländer, mit dem Ergebnis, dass das Wachstum jetzt wieder zurückkehrt. Der anhaltend schwache US-Dollar und das vermutlich baldige Erreichen des Spitzen-Leitzinses in den USA arbeiten den Schwellenländern – von Lateinamerika bis Asien – in die Hände.
Die Schwellenländer sind diesem Jahr um 2,6 Prozentpunkte schneller gewachsen als die Industrieländer und 2024 werden es 3,4 Prozentpunkte sein – deutlich mehr als der gleitende 5-Jahres-Durchschnitt. Das bestätigt uns in unserer positiven Haltung gegenüber Schwellenländeraktien und Schwellenländeranleihen in Lokalwährung.
Im Industrieländeruniversum sendet die US-Wirtschaft positive Signale aus – die jüngsten Daten sind überraschend positiv ausgefallen. Wir sind jedoch besorgt, dass diese Stärke nachlässt, und erwarten für 2024 ein anämisches Wachstum.
In der Eurozone sind die Aussichten weniger erfreulich als noch vor einigen Monaten. Der Rückgang der Energiepreise hat sich nicht in einem Anstieg des verfügbaren Einkommens niedergeschlagen, und die Erholung der Konsumausgaben, von der wir ausgegangen sind, scheint jetzt doch nicht einzutreten, da die Kreditkosten auf Höchststände wie vor zehn Jahren nicht mehr gestiegen sind. Darüber hinaus gehen aufgrund der schwachen Nachfrage aus China die europäischen Exporte zurück, was den Rezessionsdruck im verarbeitenden Gewerbe weiter verschärft.
All das mahnt uns zur Vorsicht gegenüber europäischen Aktien.
Unsere Liquiditätsmodelle deuten auf eine Ausdünnung der Liquidität in den meisten grossen Industrieländern hin. Dies wird jedoch durch eine Lockerung der geldpolitischen Bedingungen in China kompensiert.
Möglicherweise stärken wir unsere positive Haltung gegenüber Schwellenländeranlagen, wenn China seine Geldpolitik weiter lockert. Wir rechnen mit einigen Lockerungsmassnahmen in den Sommermonaten, vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Wohnungsbau.
Von unseren Bewertungsmodellen lassen sich weitere Gründe für Optimismus bei Schwellenländeranlagen ablesen. Bei Schwellenländeraktien liegen die Bewertungen nach der jüngsten Underperformance jetzt im zweistelligen positiven Bereich. Besonders attraktiv erscheinen lateinamerikanische Aktien.
Andernorts sind Aktien jedoch im historischen Vergleich teuer, und Anleihen bieten strategisch gesehen einen besseren Wert.
Bei US-Aktien liegt das 12-Monats-KGV beispielsweise rund 25% über unserer langfristigen Wertprognose von 16. Wir sehen jedoch aufgrund einer Talsohle bei den Gewinnkorrekturen und eines Leitzins-Höchststandes das Potenzial für eine kurzfristige Überschreitung des Fair-Value (siehe Abb. 2). Die nachlassende Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession (sowohl gemessen an unseren eigenen Modellen als auch an den Analysen des IWF) und weitere Hinweise auf eine Abschwächung der Inflation könnten weitere Impulse geben.
Die markttechnischen Indikatoren deuten ebenfalls darauf hin, dass Aktien trotz der überzogenen Bewertungen noch Luft nach oben haben. Die Aktientrends sind positiv – die Marktbreite bzw. die Anzahl der an der Rally beteiligten Aktien hat im Juli zugenommen.
Sorge bereitet jedoch der Rückgang der Volatilität an den Aktienmärkten. Angesichts des in den Sommermonaten in der Regel verhaltenen Handelsvolumens können sich die Bedingungen von jetzt auf gleich verschlechtern, was optimistischere Investoren eiskalt erwischen könnte. Derartige Entwicklungen könnten angesichts der Marktpositionierung – das Netto-Call-Volumen1 auf den S&P 500 liegt auf dem höchsten Stand seit zwei Jahren und die Stimmung der Privatanleger ist euphorisch (der AAII Bull-Bear-Spread2 bewegt sich im oberen Dezil) – besonders schmerzhaft sein. Dies bestätigt uns erneut in unserer Entscheidung, uns neutral und nicht übergewichtet zu positionieren.
[2] Die Differenz zwischen dem Prozentsatz der Investoren mit einer positiven kurzfristigen Einstellung zu US-Aktien („Bullen“) und denjenigen mit einer negativen Einstellung („Bären“).
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