Degroof Petercam | Brüssel, 27.11.2019.
Angesichts nachhaltiger Bewässerung, biologischer Aufbereitung, demografischen Wachstums und neuer Essgewohnheiten scheint im Nahrungsmittelsektor ein starker Wandel begonnen zu haben. Die kontinuierlich zunehmenden Befürchtungen um den Klimawandel, die Artenvielfalt und die Nachhaltigkeit führen in der gesamten Wertschöpfungskette der Agrartechnologie zu einer Reihe vielversprechender neuer Anwendungen.
Im Upstream-Bereich der Wertschöpfungskette haben neue Techniken wie Tröpfchenbewässerung und Fertigation das Potenzial, die Obst- und Gemüseproduktion erheblich zu verbessern. Während die Tröpfchenbewässerung den Wasserverbrauch optimiert, indem sie das Wasser langsam zu den Wurzeln der Pflanzen leitet, werden bei der Fertigation einem Bewässerungssystem wasserlösliche Düngemittel zugeführt, um den Ernteertrag zu steigern.
Landwirte setzen zunehmend auch auf Präzisionslandwirtschaft oder Teilschlagbewirtschaftung. In der Großlandwirtschaft basiert dieser Ansatz auf GPS-Technologie, Satellitenbildern und Big-Data-Plattformen. Dadurch ergibt sich ein sehr detaillierter Überblick zur Bodenbeschaffenheit und der Variabilität von Nutzpflanzen. Diese Informationen ermöglichen Landwirten, Ressourcen zu schonen und die Ernten zu optimieren.
Eine weitere interessante Entwicklung ist die Nutzung von Fermentation zur Entwicklung neuer Agrartechnologien. Unternehmen wie Incotec (eine Tochtergesellschaft von Croda) sowie Chr. Hansen in Zusammenarbeit mit FMC Corp nutzen dieses Verfahren zunehmend, um sogenannte Biologika herzustellen. Solche natürlich gewonnenen Produkte, wie Biodüngemittel und Biostimulanzien, können die Qualität der Pflanzen erheblich verbessern. Biologika bestehen in der Regel aus Mikroorganismen, Pflanzenextrakten oder anderen organischen Stoffen und bieten eine ‚grüne‘ Alternative zu herkömmlichen Pestiziden.
Auch in weiteren Bereichen der Wertschöpfungskette gibt es beträchtliche Fortschritte: Das britische Unternehmen Genus nutzt die CRISPR-Technologie (ein leistungsstarkes Werkzeug zur Gen-Bearbeitung) für neue Schweinezüchtungen, die gegen den seuchenhaften Spätabort von Schweinen (SSS) resistent sind. Diese Krankheit erschwert die Fortpflanzung der Tiere und verursacht der Branche jährliche Schäden von über drei Milliarden Euro.
Am Ende der Wertschöpfungskette, also beim Verbraucher, geht der Agrarnahrungsmittelsektor zunehmend von der konventionellen Fleischproduktion auf umweltfreundlichere Alternativen über. Im Allgemeinen gibt es drei Haupttrends: Ein geringerer Fleischverbrauch, der Übergang auf Fleischersatz aus pflanzlichen Ersatzprodukten und – mit Blick in die Zukunft – zellbasierte Fleischalternativen.
Diese neuen Entwicklungen können die Nahrungsmittelbranche beträchtlich verändern und ihre Nachhaltigkeit verbessern. Es ist jedoch sehr wichtig, zwischen theoretischen Entwicklungen und praktischem Erfolg neuer landwirtschaftlicher Produkte zu unterscheiden. Einige vielversprechende Ideen werden leider nie in großem Umfang umgesetzt. Falls eine neue Technologie beispielsweise eine vollständige Überholung der gegenwärtigen Anlagen eines Landwirts erfordert, wird er möglicherweise zögern, diese Innovation umzusetzen. Um eine breite Einführung kostspieliger Neuerungen zu begünstigen, müssen Agrartechnologieunternehmen die Farmer nicht nur von den Nachhaltigkeitsvorteilen ihrer Produkte überzeugen, sondern auch vom wirtschaftlichen Nutzen. DSM beispielsweise entwickelte einen Futterzusatz, der die Methan-Emissionen von Kühen um 30 Prozent verringert. Um die Nutzung durch Milchbauern zu fördern, muss DSM aber auch greifbare Ertragsvorteile seines Zusatzes, also zum Beispiel eine höhere Milchproduktion, nachweisen. Doch nicht nur die Landwirte müssen überzeugt werden, auch die Verbraucher können einen großen Widerstand leisten: Die meisten Privathaushalte der westlichen Industrieländer lehnen beispielsweise die Idee von Insektenprodukten oder Laborfleisch als Lebensmittelalternativen noch immer ab.
Obwohl es die Agrartechnologie während des letzten Jahrhunderts zweifellos weit gebracht hat, kann sie sich definitiv nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Um die gegenwärtige Klimakrise zu bewältigen, bietet der Sektor derzeit eine ganze Reihe ehrgeiziger Alternativen und Lösungen. Es bleibt jedoch abzuwarten, in welchem Ausmaß die globalen Märkte bereit sind, die Vorteile dieser Innovationen anzunehmen.
Von Alexander Roose, Head of International and Sustainable Equity bei DPAM