Das Investment: Warum der scheinbare Widerspruch kein Widerspruch ist

Sind Aktienkurse angesichts der mauen Wirtschaft schon zu weit gelaufen? DWS-Investment-Veteran Klaus Kaldemorgen geht der Frage auf den Grund und ordnet die Aktien-Hausse einmal ein. Historisch schlechte Wirtschaftsdaten und gleichzeitig steigende Aktienkurse, die Indizes wie den Nasdaq zwischenzeitlich schon wieder auf neue Rekordstände getrieben haben. Kann das lange gutgehen? Skeptiker verweisen auf einen ihrer Ansicht nach mittlerweile „absurd“ hoch bewerteten Aktienmarkt. Optimisten führen hingegen die extrem niedrigen Anleiherenditen an und betonen, dass es sich bei der Coronavirus-Pandemie um ein zeitlich begrenztes Ereignis mit vorübergehenden Auswirkungen handelt.

Tatsächlich ist die Rendite, vor allem jene der zehnjährigen US-Staatsanleihen, ein guter Maßstab dafür, wie teuer Aktien mittlerweile sind. Bei einer Rendite von aktuell etwa 0,6 Prozent beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) eines solchen Schuldtitels 165. Anfang des Jahres lag das KGV angesichts einer Rendite von knapp zwei Prozent noch bei 50. Zum Vergleich: Das KGV des globalen Aktienindex MSCI All Country World beträgt derzeit knapp 22, zu Jahresbeginn war es nur geringfügig niedriger und lag bei 20. Vor diesem Hintergrund gibt es also durchaus noch Luft bei der Bewertung von Aktien, selbst wenn man dieser Anlageklasse ein deutlich höheres Risiko zubilligt.

Noch dazu können Durchschnittswerte, wie sie der Blick auf aus mehreren Komponenten bestehende Indizes eben nun einmal hervorbringt, täuschen. Denn die Unterschiede in der Entwicklung der Kurse einzelner Aktien sind geradezu atemberaubend groß. Während etwa der MSCI All Country World seit Jahresanfang noch gut zwei Prozent im Minus notiert, hat die Apple-Aktie – das Papier mit dem höchsten Indexgewicht – hingegen um 27 Prozent zugelegt. Es folgen am Anteil des Index gemessen Microsoft mit plus 28 und Amazon mit plus 65 Prozent.

Dividendenstarke Substanzwerte eher zu niedrig bewertet

Eine überdurchschnittliche Wertentwicklung der Aktien von Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen lässt sich grundsätzlich durchaus plausibel erklären, gehören sie doch zu den klaren Gewinnern der Coronavirus-Krise. Betrachtet man aber die Marktkapitalisierung der Überflieger, die sich im jeweiligen Indexgewicht niederschlägt, kommen Zweifel auf, ob die gesamtwirtschaftlichen Aussichten noch im richtigen Verhältnis widergespiegelt werden. Dazu einige Beispiele: Im MSCI All Country World sind rund 3000 Werte enthalten. Die fünf Größten, Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Facebook, haben dabei zusammen ein Gewicht von 11,3 Prozent. Apple und Microsoft kombiniert kommen so ungefähr auf die gleiche Gewichtung wie Japan. Amazon alleine hat einen Anteil, der auf dem Niveau von Deutschland liegt. Von den zehn größten Positionen im Index gehört nur noch ein Wert nicht der „New Economy“ an, nämlich Johnson & Johnson. Im Durchschnitt haben die „Big Five“ über fünf Jahre ein Plus von knapp 30 Prozent erzielt – wohlgemerkt pro Jahr.

Für den MSCI All Country World, der um 7,8 Prozent pro Jahr gestiegen ist, bedeutet das, dass die „Big Five“ grob gerechnet die Hälfte zur gesamten Wertentwicklung beigetragen haben. Lässt dies jedoch den Schluss zu, dass sich zumindest in jenem Teil des Aktienmarkts, der aus den „digitalen Champions“ besteht, eine Blase gebildet hat? Wohl kaum, denn angesichts der schon vor der Coronavirus-Krise vergleichsweise geringen gesamtwirtschaftlichen Dynamik ist Wachstum ein knappes Gut, das die besondere Wertschätzung der Investoren genießt – noch dazu vor dem Hintergrund der niedrigen Renditen am Anleihenmarkt. Wenn also wenige Wachstumspapiere ganz vorne in der Gunst der performance-getriebenen Anleger liegen, dürfte jedoch auch der Umkehrschluss zutreffen, dass mit den dividendenstarken Substanzwerten ein wesentlicher Teil des Aktienmarkts eher zu niedrig bewertet ist. Je größer also der Abstand zwischen Apple und Co. und dem Rest des Marktes wird, desto attraktiver sollten stärker diversifizierte Portfolios werden.

Von:Klaus Kaldemorgen
Quelle: Das Investment

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