Das Investment: Steckt die EZB im 20. Jahrhundert fest?

sjb_werbung_das_investment_300_200Aktienanleger mögen die lockere EZB-Politik. Nicht so Paras Anand. Der Leiter des europäischen Aktienteams bei Fidelity kritisiert den engen Fokus der Notenbank auf die Inflation und befürchtet, sie könnte mit ihren monetären Anreizen ihr eigenes Scheitern fördern.

Am Donnerstag, den 10. März ist es wieder soweit. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird die Kapitalmärkte mit ihren Geschenken beglücken. Notenbankchef Mario Draghi hat bereits im Januar angekündigt, dass es wieder etwas gibt. Und die Märkte haben sofort ihre Vorfreude mit kleinen Kurssprüngen bekundet, in der Hoffnung, dass sie nicht wieder wie im Dezember enttäuscht werden.

Auch in der Adventszeit gab es schon eine Bescherung, aber die war nach Ansicht der Märkte nicht üppig genug. Das eigentliche Ziel der EZB ist allerdings nicht die Beglückung der Finanzmärkte, sondern Preisstabilität. Die Inflationsrate soll der angestrebten Marke von 2 Prozent wieder näher rücken. Paras Anand fragt sich allerdings, ob das Aufdrehen des Geldhahns der richtige Weg ist und ob dieses Ziel überhaupt noch zeitgemäß ist. „Kann es sein, dass die Währungshüter mit ihrem engen Fokus auf die Inflation den falschen Feind im Visier haben? Und fördern sie mit ihrer zunehmend lockeren Geldpolitik möglicherweise ihr eigenes Scheitern?“, fragt der Leiter des europäischen Aktienteams bei Fidelity provokant.

Veraltete Instrumente für neue Zeiten

Angeregt zu diesen Gedanken hat ihn ein Vortrag von General Sir Nick Houghton im weltweit führenden britischen Think Tank Chatham House im Herbst vergangenen Jahres. „Er sprach über die Rolle des Militärs in einer zunehmend komplexen Welt, in der die Bedrohung durch und die Wahrscheinlichkeit für eine symmetrische Kriegsführung im Vergleich zum organisierten Verbrechen, zu Cyberattacken, Naturkatastrophen, Massenmigration und anderen Phänomen rapide abnimmt“, so Anand. Die Gefahr bestehe nach Houghtons Ansicht darin, auf die Probleme des 21. Jahrhunderts nur mit Instrumenten des 20. Jahrhunderts antworten zu können.

Und genau eine solche Gefahr wittert Anand auch bei den Zentralbanken. Da ist zunächst ihre Fokussierung auf die Inflation. Moderate Preissteigerungen gelten als Zeichen einer gesunden, stetig wachsenden Wirtschaft. Eine übermäßige Inflation hingegen ist ein Zeichen für eine schlechte Wirtschaftsentwicklung. „Der Wert einer mäßigen Inflation besteht demnach in dem Vertrauen, das sie in Wirtschaft und Zentralbanken hervorrufen kann“, sagt Anand.

Disinflationäre Kräfte sind ein Phänomen des 21. Jahrhunderts

Was heißt das für die aktuell sehr niedrigen Inflationsraten? Durch die Brille des 20. Jahrhunderts betrachtet sind sie ein Indiz für mangelnde Nachfrage. Vielleicht seien die disinflationären Kräfte, die Anand vor allem als Folgen des technologischen Fortschritts sieht, aber ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, die sich als solche weitgehend positiv auf Wirtschaftsaktivität, Produktivität und Kaufkraft auswirken, gibt der Fidelity-Experte zu bedenken und stellt die berechtigte Frage: „Wenn eine solche Entwicklung nicht nur strukturell bedingt, sondern im Wesentlichen auch vorteilhaft ist, warum sollte sie dann überhaupt bekämpft werden?“ Anand fürchtet, dass die Notenbanken gar falsche Signale über die fundamentale Stärke der Wirtschaft aussenden und zu Unrecht ein Gefühl von Unsicherheit hervorrufen könnten.

Ein wichtiges Ziel hätten sie ohnehin schon mit ihren geldpolitischen Stimulierungsmaßnahmen in den Industrieländern weitgehend erreicht: die Rekapitalisierung des Bankensystems nach der Finanzkrise. „Zusätzliche geldpolitische Impulse, die die Börsen sicherlich einhellig begrüßen, dürften das Vertrauen von Unternehmen, Verbrauchern und vor allem Banken in ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum kaum spürbar stärken“, warnt Anand. Ohne dieses Vertrauen werde es aber schwierig, dass sich die monetären Impulse vom Bankensystem auf die Realwirtschaft übertragen. Die Liquidität ist zwar hoch, aber die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes gering.

Monetäre Anreize: Weniger könnte mehr sein

Der US-Ökonom Arthur B. Laffer vertrat Ende der 1970er Jahre die These, dass die Steuereinnahmen ab einer bestimmten Steuersatzhöhe nicht mehr steigen, sondern fallen. „Trotz der unbestreitbaren Schwächen der Laffer-Kurve sollte man analog dazu darüber nachdenken, ob zusätzliche monetäre Stimulierungsmaßnahmen ab einem gewissen Punkt die Wirtschaftstätigkeit nicht sogar bremsen“, meint Anand. Bis auf Weiteres scheinen es sich die Marktteilnehmer jedenfalls zu einfach zu machen, wenn sie ihr Augenmerk ausschließlich auf die kurzfristigen Inflationszahlen als Maßstab für Erfolg oder Misserfolg der EZB richten.

Anand sieht die Notenbanken gut beraten zu überlegen, ob ein Sieg im Stellungskrieg gegen die Inflation wünschenswert und überhaupt notwendig ist. „Stattdessen könnten sie das Vertrauen in eine Weltwirtschaft fördern, die heute mit einem weitaus geringeren systemischen Risiko behaftet ist als unmittelbar nach der Finanzkrise. Auf diese Weise würden sie die Kontrolle wiedererlangen, die ihnen derzeit, wie ich fürchte, zunehmend entgleitet.“

Die Herausforderung für Investoren sieht Anand darin, sich von den Turbulenzen an den Märkten nicht zu stark beeindrucken zu lassen und in Ruhe abzuwägen, welche Entscheidungen langfristig sinnvoll sind. Dasselbe erhofft und erwartet er von den Notenbanken.

Von: Sabine Groth

Quelle: DAS INVESTMENT.

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