Das Investment: Assenagon-Chefvolkswirt warnt vor „Zeitbombe im Euro“

sjb_werbung_das_investment_300_200„Die Targetsalden im Euro haben inzwischen ein beängstigendes Niveau erreicht“, erklärt Martin Hüfner, Chefvolkswirt der Vermögensverwaltung Assenagon Asset Management. „Wenn die Targetsalden auf die Tagesordnung der Finanzminister kommen, ist eine größere Krise kaum zu vermeiden.“

Der Euro ist wieder ins Gerede gekommen. Das hängt zum Teil mit dem Populismus und den politischen Wahlen zusammen. Zum Teil spielen die gefühlt ewigen Verhandlungen mit Griechenland eine Rolle. Der dickste Brocken sind aber die Targetsalden. Sie schießen in letzter Zeit geradezu nach oben. Nichts scheint sie stoppen zu können.

In der öffentlichen Diskussion werden diese Salden nicht so beachtet. Das beruht nicht darauf, dass sie nicht wichtig wären. Der Grund ist vielmehr, dass niemand versteht, um was es dabei geht. Jeder kennt die Probleme im Zusammenhang mit Griechenland oder den politischen Wahlen. Aber bei den Targetsalden? Da gibt es nur Kopfschütteln.

Dabei ist es ganz einfach. Target ist das Zahlungsverkehrssystem der EZB für die Banken im Euroraum. Es soll die Abwicklung der Überweisungen erleichtern. Wie in jedem Zahlungsverkehrssystem können hier immer mal Salden auftreten. An einem Tag etwa nehmen die Banken eines Landes mehr Zahlungen entgegen als sie selbst leisten. An einem anderen Tag ist es genau umgekehrt. Normalerweise gleichen sich solche Salden immer relativ schnell aus. Sollte das einmal nicht der Fall sein und einige Teilnehmer dauerhafte Salden aufweisen, dann müssen sie diese monatlich, quartalsmäßig oder jährlich durch bilaterale Zahlungen ausgleichen. So funktioniert das in jedem dieser Systeme.

In der Finanzkrise kam Sand ins Getriebe
Im Targetsystem der EZB ging das auch lange Zeit gut. Erst in der Finanzkrise 2007/2008 kam Sand ins Getriebe. Das hing einmal damit zusammen, dass plötzlich größere und dauerhaftere Salden auftauchten. Einzelne Teilnehmer des Systems gerieten in größere und dauerhaftere Schwierigkeiten. Zum anderen rächte sich, dass man bei dem System (bewusst oder unbewusst) „vergessen“ hatte, Ausgleichszahlungen vorzusehen. Die Salden wurden am Jahresende nicht abgerechnet. Sie wurden vielmehr bei der EZB „angeschrieben“.

Damit waren sie keine temporären Ungleichgewichte mehr, wie sie normal sind, sondern dauerhafte Kredite der Überschuss- an die Defizitländer. Im Prinzip waren sie nichts anderes als die Darlehen, die die Finanzminister über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM vergeben. Nur eben waren sie unbefristet, nicht mit Auflagen versehen und unterlagen keiner politischen Kontrolle. Das macht sie so problematisch.

Die Grafik unten zeigt die Größenordnungen für den Fall der Bundesbank. Bis zur Finanzkrise war alles in Ordnung und die Salden waren Null. Dann aber flossen der Bundesbank als dem „sicheren Hafen“ immer mehr Gelder zu als es Abflüsse gab. Inzwischen betragen die Salden im Schnitt 16 Milliarden Euro pro Monat.

Das ist gewaltig. Zum Vergleich: Die Finanzminister verhandeln mit Griechenland seit Monaten über eine Summe von 7 Milliarden Euro, die Athen bis Juli braucht. Ein solcher Betrag läuft im Targetsystem praktisch alle zwei Wochen auf. Insgesamt belaufen sich die Forderungen der Bundesbank aus den Salden heute auf 814 Milliarden Euro.

Targetforderungen der Bundesbank (in Milliarden Euro)

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Quelle: Bundesbank, Daten von Januar 1999 – Februar 2017
Kollateralschaden expansiver Geldpolitik
Manche sagen, das hinge im Wesentlichen mit den Wertpapierkäufen der EZB zusammen. Es sei daher nur ein Kollateralschaden der expansiven Geldpolitik. Das ist richtig. Es ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Salden gab es auch schon, bevor die EZB die Wertpapierkäufe tätigte. Sie wuchsen nur nicht so schnell. Zudem ist auch ein Kollateralschaden ein Schaden.

Das kann so nicht weitergehen. Irgendwann muss jemand den Finger heben und sagen: So nicht. Das Signal kann von der Bundesbank kommen. Es kann aber auch von Berlin ausgehen (oder vielleicht vom Verfassungsgericht?). Im Augenblick traut sich niemand, weil keiner Öl ins Feuer der Schwierigkeiten in Europa gießen möchte. Es ist meines Erachtens aber nur eine Frage der Zeit, bis die Bombe hochgeht.

Was müsste getan werden, um die Targetsalden zurückzuführen? Das wichtigste wäre, die Ungleichgewichte im Euroraum abzubauen. Dann gäbe es wieder Vertrauen. Die Salden wären mit einem Mal weg. Freilich ist das, wie wir wissen, schwer und langwierig. Notwendig wären vor allem Strukturreformen in Italien.

Frage der Zeit, bis die Bombe hochgeht
Was helfen würde, wäre auch ein Ende der Wertpapierkäufe der EZB. Das wird im nächsten Jahr vermutlich kommen. Das ist aber relativ spät. Bis dahin werden die Targetsalden noch um weitere vermutlich 150 Milliarden Euro steigen. Zudem würde ein Ende der Wertpapierkäufe den Aufbau der Salden nicht stoppen, sondern ihn nur verlangsamen.

Man könnte auch daran denken, die Salden zu verzinsen. Das gäbe den Defizitländern einen Anreiz, den weiteren Anstieg zu bremsen. Die Überschussländer bekämen – wie bei den offiziellen Krediten der Finanzminister – wenigstens eine finanzielle Entschädigung. Derzeit werden die Salden nur mit dem Satz der Hauptrefinanzierungsfazilität verzinst, also mit Null.

Wenn gar nichts hilft, muss man das Targetsystem der EZB insgesamt in Frage stellen. Das wäre ein schwerer Rückschlag. Die Überweisungen innerhalb der Gemeinschaft würden teurer und langsamer. Die Durchschlagskraft der Geldpolitik würde geschwächt. Es wäre ähnlich wie mit den Grenzkontrollen, die es inzwischen im Schengen-Raum leider wieder gibt.

Das ist dabei wichtig für den Anleger
Die Targetsalden sind ein erhebliches Risiko für den Euro. Wenn es schlagend wird, wäre im Augenblick vor allem Italien betroffen, weil es derzeit die höchsten Defizite hat (386 Milliarden Euro). Es würde Ängste auslösen, dass das Land eventuell doch aus dem Euro austreten müsste. Die Spreads italienischer Anleihen würden weiter steigen. Auch mit Spanien könnte es Probleme geben. Es hat die zweithöchsten Defizite. Darüber hinaus würden natürlich die Aktien- und Rentenmärkte in der Gemeinschaft insgesamt leiden.

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