SJB | Korschenbroich, 02.12.2014. Die europäische Konjunktur litt zuletzt unter Atemnot. Heather Arnold, Portfoliomanagerin bei Franklin Templeton Investments, ist dennoch von der Region überzeugt und sieht vor allem im Energiesektor gute Anlagechancen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist den Defiziten im Bankensystem wirkungsvoll entgegengetreten. Einen wichtigen Meilenstein stellte der Bankenstresstest dar. Er zeigte, dass die weit überwiegende Mehrheit der europäischen Geschäftsbanken über eine angemessene Kapitalausstattung verfügen. Mehr Transparenz und Vergleichbarkeit bei der Rechnungslegung der Geldinstitute sollten ebenfalls gewährleistet sein, da die Bankenaufsicht am 4. November von den Zentralbanken der Mitgliedsstaaten auf die EZB überging.
Kapital bleibt europaweit bezahlbar
Die Maßnahmen der EZB haben dazu geführt, dass sich die Kreditkosten von Staaten wie Spanien, Irland, Portugal und Griechenland wieder denjenigen von Kerneuropa angenähert haben. Kapital bleibt europaweit bezahlbar, unter anderem weil die Europäische Zentralbank für Liquidität und Solvabilität im System sorgte. Nun steigt die Spannung, ob die Notenbank ihre Bilanz durch eine aggressive quantitative Lockerung ausweitet, um den Euro weiter zu schwächen und gegebenenfalls eine Reflationierung zu bewirken. Verglichen mit der Federal Reserve in den USA und der Bank von Japan nimmt die EZB hier ganz klar die Rolle des Nachzüglers ein.
Bisher wirkte die Strategie der EZB offenbar. Sie hielt die Regierungen in Europa unter Druck, dringend erforderliche Strukturreformen voranzutreiben. Staaten wie Spanien, Irland und Portugal verbesserten ihre Wettbewerbsfähigkeit, indem sie ihre Schulden neu ordneten und ihre ineffizienten Arbeitsmärkte und Sozialsysteme reformierten. Italien könnte jetzt nachziehen und Frankreich wird hoffentlich auch bald folgen.
Wende in Sicht
Dem Aufschwung in Europa ist zugegebenermaßen die Luft ausgegangen. Nachdem zunächst die Abkühlung in den Schwellenländern belastete, drückte später auch der Konflikt in der Ukraine auf die Stimmung. Was uns jedoch nach wie vor für Europa einnimmt, sind die sehr überzeugenden Bewertungen. In der jüngst zu beobachtenden relativen Schwäche gegenüber US-Titeln sehen wir allenfalls ein weiteres Argument für den Wert europäischer Aktien.
Europa hat einen Teil seiner Strukturprobleme gelöst. Seit dem Ende der Finanzkrise erholte sich die Wirtschaft jedoch erst sehr verhalten. Wir sind davon überzeugt, dass die Konjunktur anziehen wird. Dies berücksichtigen wir in unseren Finanzmodellen, die wir für Unternehmen über einen Anlagezeitraum von fünf Jahren erstellen.
Wir entdecken überall in Europa gute Chancen. Da Exporte für den Kontinent eine wichtige Rolle spielen, dürften die Unternehmen sowohl vom überraschend starken Wachstum in den USA als auch von der Euro-Abwertung profitieren. Für attraktiv halten wir den Energiesektor, der zuletzt schwächelte. Ferner können Finanzwerte ungeachtet der bisherigen Erholung weiterhin preiswert eingesammelt werden. Auch die Chancen des Pharma- und Gesundheitssektors haben sich unserer Auffassung nach bisher nicht hinreichend in den Bewertungen niedergeschlagen.
Hinzu kommt, dass europäische Aktien mit einer durchschnittlichen Dividendenrendite von 3,2 Prozent (Basis: MSCI Europe; per 30.06.2014) deutlich höhere Ausschüttungen bieten als ihre Pendants in Asien oder Nordamerika. Das vielleicht stärkste Argument für die Region sehen wir jedoch in der günstigen Bewertung, gepaart mit dem beschriebenen Aufholpotenzial. Immerhin sind neun der zehn preiswertesten Aktienmärkte weltweit dem europäischen Kontinent zuzuordnen.
Von: Heather Arnold
Quelle: DAS INVESTMENT.