„Wir brauchen Geschichte zum Leben und zur Tat”, stellt der Philosoph Friedrich Nietzsche fest. Das gilt ebenso für Ihre individuellen Erinnerungen wie für das kollektive Bewusstsein.
Die Wurzeln der Gegenwart freizulegen, ist Aufgabe von Historikern. Sie zeichnen die Ursachen und Hintergründe unserer Handlungsbedingungen nach, im politischen, sozialen und kulturellen Bereich. Sie schärfen das Bewusstsein für historische Entwicklungslinien und Brüche. Für die Besonderheiten der Gegenwart genauso wie für die früherer Epochen. Das Ziel besteht darin, die eigene Wirklichkeit nachvollziehbar, verständlich und handhabbar zu machen.
Die Erinnerung ist immer subjektiv. Unser Bild von der Vergangenheit hängt weniger davon ab, was vorhandene Quellen tatsächlich überliefern. Entscheidend ist, wie wir das Überlieferte interpretieren, welchen „point of view” wir hineintragen. In der Regel nehmen wir die Perspektive unserer Gruppe ein. Gemeinsame Geschichtsbilder und -mythen stärken das Gefühl von Zusammengehörigkeit. Sie erzeugen Stolz auf die eigene Gruppe und Abgrenzung bis Feindseligkeit gegenüber anderen. Die Kunst der Historiker besteht darin, dieses psychologische Gruppenverhalten von den historischen Tatsachen zu trennen und in die objektive wissenschaftliche Bewertung mit einzubeziehen.
Oft sehen wir im historischen Rückspiegel, was wir sehen wollen, nicht was da hinter uns ist. Eine gefährliche Situation: Wir wollen Verantwortung übernehmen, haben die besten Absichten und sind entschlossen zu handeln. Und dann kommt aus dem Nichts ein Hindernis. Jeder Autofahrer weiß, dass man in diesem Fall kaum noch Reaktionsmöglichkeiten hat. Der regelmäßige Blick in den Rückspiegel ist also nicht nur erkenntnisreich, sondern mitunter lebensnotwendig. Vor allem, wenn man auf dicht befahrene, unübersichtliche und historisch wichtige Kreuzungen zusteuert.