Aberdeen | Frankfurt, 14.12.2015.
Um die Grundlage für weiteres Wachstum zu schaffen, will die indische Regierung in großem Umfang in die Modernisierung der maroden Infrastruktur investieren. Dies eröffnet auch Anlegern Potenziale.
Das starke Bevölkerungswachstum in Indien hat die Bautätigkeit weit hinter sich gelassen. Die öffentlichen Verkehrs-, Elektrizitäts- und Wasserversorgungsnetze sind längst an ihren Belastungsgrenzen angekommen. Die Straßen und Schienennetze sind beispielsweise in einem äußerst schlechten Zustand, was auch den Waren- und Dienstleistungsverkehr stark einschränkt.
Denn Infrastruktur ist ein Schlüsselelement und Haupttreiber von Produktivität und Wachstum. In Indien rollen aufgrund des unzureichenden Angebots der Bahn aber immer noch rund 65 Prozent der Güter über die chronisch verstopften Straßen des Landes. Und jedes Jahr werden in Indien vier Millionen neue Kraftfahrzeuge und elf Millionen neue Krafträder zugelassen. Auf die Stromversorgung ist oft kein Verlass und weite Teile der Bevölkerung haben nur schwer Zugang zu sauberem Wasser und angemessenen sanitären Anlagen.
Nach Schätzungen der Weltbank wird Indien bis Ende dieses Jahrzehnts Infrastrukturinvestitionen von bis zu 1,7 Billionen US-Dollar benötigen. Die gute Nachricht ist, dass die Verbesserung und der Ausbau der Infrastruktur ein Kernstück von Narendra Modis Reformprogramm darstellen.
Ein wichtiger Meilenstein für den indischen Premierminister ist daher die Modernisierung des aus dem 19ten Jahrhundert stammenden Landerwerbsgesetzes, das regelt, wie die Regierung privates Land für die Industrialisierung, Infrastrukturentwicklung und die Urbanisierung erwerben kann. Die jüngsten Entwicklungen lassen vermuten, dass der Gesetzesvorschlag – wenn auch in leicht verwässerter Version – verabschiedet werden wird. Zudem wurden bereits 1 Billion US-Dollar für die bis 2017 anstehenden Infrastrukturausgaben bereitgestellt. Um die neuen Projekte zu unterstützen und Investitionen zu fördern, soll ein nationaler Infrastruktur- und Investitions-Fonds (National Infrastructure and Investment Fund) aufgelegt werden.
Ein riesiges Land wie Indien steht beim Infrastrukturbedarf vor großen Herausforderungen – zugleich bietet der Ausbau und die Verbesserung von Straßen- und Schienennetzen, Häfen und Kraftwerken aber auch enormes Potenzial an Möglichkeiten.
Indiens größte Städte, wie Mumbai, Neu-Delhi, Kalkutta und Bangalore werden wohl am meisten von der Verbesserung der Infrastruktur profitieren. Indiens städtische Bevölkerung wird bis 2017 voraussichtlich auf rund 500 Millionen anwachsen. Um dem entsprechenden Nachfragewachstum gerecht werden zu können, sind vom Ausbau der U-Bahnnetze und der Wasserversorgung bis hin zur Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums umfassende Investitionen nötig. Das kranke Verkehrswesen hat allerdings den größten Verbesserungsbedarf.
Das Schienennetz des Landes muss umfassend erweitert werden. Zurzeit gibt es in Indien ein Streckennetz von mehr als 64.000 Kilometern, auf dem 12.000 Personen- und 7.000 Güterzüge verkehren und 23 Millionen Passagiere befördert werden. Bilder, auf denen Erwachsene und Kinder sich verzweifelt an Waggons klammern, sagen mehr als 1000 Worte. Auch für die Unternehmen ist der Ausbau dringlich – wenn Güterzüge im Schnitt mit nur 65 km/h vorankommen, kann man bei der landesweiten Lieferung von Gütern nur schwerlich von Effizienz sprechen.
Auch beim Straßenbau muss die Regierung einen Gang zulegen. Jedes Jahr werden in Indien vier Millionen neue Kraftfahrzeuge und elf Millionen neue Krafträder zugelassen – da kommt der Ausbau der Straßen bei weitem nicht schnell genug voran. Beweise für den potenziellen Nutzen neuer Investments liefert das Golden Quadrilateral Program, ein großes Autobahnprojekt, das die Straßenverbindungen zwischen den vier größten Städten Indiens beträchtlich verbessert hat. Dieses Programm hat auch zur Produktivitätssteigerung beigetragen, da es Unternehmen nun möglich war, Lager- und Transportkosten zu senken und zu günstigeren Lieferanten zu wechseln.
Die Häfen Indiens müssen ebenfalls überholt werden. Für die Abfertigung von Schiffen braucht man in Indiens Häfen mehrere Tage anstatt der in anderen Ländern üblichen Stunden.
Die gute Nachricht ist, dass die indische Regierung bereits angefangen hat, dem trägen Elefanten Beine zu machen. Es wurden 1Billion USD für die bis 2017 anstehenden Infrastrukturausgaben bereitgestellt. Um die neuen Projekte zu unterstützen und Investitionen zu fördern, soll ein nationaler Infrastruktur- und Investitions-Fonds (National Infrastructure and Investment Fund) aufgelegt werden. Der Fonds hat eine Ersteinlage von 200 Mrd. Rupien (gut 3 Mrd. USD) und die Regierung könnte noch drei- bis viermal soviel am Markt beschaffen und die Gelder nutzen, um finanzschwache Projekte in Gang zu bringen und neue Investitionen zu planen.
Die Regierung wird jedoch auch private Unternehmen einschalten müssen, denn die staatlichen Gelder werden nicht ausreichen, um die vielfältigen Infrastrukturaufgaben Indiens in den Griff zu bekommen. Möglich wären zum Beispiel öffentlich-private Partnerschaften (PPPs – public-private partnerships) in deren Rahmen der private Sektor an dieser Wachstumsstory teilhaben könnte.
Den privaten Sektor zu beteiligen, bringt jedoch eigene Schwierigkeiten mit sich. Zu den im öffentlichen Sektor zu überwindenden Hindernissen kommt hinzu, dass viele private Unternehmen durch hohe Verschuldung und schwache Bilanzen über nur sehr wenig Spielraum verfügen. Im öffentlichen Bankwesen sind notleidende Kredite[1] in Höhe von 3 Billionen Rupien aufgelaufen – das begrenzt die mögliche Vergabe dringend benötigter Kredite an Unternehmen. Außerdem sind die mit Infrastrukturinvestments zu erzielenden Cashflows meist langfristiger Natur (20 Jahre oder länger), während langfristige Bankkredite an Unternehmen in Indien nicht die Norm sind. Oft müssen Projekte eine hohe Rendite erbringen und Banken können durchaus strikte Richtlinien für die Kreditvergabe haben. All das könnte erklären, warum die Investitionen seitens des privaten Sektors in letzter Zeit etwas zurückgegangen sind und macht deutlich, wie wichtig es ist, den Bankensektor für die Unterstützung der Infrastrukturprojekte zu reformieren. Sollte der private Sektor sein Interesse an Infrastrukturprojekten verlieren, wird dem „National Infrastructure and Investment Fund” eine entscheidende Rolle zukommen.
Wie China wird auch Indien für den Ausbau seiner Infrastruktur ausländische Investitionen und Kredite benötigen. In einigen Industriezweigen, wie z. B. in der Informationstechnologie und bei einigen Unternehmen aus der Kraftfahrzeugindustrie, ist das bereits gelungen und die Unternehmen sind sehr wettbewerbsfähig. Die Regierung muss dafür Sorge tragen, dass man auch in anderen Branchen diesem guten Beispiel folgt.
In Indien scheinen Veränderungen nur langsam voranzukommen. Es ist allseits bekannt, dass politische Gegner sich regelmäßig mit aller Macht gegen Reformen stemmen. Wenn Indien sein riesiges Potenzial heben will, muss es die Infrastrukturreformen und ihre volle Umsetzung in den Fokus der nationalen Wirtschaftspolitik stellen. Vielleicht wird sich das Land dann von dem Bild des trägen und schwerfälligen Elefanten lösen können und seinem Ruf als starker und wendiger Tiger wieder Ehre erweisen.
Autor: Kenneth Akintewe,Senior Investment Manager, Aberdeen Asset Management