Johannes Müller, Investmentchef Wealth Management Deutschland bei der Deutschen Asset & Wealth Management (DeAWM), über Inflation, Deflation, Ölpreis und die expansive Geldpolitik der EZB.
DAS INVESTMENT.com: Die jährliche Inflationsrate in den 19 Euro-Ländern liegt wieder im Minusbereich. Hat die EZB versagt – trotz ihrer expansiven Geldpolitik?
Johannes Müller: Die Inflation sinkt im Moment wieder aufgrund der Rohstoffpreise. Diese kann die EZB mit ihrer Geldpolitik nicht beeinflussen. Die EZB hat zwar über ihre Politik, insbesondere Zinssenkungen, den Wechselkurs beeinflusst, sprich der Euro hat abgewertet, insbesondere gegenüber dem US-Dollar.
Allerdings hat die Verschiebung der Zinserhöhung seitens der Fed wieder den Euro gestärkt. Das heißt die EZB hat nur teilweise die Möglichkeit, externe Einflüsse auf die Inflation zu beeinflussen. Zu beachten ist jedoch, dass die Kernrate der Inflation sich von ihrem Tief schon bis auf 0,9 Prozent erholt hat. Dies ist zum einen auf Strukturreformen zurückzuführen, die zu Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt geführt haben. Dies resultierte in einer langsamen Erhöhung der Löhne, was wiederum die Konsumnachfrage erhöhte. Die EZB hat durch ihre Geldpolitik hierbei unterstützend gewirkt.
Schlittert Europa gerade in eine Deflationsspirale?
Müller: Nein, wie angesprochen, die Kernrate ist nahe bei 1 Prozent. Es ist zu beobachten, dass das Verbrauchervertrauen durch fallende Preise – hervorgerufen durch die sinkenden Rohstoffpreise – unterstützt wird, da mehr Geld für andere Zwecke zur Verfügung steht.
Sollte die EZB ihr QE-Programm ausweiten?
Müller: Nein. Schon bevor die EZB mit den Käufen von Staatsanleihen angefangen hat, zeigten sich Verbesserungen in der Kreditvergabe. Diese Verbesserungen haben sich bis heute langsam fortgesetzt. Hätte ein solch niedriges Zinsumfeld nicht einen höheren Anstieg der Kreditnachfrage vermuten lassen? Unternehmen fragen Kredite nach, wenn sie interessante, gewinnbringende Investitionsobjekte in Aussicht haben. Dies scheint im Moment in nur moderatem Maße der Fall zu sein, sonst hätte sich bei diesem Zinsniveau mehr getan. Da die EZB zudem angekündigt hat, dass sie mindestens bis September 2016 mit den Käufen fortfahren wird, besteht für die Unternehmen auch kein Bedarf, sich zu beeilen, und sich die niedrigen Zinsen jetzt zu sichern.
Durch ihre Rhetorik macht die EZB ja immer deutlich, dass sie bereit ist, mehr zu tun, wenn nötig. Das heißt durch ihre Politik könnte die EZB eine Zurückhaltung bei der Kreditnachfrage hervorrufen, genau das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich intendiert hat. Auch wenn Unternehmen zumindest einen Teil der Kredite zum Rückkauf von Aktien nutzen, kann dies langfristig eher negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung wirken, wenn die Zinsen wieder steigen. Durch die niedrigen Zinsen und Renditen werden Anleger veranlasst, in risikoreichere Assetklassen zu investieren, die sie unter normalen Umständen gemieden hätten.
Die Gefahr einer Blasenbildung ist vorhanden, die die Stabilität der Finanzmärkte bedrohen kann. Sparer werden in diesem niedrigen Zinsumfeld benachteilig. Eine zu lange Niedrigzinsphase kann sie dazu veranlassen, für die zukünftige Altersabsicherung (der Barwert steigt) mehr zu sparen. Wieder würde die EZB das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen wollte. Staatsanleihekäufe bergen zudem die Gefahr eines “Moral Hazard”. Staaten müssen keine Strukturreformen durchführen, können sie sich doch dank der EZB auch bei hoher Verschuldung sehr günstig refinanzieren. Strukturreformen, die das Wachstum langfristig auf ein solides Fundament setzen, werden verhindert/verschoben.
In einer richtigen Krise mag eine Maßnahme wie QE als Überbrückung hilfreich sein. Über eine längere Frist wirkt sie wie eine Droge, die die Sorgen kurzfristig vergessen lässt. Langfristige Nebeneffekte sind jedoch gefährlich. Und… man braucht immer mehr von der Droge, um etwas “glücklich zu sein”. Dabei wächst die Wirtschaft – langsam-, die strukturellen Reformen zeigen nach und nach ihre Wirkung und das Konsumverhalten deutet nicht auf eine Deflationsspirale hin. Man sollte die Wirtschaft daher ohne “Drogen” gesunden lassen.
Unabhängig von dieser Meinung sehen wir es als durchaus wahrscheinlich an, dass die EZB eine Verlängerung von QE ankündigen wird.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann weist darauf hin, dass Verbraucher und Unternehmen durch den gesunkenen Ölpreis fast 25 Milliarden Euro mehr in der Tasche hätten. Das würde die Wirtschaft ankurbeln, ist Weidmann überzeugt. Daher ist für ihn eine Deflationsspirale vom Tisch. Stimmen Sie ihm zu?
Müller: Der fallende Ölpreis wirkt wie eine Steuersenkung in der Eurozone, unterstützt aktuell das Verbrauchervertrauen und senkt die Kosten der Unternehmen. Die Verbraucher üben keine Konsumzurückhaltung, sie sehen den niedrigen Ölpreis daher nicht als vorübergehend an. Von daher stimmen wir Herrn Weidmann zu.
Ölpreis ist für viele Experten die Lösung: Ziehen die Preise für Rohstoffe an, steigt auch die Inflation. Die Frage ist nur, wann der Ölpreis steigen wird. Was schätzen Sie?
Müller: Wir erwarten einen verhaltenen Ölpreisanstieg für das nächste Jahr auf etwa 55 Dollar/Barrel WTI bis zum September 2016, nachdem in diesem Jahr sehr viel Negatives eingepreist wurde. Somit erscheint uns eine langsame Erholung des Ölpreises mit Beginn des 2.Quartals 2016 möglich. Vielleicht ist der derzeitige Anstieg schon der Anfang zumindest einer Stabilisierung.
Wie würde sich eine nachhaltige und signifikante Deflation auf die Anlageklassen Aktien, Anleihen, Immobilien, Gold und Cash auswirken und wie sollten Investoren, die von einem solchen Szenario ausgehen, ihre Asset Allocation gestalten?
Müller: In einer Deflation nimmt der Wert des Geldes relativ zu Sachanlagen zu. Dies bedeutet für Anleger, dass eine nachhaltige Deflation negativ für alle Arten von Sachanlagen ist. Hierzu zählen natürlich neben Immobilien und Gold auch Aktien. Der Anleger sollte seinen Fokus auf sichere Anleihen mit positiven Zinsen richten oder bei negativen Renditen Bargeld bevorzugen. In diesem Umfeld kommt also Tagesgeld als Geldanlage wieder in Betracht. Allerdings sollte man berücksichtigen, dass es in der jüngeren Historie bisher zu keiner nachhaltigen Deflation kam. Der frühere amerikanische Notenbankpräsident Ben Bernanke sagte zum Thema Deflation einmal, dass die Notenbank ein sehr wirksames Gerät gegen Deflation besitzt – die Gelddruckmaschine.
Wann rechnen Sie damit, dass die Inflation in Europa wieder zumindest in die Nähe der EZB-Zielmarke von 2 Prozent herankommen wird?
Müller: Für 2016 erwarten wir ca. 1,2 Prozent pro Jahr Anstieg im Durchschnitt, wobei die monatlichen Raten zum Jahresende 2016 nahe 2 Prozent liegen können, insbesondere aufgrund von Basiseffekten aus dem Ölpreisverfall im 3.Quartal 2015. Dauerhaft über 1,5 Prozent liegende Inflationsraten erwarten wir erst 2017 mit einer weiteren Stabilisierung des Wachstums in der Euro-Zone auf/über Potential und auch einer Stabilisierung des Wachstums in den EM.
„Dividenden sind der neue Zins“ – stimmen Sie dieser Aussage zu?
Müller: Qualitätsaktien mit nachhaltigen Dividendenzahlungen sind auf jeden Fall eine lohnenswerte langfristige Anlageklasse. Sein gesamtes Vermögen in Dividendentitel zu stecken ist jedoch für viele Anleger keine Alternative, da auch diese sich den Schwankungen an den Märkten nicht entziehen können. Auf die gute Mischung kommt es an. Auch konservative Anleger sind langfristig sehr gut beraten, ihrem Portfolio Dividendentitel beizumischen, um langfristig gute Erträge zu erzielen.
Im September hat sich die Fed gegen eine Anhebung der Zinsen entschieden. Was meinen Sie, wird es noch was mit der Zinswende in den USA in diesem Jahr? Wenn nicht: Wann erwarten Sie eine Leitzinserhöhung durch die US-Notenbank?
Müller: Die größte Wahrscheinlichkeit für die Ankündigung eines ersten Zinsanstiegs hat für uns die Dezembersitzung. Grundlage dafür sind die solide Situation am Arbeitsmarkt, die Stabilisierung der Kernrate bzw. deren langsamer Anstieg und die Erwartung, dass die Situation in den EM und China keine starken Auswirkungen auf die US Wirtschaft haben wird.
Inflationsgeschützte Rentenfonds im derzeitigen deflationären Umfeld: Produkte, die die Welt nicht braucht oder haben sie doch irgendeinen Sinn?
Müller: Inflationsgeschütze Rentenfonds sind in einem deflationären Umfeld so sinnvoll wie ein Airbag für einen unfallfreien Fahrer. Solange kein “Inflationsunfall” droht, sind diese für ein Portfolio eher eine Belastung. Sollten jedoch Inflationssorgen wieder aufkeimen, können diese wie ein Airbag im Auto die negativen Auswirkungen von Inflation eindämmen. Generell sind aber auch Sachanlagen bei Inflation das Mittel der Wahl. Anleger mit Aktienbeimischung haben hier also automatisch bereits einen gewissen Schutz gegen Inflation im Portfolio.
Von: Svetlana Kerschner
Quelle: DAS INVESTMENT.