Pictet | Frankfurt, 04.02.2022.
Erfahren Sie mehr über die grossen Themen rund um Wissenschaft, Technologie und Nachhaltigkeit, die dazu beitragen, unsere Zukunft im kommenden Jahr – und darüber hinaus – zu gestalten.
1. Fokus auf Ernährungssicherheit
Die jüngsten Lieferkettenstörungen – die zu leeren Supermarktregalen geführt haben – haben das Thema Ernährungssicherheit in den Blickpunkt gerückt. Fortschrittliche Agrartechnologie und verbesserte Logistik sind der Schlüssel, um die stetig wachsende Weltbevölkerung vor dem Hintergrund des Klimawandels zu ernähren.
Zunächst einmal muss mehr Nahrung lokal produziert werden, was viele Vorteile hat, z.B. eine zuverlässigere Versorgung, weniger Abfall, geringere CO2-Belastung und bessere Rückverfolgbarkeit. Ausserdem werden die immer knapper werdenden Ressourcen, wie Süsswasser und Ackerland, entlastet. Vertikale Indoor-Farmen sind ein grosser Wachstumsbereich, der das Potenzial hat, hochwertige lokale Nahrung dort bereitzustellen, wo wenig Platz ist oder schwierige Klimabedingungen herrschen. Das Vertical-Farming-Unternehmen Kalera zum Beispiel wird dieses Jahr in Singapur eine neue Megafarm eröffnen, in der jährlich rund 500.000 kg Blattgemüse angebaut werden sollen. Der Inselstaat hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 30% seines Nahrungsbedarfs selbst zu decken (bislang sind es rund 10%).
Traditionelle Erzeuger machen sich ebenfalls die neuesten wissenschaftlichen Fortschritte zunutze, die uns die Möglichkeit geben, Kulturpflanzen auf die Umgebung abzustimmen und die Nährwerte zu verbessern. Die Blockchain wiederum kann helfen, die Ernteerträge zu steigern und Lieferketten zu straffen – und die Transparenz über die Herkunft unserer Nahrungsmittel zu erhöhen. Der französische Einzelhandelsriese Carrefour ist einer der Pioniere auf diesem Gebiet und möchte die Nutzung der Blockchain in diesem Jahr auf rund 300 Frischeprodukte ausweiten, deren Weg vom Feld ins Regal dann lückenlos zurückverfolgt werden kann.
Es besteht auch eine zunehmende Nachfrage nach Lebensmitteln, die direkt an die KonsumentInnen verkauft werden („Direct-to-Consumer“). Jedes moderne Modell für Nahrungsmittelerzeugung und -logistik, mit dem sich die komplexen globalen Lieferketten verkürzen und die Risiken von Logistikproblemen, Verderb und Kontamination reduzieren lassen, ist willkommen.
2. Holz neu erfunden
Holz war eines der ersten Materialien, die der Mensch bearbeitet hat – es wird seit mehr als 10.000 Jahren zum Bauen verwendet. Heute kommt Holz aufgrund seines Nachhaltigkeitsprofils eine andere besondere Bedeutung zu. Die Kommunalregierung in Paris zum Beispiel hat vorgeschrieben, dass Gebäude mit bis zu acht Stockwerken, die für die Olympischen Spiele 2024 errichtet werden, komplett aus Holz sein müssen. Generell plant Frankreich vorzuschreiben, dass für den Bau neuer öffentlicher Gebäude mindestens 50% Holz und andere natürliche Materialien zu verwenden sind. Der „Green Deal“ der EU und andere nachhaltigkeitsfokussierte Initiativen für den Aufschwung nach der Covid-19-Krise dürften diesen Sinneswandel beschleunigen. Durch CO2-Steuern könnte Holz zudem bezahlbarer werden.
Holz hat viele Vorzüge, die das Material attraktiv machen. Es ist feuerfest und bietet bis zu zwei Stunden Feuerbeständigkeit. Ausserdem brennt es langsam und gleichmässig – im Gegensatz zu einigen Metallen, wie Stahl, die schnell und unberechenbar schmelzen können, sobald sie eine kritische Temperatur erreichen, was zu einem Gebäudeeinsturz führen kann.
Technologie hilft der Natur nach. Die Holzbauweise war bislang dem Bau von Einfamilienhäusern oder kleinen Mehrfamilienhäusern vorbehalten, doch jetzt können dank KLH-Technologie (Kreuzlagenholz) auch mittelhohe bis hohe Gebäude nahezu komplett aus Holz gebaut werden. KLH besteht aus Lagen kreuzweise verleimter Einschichtplatten. Es ist stabil und tragfähig und wird für die Vorfertigung massiver Holz-, Boden- und anderer Strukturen verwendet, die auf der Baustelle dann viel schneller zusammengesetzt werden können. Dadurch werden Kosten gesenkt und Emissionen reduziert, und da Holz leichter ist, aber genauso stark wie andere Baustoffe, sind die Auswirkungen auf die Umwelt deutlich geringer.
Der Markt für Kreuzlagenholz dürfte bis 2025 weltweit von aktuell 670 Mio. US-Dollar auf rund 2,3 Mrd. US-Dollar anwachsen; das entspricht einem jährlichen Anstieg von rund 15%.1
Das Potenzial von Holz beschränkt sich nicht auf das Baugewerbe – es kommt auch in Sektoren wie Verpackung, Textilien, Lebensmittelzutaten und Hygieneprodukte zum Einsatz. Abgesehen von seiner Verwendung als Material ist Holz auch sehr wichtig für die CO2-Speicherung – eine Eigenschaft, die immer wertvoller wird.
3. Batterie-Boom
Die Welt stellt sich auf nachhaltigere Energie- und Stromquellen um. Das wiederum bedeutet, dass wir immer mehr Batterien brauchen, als Antrieb für Elektrofahrzeuge bis hin zur Speicherung von erneuerbarer Elektrizität.
Die Durchdringung der Elektrofahrzeuge dürfte sich den Prognosen zufolge bis 2030 auf 50% weltweit erhöhen (in Europa sogar auf 79%).2 Für diese vielen Fahrzeuge würden Lithiumbatterien mit einer Leistung von rund 4.000 GWH benötigt – das ist 25 Mal mehr als heute.3
Der Markt für grossformatige Batteriespeicher wiederum dürfte bis 2030 um das 20-Fache wachsen, so eine aktuelle Analyse von Bloomberg New Energy Finance. Das ist notwendig, um die Stromerzeugung durch die wachsende Zahl von Wind- und Solarparks in aller Welt zu glätten. Deren Wachstum wiederum wird durch ehrgeizige Klimaverpflichtungen und eine unterstützende Politik in Ländern wie den USA, China, Indien, Australien, Deutschland, Grossbritannien und Japan befeuert.
Batterien werden auch benötigt, um der wachsenden Nachfrage am Markt für Solardächer und Speicherlösungen für Wohn- und Gewerbeimmobilien gerecht zu werden.
Angesichts dieser starken erwarteten Nachfrage konzentriert sich die Technologie darauf, kleinere, leichtere und kostengünstigere Batterien zu entwickeln – und Möglichkeiten zu finden, von Lithium wegzukommen und andere Materialien wie Magnesium oder sogar Sauerstoff zu verwenden. Diese Forschungs- und Entwicklungsarbeit könnte im kommenden Jahr aufgrund gestiegener Lithiumpreise einen neuen Impuls bekommen.
4. Cyber-Risiken
Die Pandemie hat dazu geführt, dass sich überall auf der Welt die Arbeitsmodelle grundlegend verändert haben. Viele ArbeitnehmerInnen haben zumindest zeitweise im Homeoffice gearbeitet. Dadurch eröffnen sich Chancen in der digitalen Welt, nicht zuletzt durch verstärkte Investitionen in Clouddienste und den daraus resultierenden zunehmenden Bedarf an Rechenzentren. Auch damit sind wieder Herausforderungen verbunden, denken wir z.B. an die Cybersicherheit.
Da sich die Migration zu Cloud-Computing-Architekturen beschleunigt, richten immer mehr Unternehmen Zero-Trust-Sicherheitsinfrastrukturen ein, um den Benutzerzugriff auf Cloudserver zu kontrollieren. Im kommenden Jahr wird es auch Wachstum beim Einsatz der Zwei-Faktor-Authentifizierung und Biometrie geben. VPNs hingegen dürften zum Auslaufmodell werden, weil sie anfällig für Cyberangriffe sind. Branchenanalysten machen sich auch zunehmend Sorgen um das Wachstum sogenannter „Deepfakes“, d.h. täuschend echter Fotos und Videos zum Beispiel von Vorgesetzten oder ArbeitskollegInnen.
5. Leben im Metaversum
Spatial Computing hat uns bereits virtuelle Assistenten für Zuhause und Mitfahr-Apps beschert. Gamer können im eigenen Wohnzimmer gegen Dämonen kämpfen und Shopper Kleidung in der digitalen Ankleide anprobieren. Als nächstes käme dann, dass wir als Avatare zur Arbeit gehen, einkaufen und uns mit Freunden treffen – in einer dreidimensionalen digitalen Welt, die sich über unsere eigene legt. Willkommen im Metaversum, einer geteilten virtuellen Umgebung, in der die physische und die digitale Welt durch Virtual und Augmented Reality (VR und AR) verschmelzen und die ein Gefühl von Unmittelbarkeit und immersivem Erleben vermittelt.
Viele Jahre haben klobige Headsets, schlechte Konnektivität und nicht genug brauchbarer Content den Aufstieg dieser Technologien ausgebremst. Im Zuge der Fortschritte im Bereich 5G-Netze und -Smartphones ändert sich das gerade. Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit offener gegenüber Online-Interaktion geworden. Besonders bei der Generation Z – die zwischen Ende der 1990er und Anfang der 2010er geboren wurde und heute ein Drittel der Weltbevölkerung ausmacht – erfreut sich dieses Konzept zunehmender Beliebtheit.
Das bleibt den grossen Technologieunternehmen natürlich nicht verborgen. Microsoft hat jüngst angekündigt, Activation Blizzard übernehmen zu wollen, den Entwickler der „Call of Duty“-Computerspiele, weil dies eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Metaversum-Plattformen spiele. Und die Muttergesellschaft von Facebook hat sich vorsorglich schon mal einen neuen Namen gegeben – „Meta“. Der globale Metaversum-Markt könnte bis Mitte der 2020er-Jahre auf rund 800 Mrd. US-Dollar wachsen, so Bloomberg. Das betrifft Hardware (wie VR-Brillen), Software (für Shopping, Socialising, Bildung und Arbeit), Cloudkapazität und Infrastruktur (bessere Netzwerke, mit höherer Bandbreite und geringerer Latenz).
6. Diagnose bitte
Im Zuge der Covid-19-Pandemie ist die Diagnostik ebenfalls in den Blickpunkt gerückt. Der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns wurde schnell als wichtiger Hinweis auf das Virus identifiziert. Dieser Zusammenhang wurde jedoch nicht von Ärzten, Epidemiologen oder Laborwissenschaftlern erkannt – sondern von Computern, die Daten von Millionen Menschen über die ZOE App gesammelt und ausgewertet haben.
Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Das Potenzial von KI in der Diagnostik geht weit über Pandemien hinaus. Nach der Auswertung mehrerer tausend Scans konnten Maschinen Brustkrebs mit einer Genauigkeit erkennen, die mit der erfahrener menschlicher Radiologen vergleichbar ist. Mit solchen Ansätzen könnte es auch möglich sein, Diagnosen an Orten zu stellen, an denen es nur wenige oder gar keine Ärzte gibt, insbesondere in entlegenen Gegenden und in Entwicklungsländern.
Das ist entscheidend, da durch frühzeitige Diagnosen auch die Krebsdiagnose beschleunigt werden könnte, das heisst, die Behandlung kann schneller stattfinden, sodass die Heilungschancen grösser sind und das Risiko einer Streuung gemindert wird. Regierungen, die sich alternden Bevölkerungen und überlasteten Staatshaushalten gegenübersehen, erkennen zunehmend diese Vorteile und investieren entsprechend. Das Vereinigte Königreich zum Beispiel stellt dem staatlichen Gesundheitssystem NHS in diesem Jahr 248 Mio. britische Pfund für Investitionen in Technologie für Diagnosetests, Checks und Scans zur Verfügung.
7. PFAS-Verschmutzung
PFAS ist eine synthetische „Wunder“-Chemikalie, die in einer Vielzahl von Haushaltsgegenständen und Industrieprodukten zum Einsatz kommt, von Pfannen mit Antihaftbeschichtung über Popcorn-Tüten für die Mikrowelle und Zahnseide bis hin zu fleckenbeständigen und wasserabweisenden Stoffen, Löschschaum und Wasseraufbereitungssystemen. Seine Beliebtheit hat der Stoff teilweise seiner Haltbarkeit zu verdanken. Das ist gleichzeitig aber auch sein grösstes Manko – das die zunehmend umweltbewusste Welt immer mehr ankreidet. PFAS baut sich nicht ab.
Regierungen beginnen langsam, die Chemikalie zu regulieren und deren Verwendung zu beschränken. Die grosse Herausforderung besteht darin, die vorhandene Verschmutzung zu beseitigen (was z.B. mit Aktivkohle möglich ist) und umweltschonendere Alternativen zu PFAS zu entwickeln. Letzteres ist in der EU besonders dringlich – dort werden im kommenden Jahr rund 200 PFAS verboten. Darauf werden sich die Produktionsunternehmen einstellen müssen. In der Lebensmittelverpackungsindustrie beispielsweise wird mit Beschichtungen aus Bambus, Palmblättern und Ton experimentiert.
[1] Transparency Market Research [2] UBS Q-Series, „EVs shifting into overdrive“ (März 2021) [3] Bloomberg New Energy Finance
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