Pictet | Frankfurt, 11.02.2022.
Es war ein trüber Start ins neue Jahr. Das Wirtschaftswachstum hat enttäuscht, die Zahl der Covid-19-Infektionen ist rasant gestiegen und bei Aktien und Anleihen gab es einen massiven Ausverkauf. Wir glauben aber, dass die Weltwirtschaft und die Aktienmärkte das Schlimmste überstanden haben könnten – zumindest vorerst.
Obwohl die jüngsten Wirtschaftsdaten bestenfalls gemischt sind, deuten unsere Konjunkturzyklusindikatoren darauf hin, dass die Erholung weiter intakt ist. Auch wenn wir unsere Prognose für das globale Wachstum 2022 von 4,8% auf 4,4% gesenkt haben, liegt sie immer noch über der Konsensschätzung von 4,2%.1
Die negativen Auswirkungen der Omikron-Variante dürften sich im Wesentlichen auf das erste Quartal dieses Jahres beschränken. Wir gehen davon aus, dass eine Rückkehr zu normalen Wirtschaftsbedingungen das bestimmende Thema dieses Jahr sein dürfte – die Dienstleistungssektoren werden sich vermutlich wieder öffnen und auf das Aktivitätsniveau vor der Pandemie zurückkehren, die Lieferkettenengpässe dürften sich auflösen und vor allem der Preisdruck dürfte früh im Jahr seinen Höhepunkt erreichen.
Was die USA anbelangt, gehen wir davon aus, dass die Inflation im März ihren höchsten Stand erreichen wird. Das dürften gute Neuigkeiten für Kapitalanlagen sein, weil das Risiko einer zu starken Straffung durch die US-Notenbank dadurch abnimmt. Die Lieferzeiten verkürzen sich und die Umfragen bei den Einkaufsleitern deuten auf eine Desinflation hin.
Andernorts sehen wir mehr Grund für Optimismus, z.B. in China, wo nun eine breite Erholung in allen Sektoren zu beobachten ist. Auch wenn sich unser Frühindikator immer noch im negativen Bereich befindet, hat sich die Dynamik verbessert. Die Wiederbeschleunigung bei Sachinvestitionen ist besonders stark, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, und auch die Infrastrukturausgaben steigen. Die Kreditbedingungen verbessern sich ebenfalls, und die Politik ist weiterhin bereit, auf Wachstumsprobleme zu reagieren.
Während die Märkte überall auf der Welt die Möglichkeit einer starken Straffung der Geldpolitik einpreisen, zeichnen unsere Liquiditätsindikatoren ein ausgewogeneres Bild.
In unseren Kennzahlen schlägt sich natürlich auch die aggressivere Haltung der Fed nieder; einem FOMC-Mitglied zufolge könnte die US-Notenbank ihre Leitzinsen im März um 50 Basispunkte anheben. Der Markt hat bereits mehr als vier Zinserhöhungen für das Jahr eingepreist. Allerdings besteht weiterhin Unsicherheit in Bezug auf den Zeitpunkt, das Tempo und die Datenabhängigkeit einer quantitativen Straffung und natürlich auch in Bezug auf die Auswirkungen auf Kapitalanlagen.
Wir stellen uns auf eine mögliche „vierfache Straffung“ in den USA ein: Ausstieg aus der quantitativen Lockerung (QE), Zinserhöhungen, Beginn der quantitativen Straffung (QT) und eine Straffung der realen geldpolitischen Bedingungen, wenn die Inflation abnimmt. Unsere Liquiditätsmodelle deuten darauf hin, dass die kumulative Wirkung dieser Entwicklungen allein in diesem Jahr zu einem Anstieg des „versteckten“ realen Leitzinses in den USA um 4,5–5 Prozentpunkte führen könnte – bereinigt um QE- und QT-Massnahmen.3 Zum Vergleich: Die Straffung im Zeitraum 2014–19 lag bei 6 Prozentpunkten.
Diese Straffung wird jedoch an anderer Stelle durch eine Lockerung der Bedingungen kompensiert.
Im privaten Sektor beispielsweise beschleunigt sich der Kreditfluss und liegt nun weltweit bei 10,2% des BIP.2
Während einige Notenbanken auf Straffungskurs sind, bewegt sich China weiterhin entschlossen in die entgegengesetzte Richtung. Seit Dezember gab es mehrere Ankündigungen der chinesischen Währungshüter: Senkung des Mindestreservesatzes (RRR) um 50 Basispunkte, Senkung der Kreditzinssätze für kleine und mittlere Unternehmen und Kredite im ländlichen Raum und vor allem eine Senkung der Leitzinsen um 10 Basispunkte und eine Senkung der Kreditreferenzsätze. Die verschiedenen politischen Entscheidungsträger scheinen eine Sprache zu sprechen, was auf eine weitere Lockerung hindeutet.
Wir werden die Entwicklung aufmerksam verfolgen und stellen uns darauf ein, gegen Jahresende bei Bedarf wieder eine vorsichtigere Haltung einzunehmen. Vorerst sind die globalen Liquiditätsbedingungen für Risikoanlagen jedoch weitgehend neutral.
Unsere Bewertungsindikatoren zeigen, dass Aktien insgesamt verhältnismässig attraktiv erscheinen; sie weisen in unserer Scorecard die beste Bewertung seit März auf und werden ganz in der Nähe ihres Marktwertes gehandelt. Angesichts des Rückgangs des KGV des MSCI ACWI um rund 20% seit September 2020 (von 20,7 auf 16,7 im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie) deuten unsere Modelle nun auf keinen weiteren Rückgang der KGVs bis zum Jahresende hin.
Bei den Sektoren erscheinen Grundstoffe und Gesundheitswerte besonders attraktiv bewertet und auch Technologie ist nicht mehr überteuert. Chinesische Aktien sind gut positioniert, um einen Teil der schlechten Wertentwicklung im Jahr 2021 wettzumachen. China ist nach unseren Modellen aktuell eine der günstigsten Aktienregionen.
Auch bei Anleihen haben sich die Bewertungsergebnisse verbessert.
Markttechnische Indikatoren deuten auf schlechte saisonale Trends bei Anleihen hin; Anleihefonds verzeichneten seit Jahresbeginn nur mässige Zuflüsse. Im Gegensatz dazu sind rund 67 Mrd. US-Dollar in Aktienfonds geflossen, trotz des jüngsten Ausverkaufs. Vor allem die Zuflüsse in chinesische Aktien haben sich beschleunigt, was sich mit unserer positiveren Haltung gegenüber dem Aktienmarkt des Landes deckt.
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