Fidelity | Kronberg, 04.12.2020.
2020 erinnert uns daran, dass Krisen immer möglich sind und jede Krise ihr Eigenleben entwickelt. Viele Marktteilnehmer gehen mit Optimismus ins neue Jahr und dafür gibt es gute Gründe. Trotz zuletzt einiger positiven Nachrichten – gerade aus der Impfstoffentwicklung – bleibt aber eine gewisse Vorsicht unerlässlich.
Die Coronavirus-Krise löste den schnellsten Börsencrash der Geschichte aus – gefolgt von der schnellsten Erholung.
Diese geht nicht zuletzt auf eine beispiellose geld- und fiskalpolitische Reaktion zurück. An der Schwelle zum Jahr 2021 steht diese Erholung der Weltwirtschaft allerdings auf der Kippe. Bleiben fiskalpolitische Impulse wie bisher moderat, werden die Notenbanken weiterhin den Löwenanteil leisten und die Konjunktur unterstützen.
Die Einführung von Impfstoffen rückt bekanntlich näher, doch der wirtschaftliche Schaden, der durch die Coronavirus-Krise entstanden ist, wird gleichzeitig immer deutlicher. Sind die Märkte zu stark vorweggelaufen? Ist der Unterschied zwischen Realwirtschaft und den Kapitalmärkten zu groß geworden? Riskieren wir eine höhere Inflation als es uns lieb sein kann? Wenn es je eine Zeit gab, in der man als Anleger dynamisch über Regionen und Anlageklassen hinweg diversifiziert sein sollte, dann wird 2021 die Bewährungsprobe für einen solchen Ansatz sein.
Sektorrotation voraus
Während Fiskalprogramme „nur“ das Wachstum fördern, können Impfstoffe den Markt förmlich rotieren lassen. Denn sie sorgen für eine Normalisierung des Lebens wie wir es kennen. Das spricht für eine weitere Bewegung der Zykliker, die im November schon begonnen hat und die aus meiner Sicht noch weiteres, deutliches Aufholpotenzial an den Märkten aufweist. Zyklische Werte schwanken aber stärker und bewegen sich heftiger, daher wird dies nicht ohne Folgen für die Marktvolatilität bleiben. Damit dürfte sich die Marktbreite erhöhen und die Chancen, interessant bewertete Papiere zu kaufen, die im Verlauf der letzten Monate aus dem Fokus rückten. Davon ausgenommen sind Banken und Öl, da sie strukturellen Gegenwind von niedrigen Zinsen und einem Fokus auf nachhaltigen Anlagestrategien haben.
Die Anführer der bisherigen Marktbewegung werden es in diesem Umfeld etwas schwerer haben. Die ihnen zugrundeliegenden Megatrends wie Technologie, Digitalisierung und Wachstum der Online-Welt sind damit nicht ad acta gelegt. Aber sie dürften eine Verschnaufpause einlegen.
Ich glaube also nicht, dass wir in 2021 die Sterne vom Himmel holen, was die globalen Indexstände betrifft; die wirklich interessanten Bewegungen werden unter der Oberfläche stattfinden. Wir werden also eine Rotation der Sektoren, aber vor allem auch eine Rotation innerhalb der Sektoren sehen. Aufgrund dessen bleibt ein aktiver Investmentansatz das Gebot der Stunde. Nur so lässt sich den sich schnell verändernden Marktbedingungen Rechnung tragen.
Warum Inflation doch ein Thema bleiben wird
Ein weiteres sehr kontroverses Thema ist Inflation. Das ist insofern interessant, weil momentan von Inflation weit und breit keine Spur ist. Genauso wenig wie im gesamten letzten Jahrzehnt. Warum gibt es dann überhaupt diese Diskussion? Wir haben eine enorme Ausweitung der Geldmengen erlebt, die in dieser Form historisch immer zu einer Inflation geführt haben. Und zweitens dürften auch die Fiskalprogramme ihr Übriges tun, um inflationäre Effekte anzufachen. Das alles steht im starken Kontrast zu den enormen disinflationären säkularen Trends, die wir seit einigen Jahren sehen: Demografie, Technologie, Zombifizierung etc. In Kombination mit dem neuen Regime der FED, kurzfristige Anstiege der Inflationsraten erst einmal laufen zu lassen, könnte dies gerade für den Anleihebereich im neuen Jahr interessant werden. Auch hier sind höhere Schwankungen zu erwarten, gerade für Papiere mit langer Duration wie z.B. länger laufende Staatsanleihen.
Die Jagd nach Renditen wird uns ansonsten erhalten bleiben, daher dürften Unternehmensanleihen weiter gefragt sein, auch durch den anhaltenden Kaufdruck der Zentralbanken. Diversifikation ist einmal mehr das Gebot der Stunde. Sie wird umso notwendiger als die Schwankungen steigen und die Markttrends sich verkürzen. Klassische Staatsanleihen weisen nicht mehr die historisch defensiven Eigenschaften und niedrige Korrelationen auf. Warum nicht einmal den Blick beispielsweise auf chinesische Bonds werfen, die genau diesen Anspruch erfüllen können.
Möglichkeiten zur Diversifizierung: Asiens Führungsrolle
Auch auf regionaler Ebene muss klar differenziert werden. Die „globale Weltwirtschaft“ gibt es nicht mehr, weil die Hilfsprogramme und die Erholungspfade viel zu unterschiedlich verlaufen. Das hat auch einen Einfluss auf Währungen und Volatilitäten.
Auf mittlere Sicht erwarten wir, dass die Schwäche des US-Dollars anhalten wird, solange die US-Notenbank an einer lockeren Geldpolitik festhält. Das wäre positiv für die Märkte außerhalb der Vereinigten Staaten, insbesondere in Asien. China hält seine Geldpolitik auf eher neutralem Niveau, nachdem es seine Banken zur Geduld mit Unternehmen aufgefordert hat, deren Geschäft unter der Coronavirus-Krise leidet. Gleichzeitig treibt die chinesische Regierung inländische Reformen voran. Dadurch könnten sich die Erträge im Jahr 2021 stabilisieren, sodass chinesische Unternehmen globalen Investoren ein gewisses Maß an Diversifizierung bieten würden.
Asien wird als Konsequenz aus der Krise eine neue Führungsrolle an den Märkten übernehmen. Das drückt sich in der schnelleren Erholung und den höheren Wachstumserwartungen aus. Neben einem schwächeren US-Dollar sollten moderate Ölpreise dabei ebenso helfen. Durch die bessere wirtschaftliche Lage und eher gezielte als breite Stimulus-Maßnahmen ist die Abweichung der volkswirtschaftlichen Lage zu den Kapitalmärkten nicht so ausgeprägt wie in den USA oder Europa. Das kürzlich bekanntgegebene Handelsbündnis RCEP dürfte zu einer weiteren Stärkung der Region im globalen Kontext beitragen.
Fazit: Chancen und Risiken in unsicheren Zeiten
Halten wir fest: Mehrere Unsicherheitsfaktoren werden die Finanzmärkte 2021 begleiten. Der Zeitpunkt der Bereitstellung von Impfstoffen, die Auswirkungen der geld- bzw. fiskalpolitischen Anreize und das Gewinnwachstum sind zentrale Ankerpunkte. Klar ist, wo eine Krise herrscht, entstehen auch Chancen. Wenn allerdings die Bewertungen an den Märkten zu sehr vom Prinzip Optimismus getrieben werden, sollten Anleger wachsam bleiben. Den Realitätscheck müssen die Märkte erst noch bestehen.
von Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International
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