Degroof Petercam | Brüssel, 15.08.2020.
Ophélie Mortier, Responsible Investment Strategist bei Degroof Petercam Asset Management (DPAM), analysiert in ihrem Beitrag, welche Konsequenzen die Corona-Pandemie für Aktionärsaktivitäten hat:
Aktivitäten von Aktionären werden, wie jede andere Aktivität auch, durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt: Die Abstimmungssaison 2020 ist durch den Slowdown, Terminverschiebungen und virtuelle Hauptversammlungen gekennzeichnet.
Durch die aktuellen Umstände haben sich Anteilseigner eher nur an Abstimmungsaktivitäten beteiligt. Aber sobald wir uns von dieser Krise erholen, wird wahrscheinlich auch der Aktivismus wieder zunehmen. Dies hat bedeutende Konsequenzen für Unternehmen, insbesondere wenn diese durch den Slowdown ernsthaft geschwächt wurden und ihre Bewertungen vergleichsweise niedrig geworden sind, was in der Folge zu Übernahmen führen könnte. Anwälte, Corporate-Governance-Experten und Stimmrechtsberater haben bereits vor diesem Risiko gewarnt. Sie raten insbesondere in den USA ansässigen Unternehmen, in Abhängigkeit von den jeweiligen nationalen Vorschriften zu entsprechenden Abwehrmaßnahmen zum Schutz vor der Bedrohung durch opportunistische Bieter.
Unternehmen könnten vorübergehend Rechts- oder Aktionärsrechtspläne(1) verabschieden, um beim Übergang zurück zur Normalität für eine gewisse Atempause zu sorgen.
Diese beispiellosen Zeiten haben zu beispiellosen Interventionen von Regierungen und Zentralbanken geführt. Sollten sie auch zu noch nie dagewesenen Maßnahmen führen in Bezug auf die Flexibilität bei grundlegenden Prinzipien der Unternehmensführung?
Es wird interessant sein, wie Aktionäre darauf reagieren. Während einige der Idee zustimmen könnten, Unternehmen mit vorübergehenden Schutzmaßnahmen gegen Übernahmen zu schützen, werden sich andere wahrscheinlich strikt gegen diese Mechanismen aussprechen, da sie die Rechte der Aktionäre, insbesondere die der Minderheitsaktionäre, einschränken. Eine Möglichkeit besteht darin, von Fall zu Fall zu prüfen, ob es sich lohnt, Unternehmen eine gewisse Flexibilität in Form einer vorübergehenden Schonfrist für ihre üblichen finanziellen Verpflichtungen zu gewähren.
Abgesehen von solchen vorübergehenden Ausnahmen von Regeln und Grundprinzipien sollte Engagement die bevorzugte Option bleiben. Als verantwortungsbewusster und engagierter Investor besteht unsere Hauptaufgabe und Verantwortung darin, das nachhaltige Wachstum der Unternehmen in unseren Portfolios zu unterstützen. Folglich konzentrieren wir uns vor allem auf aktives Engagement. Erstens ermöglicht es uns besser zu verstehen, warum einzelne Unternehmen bei ihrem Krisenmanagement Probleme haben. Dabei setzen wir uns dafür ein, dass sich unsere Portfoliounternehmen ausreichend auf die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter konzentrieren. Zweitens drängt es uns, für die Antworten der Unternehmen empfänglich zu sein, und gibt uns den notwendigen Kontext, um sie entsprechend zu verstehen. Dies beeinflusst gleichzeitig die langfristige Vision in unserem Prozess der Investitionsentscheidung. Langfristige Investitionsentscheidungen sollten auch im Ausdruck der Aktionäre auf die langfristige Perspektive ausgerichtet sein. Drittens bedeutet aktives Engagement, dass wir auf Hauptversammlungen (auch bei virtuellen) weiterhin abstimmen und unsere Stimme zum Ausdruck bringen. Diese Grundsätze stehen im Einklang mit den kürzlich formulierten PRI-Empfehlungen zur COVID-Krise.
All dies hat einen bedeutenden Einfluss auf den vorrangigen Stellenwert, der Aktionären häufig beigemessen wird. Wir sind in diesem Kontext davon überzeugt, dass Unternehmen ausschließlich versuchen sollten, innerhalb der gesetzlichen Bandbreiten Gewinne für ihre Aktionäre zu maximieren.
Tatsächlich hat sich der Trend zur Verringerung des Vorrangs von Aktionären bereits vor der COVID-Krise abgezeichnet. Mehrere Initiativen haben sich für eine stärkere Betonung anderer Stakeholder eines Unternehmens ausgesprochen (z.B. Aktionen der Aktionäre gegenüber großen Öl-Firmen hinsichtlich ihrer Klimaverantwortung oder die Anfechtung übermäßiger Steueroptimierungen, usw.). Das Neue Paradigma(2) ist ein bemerkenswertes Beispiel für solche Initiativen. Es fördert Transparenz und Engagement, um eine faire Behandlung aller Stakeholder zu gewährleisten. Darüber hinaus schränkt es eine übermäßige Konzentration auf das Kurzfristige ein, indem es gegen aktivistischen Druck vorgeht, der sich ausschließlich auf kurzfristiges Gewinnstreben konzentriert.
Die Theorie der ‚Stakeholder-Governance‘ hat sich aus den Grundlagen der Corporate Governance entwickelt. Stakeholder-Governance betont die moralische Verpflichtung eines Unternehmens, sich einem einzigen Zweck zu verpflichten. Im Fokus liegen dabei ganz klar die Förderung der Wirtschaft und Erleichterungen für die Gesellschaft als Ganzes. Der Hauptzweck eines Unternehmens sollte daher auf die Schaffung von langfristigem Unternehmenswert ausgerichtet sein. Diese moralische Verpflichtung ist nach und nach zu einer Voraussetzung für einige Zertifizierungen (z.B. das B-Corp-Label) geworden. Unternehmen müssen hierfür ihren gesellschaftlichen Zweck klar formulieren und diesen in ihren formellen Gründungsurkunden festhalten(3).
Die Covid-19-Krise hat diesen Trend noch verstärkt. Parallel tauchen einzelne Initiativen auf, die sich auf andere Interessengruppen konzentrieren und Investoren zum Handeln auffordern, um die schädlichen Auswirkungen des Virus zu reduzieren. Denn als Investoren können verantwortungsbewusste Aktionäre ebenfalls eine treibende Kraft sein.
Der Prioritätenwechsel von Aktionären zu Stakeholdern könnte zu intensiven Debatten und herausfordernden Entscheidungsfragen führen. Ein aktuelles Beispiel ist der Aufruf eines Unternehmens an die Aktionäre, einen Prozentsatz ihrer erhaltenen Dividende in einen Solidaritätsfonds für die von der Pandemie betroffenen Mitarbeiter des Unternehmens einzuzahlen. Die Abstimmungsentscheidung in dieser Angelegenheit ist nicht so eindeutig, wie man es erwarten würde. Zunächst einmal könnten wir uns die Unterstützung (oder das Fehlen einer solchen) seitens der anderen Stakeholder des Unternehmens ansehen. Wir haben ein- oder zweijährige Lohnkürzungen von mehreren Führungskräften und leitenden Angestellten erlebt, um die Folgen von Covid-19 zu mildern. Zweitens handelte es sich um eine Dividendenzahlung aus dem Jahr 2019, also vor dem weltweiten Ausbruch des Virus. Drittens, wie sieht es mit kollektiven Finanzinstrumenten wie Investmentfonds aus? Wie können wir das Abstimmungsverhalten aller Aktionäre dieser Anlageinstrumente beurteilen? Sollte es angesichts dieser Herausforderung nicht das oberste Ziel eines Fonds sein, die Rechte seiner Anteilinhaber zu verteidigen? Die Situation ist nicht einfach. Gleichzeitig haben Unternehmen eine umfassende Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Die Regulierungsbehörden könnten ausarbeiten, wie das richtige Gleichgewicht zwischen den Stakeholdern eines Unternehmens und dem Einfluss und den Zielen der Aktionäre erreicht werden kann. Einige Beispiele für Regulierungsinitiativen oder bewährte Praktiken sind u.a. der überarbeitete Governance-Kodex in Großbritannien oder die Erklärung des ‚Business Roundtable‘ über den Zweck eines Unternehmens. Letztere Initiative brachte in den USA 180 CEOs zusammen, die sich in der Folge verpflichteten, ihre Unternehmen so zu führen, dass alle Interessengruppen (Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Kommunen und Aktionäre) davon profitieren.
Wenn es uns gelingt, die Vormachtstellung der Aktionäre zu beenden, müssten die Unternehmen in zunehmendem Maße Stakeholdern den Vorrang einräumen, und zwar auf Kosten des ‚Shareholder-Value‘. Es spricht viel dafür, dass ein geringerer Stellenwert von Aktionären die Bedeutung von ESG in der gesamten Unternehmens- und Investitionslandschaft erhöhen würde. Wir sollten uns daran erinnern, dass ESG-Integration auf einem Win-Win-Konzept gemeinsamer Werte basiert, d.h. sowohl Stakeholder als auch Aktionäre profitieren von den ESG-Verpflichtungen eines Unternehmens. Es ist einfach nur gesunder Menschenverstand: Wenn man den Energie- bzw. Ressourcenverbrauch effizient verwaltet, kommt dies der Umwelt zugute und führt gleichzeitig zu Kostensenkungen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass COVID-19 potenzielle Auswirkungen auf die Unternehmensführung und den Aktivismus von Investoren haben wird. Dies könnte das Paradigma der langfristigen Wertschöpfung und des kurzfristigen Drucks in Frage stellen und gleichzeitig nachhaltiges Wachstum sicherstellen – beschrieben von Mark Carney, dem ehemaligen Gouverneur der Bank von England mit „The Tragedy of the Horizon“. Die fortschreitende Integration von ESG sollte daher der Auftakt für eine positive Entwicklungsspirale sein, die längere Zeithorizonte für Investitionen und bessere ESG-Praktiken ermöglicht.
(1)Ein Aktionärsrechtsplan ist eine defensive Strategie, um sich feindlichen Übernahmen zu widersetzen. Indem ein Unternehmen seinen Aktionären das Recht einräumt, zusätzliche Aktien mit einem Abschlag zu erwerben, zielt es darauf ab, die feindliche Übernahme zu verwässern. Diese Strategie kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn ein Aktionär einen Prozentsatz der Unternehmensanteile erhält, der größer ist als der der anderen Aktionäre.
(2)Harvard Law School, Forum Unternehmensführung und Finanzregulierung – Februar 2019
(3)Diese Anforderung kann von Land zu Land unterschiedlich sein.