Bellevue | Küsnacht, 12.03.2019.
Massgeschneiderte Medikamente, die bei bestimmten Patientengruppen ansprechen und in Einzelfällen eine völlige Heilung bewirken, erobern die Pharmabranche. Wie eine wachsende Zahl von neuen Therapien die Medizin verändert und zunehmend auf dem Radar von Anlegern erscheint. Dr. Daniel Koller, Head of Investment Team des BB Biotech, berichtet in seinem Artikel für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), wie bisher unheilbare Krankheiten dauerhaft behandelbar gemacht werden oder sogar vollständig zu heilen sind.
Bisher unheilbare Krankheiten dauerhaft behandelbar machen oder sogar vollständig heilen: Was die Wunschvorstellung aller biopharmazeutischen Unternehmen ist, wird dank den wissenschaftlichen Fortschritten gerade in den vergangenen Jahren immer mehr zur Realität. Schrittmacher für diese Entwicklung sind zahlreiche neue Behandlungsansätze wie die Immuntherapie oder die genetischen Therapien.
Aus kommerzieller Sicht von Interesse sind die sogenannten «orphan diseases». Allein in den USA, dem weltweit grössten Gesundheitsmarkt, sind 30 Millionen Bürger von einer der mehr als 7000 seltenen Erkrankungen betroffen. Als solche definiert werden Krankheiten, die einen limitierten Patientenkreis betreffen (weniger als 200 000 Patienten in den USA). Viele dieser Krankheiten werden häufig durch einen genetischen Fehler verursacht.
Zahlreiche regulatorische und steuerliche Anreize fördern die Entwicklung von Medikamenten gegen «orphan diseases». So sichert in den USA die Orphan Drug Act von 1983 über sieben Jahre eine exklusive Vermarkung zugelassener Produkte. Dazu kann die Hälfte der Entwicklungskosten steuerlich abgesetzt werden, und den Firmen wird ein Voucher zugeteilt, welcher nach einer Zulassung monetär verwertet werden kann. Weil teilweise nur wenige tausend Patienten betroffen sind, ist es essenziell, dass finanzieller und zeitlicher Aufwand für die klinischen Studien limitiert bleibt. Das ermöglicht es immer mehr Biotechfirmen, Nischen in einzelnen Indikationen zu besetzen.
Für mehr als 450 dieser «orphan diseases» existieren mittlerweile Behandlungsoptionen. Rund die Hälfte davon kommt in der Krebsmedizin zum Einsatz. Die zwei anderen grossen Felder sind Erkrankungen, die durch einen bestimmten Gendefekt ausgelöst werden, und die Bluterkrankungen. Darüber hinaus sind die Nervenerkrankungen nach unserer Einschätzung ein weiteres Feld, das in Zukunft eine wachsende Zahl von klinischen Produkten hervorbringen wird.
Längst sind die «orphan drugs» eine treibende Kraft für die wachsende Zahl der neu zugelassenen Medikamente. Zugleich werden die hohen und weiter steigenden Preise für «orphan drugs» zu einer wachsenden Herausforderung für die Gesundheitssysteme. Ihre Preissetzungsmacht stützen die Firmen darauf, dass ein hoher medizinischer Wertgewinn für die Patienten besteht und auch ohne die neuen Arzneien hohe andere Gesundheitskosten anfallen.
Ein Beispiel ist das von Ionis Pharma und Biogen entwickelte Präparat Spinraza, das Ende 2016 erstmals in den USA zur Behandlung von spinaler Muskelatrophie zugelassen wurde. Unbehandelt führt dieser durch rückgebildete Nervenzellen ausgelöste Muskelschwund bei Kleinkindern zum Tod. Eine Behandlung mit Spinraza kostet 750 000 $ im ersten und 350 000 $ im zweiten Behandlungsjahr.
Kite Pharma und Juno Therapeutics zählen wiederum zu den Vorreitern in der CAR-T-Therapie gegen verschiedene Blutkrebsarten. Dabei werden aus dem Blut von Patienten entnommene Immunzellen im Labor genetisch verändert, vermehrt und dann per Infusion wieder verabreicht. Die «aufgeladenen» Immunzellen erkennen die Krebszellen und greifen diese an. Beide Firmen wurden vor der finalen Zulassung ihrer ersten Produkte übernommen: Kite Pharma im August 2017 durch Gilead Sciences und Juno Therapeutics im Februar 2018 durch Celgene.
Das beste Risiko-Rendite-Profil für Investoren versprechen neue Therapieansätze für «orphan drugs» genau dann, wenn sie ihren nachhaltigen medizinischen Nutzen eindeutig untermauert haben. Dies ist sowohl bei den derzeit viel diskutierten Geneditierungen als auch bei den Gentherapien heutzutage meist herausfordernd, denn es fehlen die langfristigen medizinischen Vorteile und Kosteneinsparungen, welche den hohen einmal anfallenden Therapiekosten entgegenzusetzen sind. Anders als bei herkömmlichen Gentherapien liefert das Gen-Editing keine Ersatzfunktionen für die fehlende Erbinformation eines defekten Gens, zum Beispiel über eine Enzymersatztherapie. Stattdessen wird mithilfe der sogenannten Crispr-Technologie ein zellulärer Mechanismus in Gang gesetzt, welcher die defekten Passagen mit einer «Genschere» zukünftig vollständig reparieren soll. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist, dass mit nur einer Anwendung die potenzielle Heilung erreicht werden kann. Allerdings befindet sich das am weitesten fortgeschrittene Crispr-Produkt noch in früher klinischer Entwicklung.
Firmen, die Therapien gegen «orphan diseases» zur Marktreife entwickeln, können ein zentraler Baustein in einem Biotech-Portfolio sein. Die US-Firma Vertex Pharma ist hier ein Paradebeispiel dafür, wie sich eine kommerziell lukrative Marktnische dominieren lässt. Mukoviszidose ist eine durch einen genetischen Defekt bedingte Krankheit, bei der Schleim in der Lunge verdickt und somit die Lungenreinigung reduziert wird und die Patienten eine verkürzte Lebensdauer haben. Medikamente, welche diese Krankheit dauerhaft in Schach halten, haben daher eine starke Preissetzungsmacht. Vertex ist hier absoluter Vorreiter mit seinen drei Produkten, die seit 2015 zugelassen wurden und rund 50% aller betroffenen Patienten ansprechen. Diese Quote wird auf gegen 90% steigen, wenn eine Substanz, die drei Wirkstoffe kombiniert und exzellente klinische Daten lieferte, im Jahr 2019 zugelassen wird.
Bei den «orphan drugs» setzen vor allem US-Unternehmen die Akzente. Argenx aus Belgien ist dagegen ein Neuling aus Europa, der sich auf Antikörpertherapien spezialisiert hat. Deren hochspezifische Wirkmechanismen sollen gezielt in Krankheiten mit kleineren Patientengruppen zum Einsatz kommen. Auf einer Fachkonferenz im Dezember präsentierte das Management sehr gute klinische Daten für einen Wirkstoff gegen akute myeloische Leukämie, eine aggressive und bis dato kaum behandelbare Blutkrebsart. Für die klinische Weiterentwicklung hat sich Argenx eine Allianz mit Janssen gesichert. Neben einer Vorauszahlung von 300 Mio. $ beteiligt sich die Tochter des Pharmagiganten Johnson & Johnson an dem Unternehmen, dessen Aktienkurs sich in den letzten 18 Monaten mehr als verfünffacht hat. Diese zwei Beispiele zeigen deutlich, dass sich mit Biotech-Aktien eine starke Rendite im Portfolio erzielen lässt.
* Daniel Koller, Head Investment Team, BB Biotech.