Der Tiefpunkt bei den Zinsen ist überwunden, die Inflation zieht an und weltweit ist die Konjunktur im Aufwind begriffen: Olgerd Eichler, Fondsmanager beim Frankfurter Bankhaus Mainfirst, blickt inmitten vieler Negativprognosen und Abgesänge auf den Euro ganz im Gegenteil positiv gestimmt auf die Marktentwicklung.
DAS INVESTMENT.com: Herr Eichler, die US-Notenbank hat im Dezember die Leitzinsen leicht angehoben und für 2017 weitere Anhebungen angekündigt. Anders in der Eurozone: Hier wird die lockere Geldpolitik fortgesetzt. Die EZB will weiterhin Anleihen kaufen. Wann sehen Sie hierzulande eine Zinswende kommen?
Olgerd Eichler: Die Zinswende hat schon im vergangenen Sommer begonnen. Der Zinstiefpunkt liegt hinter uns.
Aber die Leitzinsen in der Eurozone sind weiterhin bei null.
Eichler: Wir haben aber in der Tat bereits wieder eine leichte Inflation. Vor etwa einem halben Jahr hat sie angezogen. Sie ist zwar immer noch sehr niedrig, aber existent. Vorher war das Umfeld teilweise deflationär. Und wir sehen in vielen Ländern Gehaltssteigerungen. So zieht in Deutschland und in Frankreich das Lohnniveau wieder an, nachdem es über einige Jahre rückläufig war. Die Verbraucher schränken sich nicht mehr so stark in ihrem Konsum ein. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass der weltweite Wachstumskurs anhält.
Könnte die EZB ihre Maßnahmen dann nicht beenden?
Eichler: Die Notenbanken haben mittlerweile gemerkt, dass ihre Maßnahmen nicht mehr wirksam sind. Sie sind zum Teil sogar kontraproduktiv, weil sie den Banken das Leben schwer machen. Viele Notenbankchefs haben zugegeben, dass die extrem niedrigen Zinsen zum Spekulieren anregen. Man braucht fast gar nichts für einen Kredit zu zahlen, um etwa in Aktien oder Immobilien zu investieren.
Wir haben heute eine recht robuste Weltkonjunktur. Keine stark boomende Prosperität, aber eine Wirtschaft, die um 2,5 bis 3 Prozent im Jahr expandiert. Damit besteht keine Notwendigkeit mehr, dass die Notenbanken den Notarzt spielen, auch nicht die EZB.
In jüngster Zeit werden zunehmend Befürchtungen geäußert, dass der Euro zerbricht – dass etwa ein Nord- und ein Süd-Euro entstehen könnten. Glauben Sie das auch?
Eichler: Als Mario Draghi gesagt hat: „Whatever it takes“ – da war der Euro kurz vor dem Auseinanderbrechen. Davon sind wir jetzt allerdings weit entfernt. Vor drei, vier Jahren waren Länder wie Spanien und die Niederlande in der Rezession, heute sind sie wieder im Aufwind begriffen. Die Volkswirtschaften sind eine ganze Zeit lang gewachsen und haben große Fortschritte gemacht, auch bei der Arbeitslosigkeit. Wir haben heute eine gefestigtere Weltwirtschaft. Sie ist noch nicht besonders stark, aber stabiler.
Welchen Einfluss haben Ereignisse wie das Brexit-Votum auf die Zukunft der Eurozone und ihre Währung?
Eichler: Die Wirtschaftsteilnehmer haben sich daran gewöhnt, dass wir in ungewöhnlichen Zeiten leben. Früher dauerten die Zyklen länger, heute ist alles viel schnelllebiger. Anleger haben gelernt, sich auf Situationen einzustellen. Ein Ereignis wie die Wahl Trumps hätte vor einigen Jahren viel mehr Unruhe hervorgerufen. Das Gleiche gilt für den Brexit: Nach der Abstimmung gab es zwei schwache Tage, dann hat der Markt wieder gedreht und ist sogar gestärkt daraus hervorgegangen.
Sie haben einmal gesagt, dass die größte Gefahr für die Kapitalmärkte heute politische Krisen sind. Momentan erstarken in vielen Ländern populistische Bewegungen. Befinden wir uns schon in einer Krise?
Eichler: Einige Menschen in der westlichen Welt fühlen sich in materieller Hinsicht abgehängt. Dagegen gibt es andere, die in den zurückliegenden Jahren sehr hohe Gehaltssteigerungen erfahren haben. Das hat auch viel mit dem Internet und mit globaler Transparenz zu tun: Früher war das gar nicht so messbar, heute sind viele Statistiken verfügbar. Der Abstand zwischen den normal und den sehr gut Verdienenden – etwa zwischen einem Fließbandarbeiter und einem Vorstandsvorsitzenden – ist extrem. Das führt auf Dauer dazu, dass sich einige Menschen ungerecht behandelt fühlen.
Diese latente Unzufriedenheit stellt allerdings vor dem Hintergrund der stabilen Wirtschaft keine akute Gefahr dar. Wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit und soziale Absicherungen.
In diesem Monat tritt Donald Trump sein Amt als Präsident der Vereinigten Staaten an. Was wird sich ändern?
Eichler: Trump war schon bei seiner Antrittsrede nicht mehr der große Krakeeler. Er hat gesagt, dass er mit anderen Ländern auskommen will. Ich glaube, dass er sich im Wahlkampf sehr radikal gezeigt hat. Aber als Präsident wird er Rücksicht nehmen und sich abstimmen müssen. Er wird wohl pragmatischer werden. Auch Ronald Reagan wurde zuerst unterschätzt. Ich glaube, dass Trump die Wirtschaft stark stimulieren kann. Er will die Infrastruktur, Schulen, Straßen ausbauen, die Einkommen erhöhen und die Arbeitslosigkeit senken. Allerdings auf Kosten der Verschuldung: Er wird wohl auch die Defizite weiter hochfahren.
Sie sprechen das Problem Verschuldung an: Ist das nicht eine Sackgasse? Das heißt, können die Schulden, die sich global gesehen angehäuft haben, später überhaupt noch abgebaut werden?
Eichler: Was da über die Jahrzehnte hinweg angehäuft wurde, lässt sich nicht ohne Weiteres auf ein gesundes Maß zurückführen. Ich glaube zudem nicht an eine starke Inflation. Wir geraten eher an einen Punkt, an dem die Verbindlichkeiten, die aufgenommen worden sind, nicht mehr stemmbar sind.
Was passiert, wenn man sich öffentlich eingesteht, dass eine Entschuldung nicht mehr möglich ist?
Eichler: Es gab ja schon einige Kapitalschnitte in der Weltgeschichte. Entscheidend ist die Frage, wie die Gläubiger damit umgehen. Eine deutsche Staatsanleihe, die dann wertlos würde, gehört im Zweifel sogar Ihnen: Sie partizipieren möglicherweise über Ihre Lebensversicherung daran.
Wir müssen uns klarmachen: Die extrem tiefen Zinsen, die wir haben, werden auch gebraucht. Sonst müssten alle Staaten sehr viel mehr Zinszahlungen aufbringen und die Schulden wären unermesslich. Vielleicht wird uns das in 10, 20 oder mehr Jahren einholen.
Quelle: Das Investment