Das Investment: Sal. Oppenheim: Ölpreis-Verfall stützt die Wirtschaft

sjb_werbung_das_investment_300_200Ist der Einsturz des Ölpreises der Vorbote einer Rezession? Über diese Frage zerbrechen sich viele Marktteilnehmer den Kopf. Unnötig, meinen die Marktexperten von Sal. Oppenheim. Warum der Ölpreisverfall kein Belastungsfaktor für die Weltwirtschaft ist.

Seit Mitte 2014 ist der Ölpreis um rund 70 Prozent gesunken .Nach Lehrbuchmeinung müsste ein derart großer Preisrückgang des wichtigsten Rohstoffs der Welt positiv zum globalen Wachstum beitragen, da er wie eine Steuersenkung wirkt. 

Derzeit wird dieser Preisverfall von vielen Marktteilnehmern aber mit großer Sorge betrachtet und als potenzieller Vorbote einer Rezession gedeutet. Würden die Verluste der Produzenten in toto nämlich schwerer wiegen als die Gewinne der Konsumenten, wäre ein niedriger Ölpreis kein Konjunkturstimulans, sondern möglicherweise der Auslöser einer Rezession. Diese Erwartung scheint der aktuelle Gleichlauf von Aktienkursen und Ölpreis nahezulegen. Daher möchten wir hier der Frage nachgehen, was der Ölpreisverfall für die Weltwirtschaft bedeutet.

Gründe für den Ölpreisrückgang

Abschätzen lassen sich die Folgen des Ölpreisverfalls nur, wenn man den Ursachen des Preisrückgangs auf den Grund geht. Daten der Energy Information Administration der USA zeigen deutlich, dass die aktuelle Entwicklung vor allem durch eine starke Ausweitung des Angebots an Rohöl geprägt ist (Abbildung 2). Ein wesentlicher Treiber hierfür sind beispielsweise die unkonventionellen Fördertechniken (Fracking) in den USA. Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach Öl recht stabil ist. So bewegen sich die Ölimporte in China immer noch in einem Aufwärtstrend. Anders als teilweise unterstellt, lässt sich der Rückgang des Ölpreises also nicht mit einer rückläufigen Nachfrage – beispielsweise aus China – erklären. Es handelt sich bei der aktuellen Entwicklung also in erster Linie um einen positiven Angebotsschock.

Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Produzenten ihr Angebot in Erwartung einer stärker steigenden Ölnachfrage ausgebaut haben – zu einer Zeit, als der Ölpreis jenseits der 100 US-Dollar/Barrel notierte. Die tatsächliche Nachfrage nach Rohöl enttäuschte dann, gemessen an den hohen Erwartungen.

Aussichten für den Ölpreis

Obwohl der Ölpreis so stark gefallen ist, liegt er in den meisten Fördergebieten immer noch über den Grenzkosten der Produktion. Außerdem ist das (vorübergehende) Schließen von Ölquellen auch mit Kosten verbunden. Das erklärt, warum die Ölproduktion immer noch nicht zurückgefahren wurde. Hinzu kommt, dass nach Abschluss der Atomverhandlungen mit dem Iran ein weiterer Produzent auf den Markt kommt, der das weltweite Ölangebot nochmals um bis zu 1 Prozent steigern könnte.

Allerdings spricht die Tatsache, dass die aktuellen Preise unter den Durchschnittskosten der Ölproduktion liegen, gegen eine anhaltende Ausweitung des Angebots. Denn in den Fördergebieten unterbleiben derzeit zahlreiche Investitionen, was mittelfristig zu einer Verknappung des Angebots und damit zu einem Preisanstieg führen sollte. So ist in den USA seit Mitte 2014 die Zahl der aktiven Bohrköpfe um rund ein Drittel gesunken. Wir gehen davon aus, dass der folgende Ölpreisanstieg umso stärker ausfallen dürfte, je länger die aktuelle Niedrigpreisphase anhält und folglich die Investitionen in neue Fördergebiete unterbleiben.

Zudem besteht auch auf politischer Seite ein Interesse an steigenden Ölpreisen. Zahlreiche Staaten in den arabischen Fördergebieten benötigen Preise weit jenseits der 70 US-Dollar/Barrel, um ihre Staatshaushalte auszugleichen, in die der niedrige Ölpreis tiefe Löcher gerissen hat. Insofern nimmt der Druck zu, wieder kartellhaft aufzutreten und gemeinsam für eine (künstliche) Verknappung des Angebots zu sorgen.

Diese Faktoren führen nach Einschätzung unserer Rohstoffexperten dazu, dass sich der Ölpreis auf Jahressicht wieder in Richtung 40 bis 50 US-Dollar/Barrel bewegen wird.

Einfluss des Ölpreises auf das globale Wachstum

Mit dem Ölpreisrückgang geht eine Umverteilung der Einkommen einher. Entlastet werden dabei die Konsumenten. 2015 ist der durchschnittliche Ölpreis gegenüber dem Vorjahr um 46 US-Dollar/Barrel gesunken. Bei einem Verbrauch von knapp 94 Millionen Barrel pro Tag beläuft sich die Entlastung der Konsumenten damit auf 1,5 Billionen US-Dollar, das entspricht rund 2,2 Prozent der globalen Wertschöpfung. Dem steht eine gleich hohe Belastung der Produzenten gegenüber. Der positive Effekt für die Weltwirtschaft ergibt sich daraus, dass die Produzenten in der Regel eine höhere Sparquote beziehungsweise einen geringeren Ausgabenmultiplikator als die Konsumenten aufweisen. Schätzungen des Internationalen Währungsfonds folgend, dürfte man von einem Ölpreisrückgang in der jetzigen Größenordnung langfristig einen positiven Wachstumsimpuls von 0,5 Prozent bis 1 Prozent erwarten.

Gibt es Gründe, anzunehmen, dass sich dieses Mal die positiven Effekte in den ölimportierenden Ländern nur in abgeschwächter Form oder später materialisieren, während die negativen Effekte in den Förderländern früher oder stärker ausfallen als in der Vergangenheit? Zunächst einmal wird der Aufschwung in den Industrieländern in letzter Zeit tatsächlich von der Binnennachfrage und insbesondere vom privaten Konsum getragen. Allerdings scheint dieser Effekt noch weit von der Größenordnung entfernt zu sein, die man bei einem solch drastischen Ölpreisverfall erwarten würde. Das kann auch eine Folge der Finanzkrise sein: Möglicherweise wird die Konsumentenrente aus dem billigen Öl nicht mehr ganz so stark wie in der Vergangenheit für neuen Konsum genutzt, sondern auch zur Schuldentilgung eingesetzt. Dafür spricht, dass die Sparquoten der privaten Haushalte in den USA und Japan zuletzt angestiegen sind. In dem Maße, wie sich die Sparquote stabilisiert, kann der positive Einkommenseffekt dann zeitverzögert eintreten – zumal Öl ja derzeit immer noch deutlich billiger ist als vor einem Jahr.

Aufgrund der Stärke des Preisrückgangs fallen die Verluste auf der Produzentenseite deutlich höher aus als in der Vergangenheit und nötigen die Produzenten so zu schnelleren Anpassungen. Einige Länder, wie Venezuela oder Aserbaidschan, befinden sich bereits tief in einer Krise. So tragisch das für diese Länder ist, darf man darüber nicht vergessen, dass die Ölförderländer nach Angaben der UNCTAD lediglich 8,5 Prozent zur globalen Wertschöpfung beitragen. Hinzu kommt, dass viele dieser Länder in der Lage sind, die Mindereinnahmen über einige Zeit „wegzupuffern“. So weisen Berechnungen des Internationalen Währungsfonds zufolge Länder wie Saudi-Arabien Staatsdefizite von über 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf.

Als vorteilhaft dürfte sich aber erweisen, dass in der Vergangenheit die Einnahmen, die bei hohen Ölpreisen erzielt wurden, angespart wurden. Es besteht eine sehr hohe Korrelation zwischen den gesamtwirtschaftlichen Sparquoten der ölproduzierenden Länder und dem Ölpreis (Abbildung 4). Je höher der Ölpreis ist, desto mehr wird gespart, und umgekehrt. Als Mitte der 1980er Jahre der Ölpreis um 50 Prozent sank, fiel die Sparquote in Saudi-Arabien von über 40 Prozent auf unter 5 Prozent. Ein ähnliches Bild bot sich auch 2014 und 2015: In vielen ölproduzierenden Ländern sank die Sparquote deutlich. Sie befindet sich aber mit 25 Prozent bis 30 Prozent immer noch auf Niveaus, von denen aus eine weitere Senkung durchaus möglich erscheint. Diese Reduktion des Sparens dämpft den negativen Nachfrageeffekt infolge der Einkommenseinbußen auf Produzentenseite. Daher sollte der positive Effekt des niedrigen Ölpreises auf die Weltwirtschaft nicht so stark gebremst werden.

In einigen Ländern flossen die Mehreinnahmen aus hohen Ölpreisen direkt in Staatsfonds. Seit dem Verfall der Ölpreise ist der Anstieg der Kapitalanlagen in den Fonds der öl- und gasproduzierenden Länder, die nach Angaben des Sovereign Wealth Fund Institute in der Spitze rund 4.150 Milliarden US-Dollar betrugen, nicht nur zum Stillstand gekommen, sondern die Anlagen wurden auch aktiv reduziert. Einige Länder haben also bereits begonnen, einen Teil ihres „Tafelsilbers“ zu veräußern. Diese Verkäufe dürften in den letzten Monaten mit dazu beigetragen haben, dass die Kapitalmärkte immer dann nachgaben, wenn der Ölpreis schwächer notierte.

Ausblick

Die Schwäche der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung und die Eintrübung der Stimmung an den Märkten lassen sich nicht mit der Ölpreisentwicklung erklären. Wir sehen in den niedrigen Ölpreisen eine Unterstützung der Konjunktur – insbesondere in den Industrieländern, aber auch in vielen Schwellenländern, wie China oder Indien, die große Ölimporteure sind. Selbstverständlich gibt es bei einer derart starken Preisbewegung Gewinner und Verlierer und aufgrund der Massivität des Ölpreisrückgangs fallen die Effekte für die Produzenten dieses Mal besonders schmerzhaft aus. Aber in der Summe betrachtet, sollte die Weltwirtschaft von der aktuellen Entwicklung eher profitieren.

Man muss jedoch davon ausgehen, dass die Effekte sich erst langsam zeigen werden: Untersuchungen der Bundesbank aus dem Jahr 2012 zu einem Ölpreisanstieg legen nahe, dass es durchaus drei Jahre dauern kann, bis die Effekte voll auf die Realwirtschaft durchgewirkt haben. Für die meisten Industrieländer schätzt sie, dass der Effekt in den beiden folgenden Jahren in etwa so groß ist wie im ersten Jahr. Derzeit leidet die Weltwirtschaft unter zahlreichen strukturellen Problemen – sowohl in den Industrie-, vor allem aber auch in den Schwellenländern – und die Wachstumsaussichten trüben sich ein. Insofern spricht einiges dafür, dass wir die positiven Effekte aus dem Ölpreisverfall nicht als beschleunigtes Wachstum sehen werden, sondern dass sich vielmehr die Wachstumsaussichten dank der niedrigen Ölpreise weniger starkeintrüben werden.

Ölpreisrückgänge in der Vergangenheit

Zunächst einmal ist offensichtlich, dass ein rapider Ölpreisanstieg in der Lage ist, die Weltwirtschaft in eine schwere Krise zustürzen – so geschehen in den beiden Ölkrisen Mitte beziehungsweise Ende der 1970er Jahre (Abbildung 5). Wenn allerdings ein Ölpreisanstieg so verheerende Folgen haben kann, müsste dann nicht ein Ölpreisverfall deutlich positive Auswirkungen auf das Wachstum haben? Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob der Preisrückgang auf einen positiven Angebotsschock oder auf eine Nachfrageschwäche zurückzuführen ist.

Für einen Preisverfall von über 70 Prozent, wie wir ihn seit Mitte 2014 erleben, findet sich in der jüngeren Historie keine vergleichbare Entwicklung. Seit der ersten Ölkrise gab es allerdings neben der aktuellen drei weitere Phasen starker Preisrückgänge von über 25 Prozent in der Jahresrate.

Der Preisrückgang in den Jahren 2008/2009 war maßgeblich auf den Einbruch der Ölnachfrage infolge der globalen Finanzkrise zurückzuführen. Zudem waren die Preise in den Jahren vor der Krise stark angestiegen und hatten so die Wachstumsaussichten belastet.

Etwas anders gelagert war die Situation in den Jahren1997/1998: Während der Russland- und Asienkrise war die weltweite Nachfrage nach Öl etwas zurückgegangen, während das Ölangebot sich zuvor deutlich ausgeweitet hatte. Die Industrieländer zeigten in dieser Phase eine relativ stabile Entwicklung, sodass das weltwirtschaftliche Wachstum nicht ganz so stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ein Grund für die vergleichsweiserobuste Verfassung der Industrieländer war sicherlich der positive Schub, der von dem preiswerten Öl ausging. Dies trifft insbesondere auf die USA zu, die damals über eine deutlich geringe Ölproduktion als heute verfügten und somit stärker vom Ölpreisrückgang profitierten.

Die größte Ähnlichkeit mit der jetzigen Situation weist der Preisrückgang auf, der Mitte der 1980er Jahre zu beobachten war. Damals kam es zu einer Ausweitung des Angebots infolge der hohen Ölpreise, die neue Fördergebiete außerhalb der OPEC attraktiv machten. So wurden neue Gebiete in Alaska, Mexiko und in der Nordsee erschlossen. Eine weitere Parallele ist, dass die OPEC zur Verteidigung ihrer Marktanteile die Produktion erhöht und somit zum weiteren Preisverfall beigetragen hatte. In dieser Phase profitierte die globale Wirtschaft von dem billigen Schmierstoff, zumal die Preise danach über einen langen Zeitraum relativ stabil blieben und erst mit Beginn der großen Globalisierungswelle wieder zu steigen begannen. Aus der Historie lässt sich somit keinesfalls ableiten, dass ein fallender Ölpreis ein guter Indikator für eine aufziehende Rezession ist.

Von: Frank Hübner, Ulrike Kastens, Katrin Löhken,Martin Moryson

Quelle: DAS INVESTMENT.

Siehe auch

e-fundresearch: Deutschland: Wege aus dem Stillstand

Im besten Fall sollte das deutsche Wirtschaftswachstum 2024 konstant geblieben sein. Die aktuellen Konsensprognosen gehen von einem Anstieg um 0,6% im Jahr 2025 aus. Dies ist zwar eine Verbesserung, bleibt aber enttäuschend schwach. Kürzlich hat die Bundesbank ihre Prognosen drastisch nach unten korrigiert und rechnet nun für 2025 mit einem Wachstum von nur noch 0,2% …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert