Warburg | Hamburg, 19.06.2015.
Spätestens seit den Erfolgen von Warren Buffet ist auch mittelmäßig interessierten Investoren das Thema Value-Investing durchaus ein Begriff. Insbesondere im Rahmen der Aktienselektion geht es darum, Titel zu identifizieren, die günstig bewertet sind und dementsprechend ein größeres Kurspotenzial aufweisen sollten als der Gesamtmarkt.
Die theoretischen Grundlagen für diesen Investmentstil wurden u.a. schon in den 1930er Jahren von Benjamin Graham und David Dodd in ihrem Buch „Security Analysis“ gelegt. Allerdings wird heute gerne vergessen, dass ausgerechnet Graham als einer der Väter des Value-Investing am Ende seines Lebens angesichts zunehmend effizienter Märkte die Sinnhaftigkeit eines solchen Ansatzes vermehrt hinterfragte.
In der Wissenschaft wird heute allerdings die These vertreten, dass die erzielbaren Überrenditen nicht unbedingt mit der These eines effizienten Marktes im Konflikt stehen, sondern die theoretisch postulierten und empirisch tatsächlich zu beobachtenden Überrenditen letztlich eine Prämie darstellen, die man für das Eingehen zusätzlicher Risiken erhält. An dieser Stelle wird gerne hinterfragt, worin die Risiken bestehen, wenn doch mittelfristig eine bessere Wertentwicklung im breiten Markt zu erwarten ist. Allerdings lässt sich die Frage nach den Risiken mit Blick auf Volatilitäten, Draw-Downs und temporären Rückschlägen gegenüber der Benchmark doch leicht beantworten.
So hat beispielsweise nach unseren Berechnungen ein typisches Value-Portfolio eine signifikant höhere Volatilität aufgewiesen als die Benchmark. Vor allem während der Finanzkrise haben sich vermeintliche Value-Aktien alles andere als krisenfest erwiesen, da die erwarteten und unterstellten Gewinne zu positiv eingeschätzt wurden. In vielen Fällen waren die Unternehmen nur „optisch“ günstig, da die Kurse schon gefallen waren, während die Gewinnerwartungen noch nicht hinreichend angepasst wurden. Dementsprechend können auch die Draw-Downs in Value-Portfolios sehr deutlich ausfallen. Nach unseren Berechnungen lag beispielsweise der maximale Draw-Down in einem europäischen Value-Portfolio in den letzten zehn Jahren bei 64%; das ist deutlich extremer als der maximale Draw-Down von 49% im Index. Auch über rollierende Einjahresperioden gab es bei Value-Portfolios deutlichere „Ausreißer“ nach unten als im breiten Markt. Und auch wenn ein Value-Portfolio über längere Zeiträume immer wieder den breiten Markt geschlagen hat, konnten temporäre Rückschläge gegenüber der Benchmark zuweilen scharf ausfallen. Nach unseren Berechnungen betrugen diese Rückschläge gegenüber dem STOXX 600 in einem europäischen Value-Portfolio zeitweise bis zu 20%. Zeitweilige Rückstände von 5% bis 10% gegenüber der Benchmark waren eher die Regel als die Ausnahme. Zudem ist seit Ende 2009 auch die kumulierte Outperformance gegenüber dem breiten Aktienmarkt nur noch recht moderat ausgefallen, während bis zur Finanzkrise und kurz danach eine sehr positive Wertentwicklung verzeichnet werden konnte. Doch wie kommt es dazu, dass ein Portfolio, welches aufgrund der günstigen
Bewertung auf den ersten Blick attraktive fundamentale Eigenschaften aufweist, zeitweise extrem unerwünschte Kursverläufe mit sich bringt?
Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt in der Erkenntnis, dass ein Value-Portfolio eben nicht nur Value-Eigenschaften aufweist, sondern (gewollt oder nicht) eben auch andere Eigenschaften mit sich bringt, die unter Umständen gar nicht angestrebt werden. Es ist auch unter Profis in der Finanzbranche ein weit verbreiteter Irrtum, dass sich ein Value-Portfolio nur durch seine Value- Eigenschaften auszeichnet. In Wirklichkeit hat ein Value- Portfolio auch ganz spezifische Eigenschaften hinsichtlich der Profitabilität, der Volatilität, der Bilanzqualität, der Größe, der Gewinnrevisionen oder hinsichtlich des Momentums. Und da an vergleichsweise effizienten Märkten i.d.R. keine Geschenke verteilt werden, kann man davon ausgehen, dass diese Eigenschaften in ihrer Mehrheit eher negativ sind. Nicht umsonst spricht man bei der Überrendite, die man sehr langfristig beim Value-Investing zu Recht erwarten darf, auch von einer Risikoprämie. Wir haben nun untersucht, wie sich tatsächlich die Eigenschaften eines Value-Portfolios aktuell und ganz konkret darstellen, indem wir in einem ersten Schritt aus dem STOXX 600 die 100 Aktien mit der attraktivsten Bewertung zu einem Portfolio zusammengefasst haben, und in einem zweiten Schritt für ein solches Portfolio diverse Kennzahlen jenseits des Valu-e-Bereichs bestimmt haben. Die Ergebnisse sind durchaus erhellend.
Unser Value-Portfolio weist hinsichtlich der Gewinnrevisionen, des Momentums, der Profitabilität, der Volatilität und der Bilanzqualität schlechtere Eigenschaften als die Benchmark auf. Nur im Bereich der Bilanzqualität gibt es überhaupt zwei von zehn Kennzahlen, in denen das Value-Portfolio besser als die Benchmark abschneidet (siehe grüner Haken). Zur Ehrenrettung des Value-Investing sei gesagt, dass dies nicht immer so war. Unsere Berechnungen legen nahe, dass beispielsweise in den Jahren 2003 bis 2007 der Trade-Off zwischen Value-Eigenschaften und den anderen von uns betrachteten Faktoren nicht so extrem wie heute war. Das würde allerdings auch erklären, warum in diesen Jahren Value Portfolios eine extreme Überrendite erzielen konnten, jedoch danach nicht mehr. Offensichtlich ist der Markt inzwischen bereit, eine Prämie in Form ambitionierter Bewertungen für eine hohe Profitabilität oder Bilanzqualität zu zahlen. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass günstige Unternehmen vermutlich zu Recht günstig bewertet sind, da sie viele unattraktive Eigenschaften aufweisen. Dementsprechend heterogen und im Durchschnitt wenig attraktiv sind inzwischen viele fundamentale oder technische Eigenschaften von Value-Portfolios.
Bestimmt man beispielsweise den durchschnittlichen Rang der 100 Aktien im aktuellen Value-Portfolio für den Faktor Momentum im Investmentuniversum des STOXX 600, ergibt sich ein Wert von 210. Ein durchschnittlicher Rang
von unter 300 lässt darauf schließen, dass die Mehrheit der 100 Value-Aktien unterdurchschnittliche Eigenschaften aufweist. Das ist bis auf den Bereich Unternehmensgröße, wo kleine Unternehmen als attraktiv eingestuft werden, in allen von uns untersuchten Faktoren der Fall, wobei die obige Abbildung auf einer Analyse von insgesamt 200 verschiedenen Kennzahlen beruht, die dann zu verschiedenen „Themen“ oder Faktoren zusammengefasst werden (jede Aktie besitzt einen Rangplatz von 1 bis 600, wobei die jeweils attraktivste Aktie je Faktor den Platz 600 erhält).
Egal wie man es dreht und wendet: Value-Portfolios haben viele Facetten, und die meisten von ihnen sind derzeit nicht attraktiv. Vermutlich sind die Zeiten vorbei, in denen man sich in der Selektion von Aktien auf einen Investmentstil reduzieren konnte, ohne Rücksicht auf die unerwünschten „Nebenwirkungen“ im Portfoliokontext nehmen zu müssen. Das bedeutet aber auch, dass neben der Einzeltitelanalyse die Berücksichtigung von resultierenden Portfolioeigenschaften nicht vernachlässigt werden darf und vermutlich immer wichtiger wird. Neu ist das aber nicht: Graham wies schon 1934 darauf hin, dass das Abstellen auf Portfolioeigenschaften letztlich erfolgversprechender sei als eine ausschließliche Fokussierung auf die Einzeltitelselektion.
Mit freundlichen Grüßen
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