Das Investment: Warum die aktuelle Korrektur so drastisch ausfällt

Was genau hat zu den jüngsten Markteinbrüchen geführt, und was bedeuten die Rücksetzer für Anleger und wie geht es jetzt weiter? Oliveier de Berranger, Investmentchef beim französischen Fondshaus La Financière de l’Echiquier macht eine Bestandsaufnahme. An den Aktienmärkten vollzieht sich auf breiter Front gerade eine heftige Korrektur. Innerhalb von zwei Tagen verzeichneten S&P und Nasdaq ein Minus von 5,3 Prozent, der chinesische Markt verlor 3,4 Prozent, der taiwanesische Markt 6,3 Prozent und der europäische Markt 3,4 Prozent. Außerhalb der Vereinigten Staaten stehen die Indizes auf Jahressicht in Deutschland, Italien und Spanien um Werte zwischen -10,5 Prozent und -11,5 Prozent ein. Der CAC 40 fiel um 3,9 Prozent.

Was war der Auslöser?
Es gab nicht einen einzelnen Auslöser, sondern eine Reihe von Ursachen: Die Fortführung des von der Regierung Trump angezettelten Handelskrieges, die politische und wirtschaftliche Instabilität in den  Schwellenländern, die Konfrontation zwischen der italienischen Regierung und der Europäischen Kommission in Haushaltsfragen und der Anstieg des Ölpreises sind allesamt Faktoren, die in Kombination mit wieder steigenden langfristigen US-Zinsen zu der Korrektur geführt haben.

Ist der Anstieg der US-Zinsen eine neue Entwicklung?
Keineswegs. In dem Zeitraum ab Juli 2016 bis zum 21. September 2018 (historischer Höchststand des S&P 500) sind die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen von 1,36 Prozent auf 3,06 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg um 170 Basispunkte hatte die US-Märkte bisher nicht daran gehindert, immer neue Höchststände zu erklimmen. Es ist also paradox, zu behaupten, der jüngste Anstieg um rund 20 Basispunkte sei der alleinige Auslöser gewesen. Die Ursache liegt vielmehr in der Rhetorik und Geldpolitik des von Donald Trump zum Präsidenten der FED ernannten Jerome Powell. Ein Anstieg der langfristigen Zinsen ist grundsätzlich entweder auf die Angst vor einer erneuten unkontrollierten und unkontrollierbaren Inflation („Fed is behind the curve“) oder auf eine Verbesserung der Konjunkturentwicklung zurückzuführen. Die zuletzt veröffentlichten Zahlen (BIP 2. Quartal: +4,1 Prozent, Inflation +2,3 Prozent, Lohnanstieg +2,8 Prozent) deuten auf Letzteres hin. Wenn dies der Fall ist, könnte der Anstieg der langfristigen Zinsen zwar von Dauer sein, sich jedoch in Grenzen halten. Der Markt war also seinerseits gewissermaßen „behind the Fed“ und erkennt plötzlich, dass die US-Zentralbank entschlossen ist und glaubwürdig handelt.

Hat sich die globale Wirtschaftslage verschlechtert?
Eigentlich nicht. Selbst wenn der IWF die Prognose für das Weltwirtschaftswachstum für 2018 und 2019 von zuvor 3,9 Prozent auf nunmehr 3,7 Prozent nach unten korrigiert hat, liegt dieser Wert noch immer weit über dem durchschnittlichen Wachstum der letzten 30 Jahre (3,0 Prozent). Selbst wenn sich der Zyklus (der zweitlängste Wachstumszyklus in der US-Geschichte) zwangsläufig dem Ende nähert, ist bisher auf kurze Sicht – wenn überhaupt – allenfalls ein geringes Rezessionsrisiko erkennbar. Die Lage Chinas scheint dagegen etwas prekärer, da sich die Forderungsausfälle Jahr für Jahr mehren und eine Gefahr für das künftige Wachstum darstellen. Trotzdem nehmen die Aktienmärkte das Ende der Wachstumsentwicklung im Allgemeinen ein Jahr vorweg. Somit ist trotz einer Börsenkorrektur weiteres Wachstum nicht ausgeschlossen.

Werden die Zentralbanken eingreifen?
Nein. Die Zentralbanken vollziehen mit dem Abschmelzen ihrer Bilanzsummen gerade den Ausstieg aus der Politik des Quantitative Easing. Aus Zentralbanksicht handelt es sich bei der aktuellen Marktentwicklung bislang um eine Korrektur überzogener Bewertungen und nicht um einen systemischen Schock. Die Lage an den internationalen Finanzmärkten hat sich seit Jahresbeginn zwar etwas angespannt, ist aber nach wie vor als relativ entspannt zu bezeichnen. Bei einem weiteren Kursverfall von 10 Prozent an den amerikanischen Börsen wäre ein neutraler Zustand erreicht.

Welche Sektoren sind am stärksten betroffen?
Es wurden zwar alle Indizes schwer in Mitleidenschaft gezogen, doch am stärkten getroffen hat es die einst heiß begehrten Wachstums- und Technologiewerte. In nur zwei Tagen ist der FANG+ um 6 Prozent gefallen. Momentum-Aktien verzeichneten die größten Verluste. So hat der S&P Momentum ETF in zwei Tagen 6,3 Prozent verloren – das größte Minus seit seiner Auflegung vor fünf Jahren. Bis dato ist seit Jahresbeginn alles, was teuer war, täglich noch teurer geworden (Technologiewerte, Luxusartikelhersteller …) und alles, was günstig war, noch günstiger (Industriewerte, Telekommunikationsunternehmen, Banken). Bis zum Ende diesen Sommers haben Wachstumswerte ohne Schuldenbelastung und mit einem Dollar-Exposure in den internationalen Indizes die beste Wertentwicklung gezeigt, während verschuldete und stärker von der nationalen Konjunktur abhängige Substanzwerte schwer abgestraft wurden. Im Rahmen des derzeitigen Kursrutsches scheinen Substanzwerte nun rasch aufzuholen. Die Stilrotation war besonders ausgeprägt. Hatte der MSCI Europe Value Net Return Index bisher um bis zu 5 Prozent unter dem MSCI Growth gelegen, hat sich diese Lücke seit Jahresbeginn inzwischen reduziert (-4,7 Prozent).

Sind die Aktienmärkte jetzt unterbewertet?
In den USA wohl eher nicht, aber in Bezug auf die Eurozone fällt die Antwort nicht ganz so eindeutig aus. Nach der Verkaufswelle liegt das KGV für europäische Aktien (Stoxx 600) bei etwa 14 auf Basis der für 2018 erwarteten Gewinne beziehungsweise 12,5 auf Basis der Gewinnprognosen für 2019 und damit leicht unter dem historischen Durchschnitt der letzten Jahre. Das Gewinnwachstum kann sich mit +10 Prozent im Euroraum über 1 Jahr und +25 Prozent in den USA, nach wie vor sehen lassen. Der Anstieg der Langfristzinsen spricht jedoch für einen KGV-Rückgang in den nächsten Quartalen. Im Übrigen hat die starke Korrektur am Aktienmarkt bisher noch nicht auf Unternehmensanleihen ausgestrahlt, insbesondere in Europa. Das aktuelle Marktgeschehen ist daher wohl eher als eine Bewertungskorrektur vor dem Hintergrund der Zinsentwicklung zu sehen und nicht als Spiegelbild einer allgemeinen Angst vor einem plötzlichen Wachstumseinbruch.

Warum fällt die Korrektur so drastisch aus?
Aus unserer Sicht sind eine Vielzahl quantitativer oder systematischer Strategien und Produkte (Smart Beta-, Risk Parity-, Volatility Target-, Trendfolgestrategien etc.) die Ursache dafür, dass seit einigen Tagen auf breiter Front Stop-Loss-Schwellen greifen. Das traditionelle Portfoliomanagement spielt bei dieser Verkaufswelle noch keine Rolle. Die „technischen“ Bedingungen sind also schlecht für die Märkte. US-Unternehmen, die in den letzten Jahren massiv Aktien gekauft haben, können im Moment, kurz vor den Ergebnisveröffentlichungen zum Monatsende, auch nicht in die Bresche springen. Man sollte dabei nicht vergessen, dass amerikanische Unternehmen mit dem Kauf von rund 3 Billionen US-Dollar eigener Aktien einen wesentlichen Anteil daran hatten, dass die Marktkapitalisierung des S&P in den letzten fünf Jahren um 10 Billionen Dollar gestiegen ist.

Was tun?
Es ist noch zu früh, um wieder massiv zu investieren. Ganz wie in der Phase im Februar letzten Jahres dürfte die Volatilität nicht von heute auf morgen wieder vom Markt verschwinden. Wenn jedoch in großen Mengen wahllos Aktien auf den Markt geworfen werden, könnten sich für aktive Manager durchaus Chancen ergeben. Auch wenn wir davon überzeugt sind, dass ein Zinsanstieg am langen Ende, insbesondere in Europa, unausweichlich ist, ist es in den kommenden Wochen sicherlich die beste Taktik, bei zu Unrecht abgestraften Werten Einstiegskurse festzulegen. Damit ergänzen Small- und Mid-Cap-Werte sowie Wachstumswerte – insbesondere solche mit neuen Geschäftsmodellen, deren Gewinnentwicklung der Zinsanstieg keinen Abbruch tut – das Value-Segment im Auswahluniversum.

Von: Olivier de Berranger
Quelle: Das Investment

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