Smart Beta verspricht Anlegern eine auf Dauer bessere Performance als Marktindizes. Dem widerspricht Karl-Heinz Thielmann, Vorstand von Long-Term Investing Research: Smart Beta diene nicht intelligenter Wertgenerierung, sondern der Rechtfertigung naiven Herdenverhaltens.
Seit einigen Jahren gibt es eine neue Kategorie von Investmentprodukten. Ihre Anbieter geben vor, dass diese jetzt endlich das bisher so selten eingelöste Versprechen der Finanzindustrie erfüllen können: Ihre Performance soll systematisch langfristig einen Marktindex schlagen. Unter der Bezeichnung „Smart Beta“ werden Fonds vermarktet, die quasi als Synthese aus aktivem und passivem Fondsmanagement die Vorteile beider Vorgehensweisen vereinen sollen.
Sie basieren „auf aktiven Strategien, die aber nicht von Portfoliomanagern umgesetzt werden, sondern systematisch anhand von klar definierten Regeln.“ Solche Regeln können sich auf die Auswahlkriterien oder die Gewichtungsmethode von Einzeltiteln beziehen. Beispiele hierfür sind: Gleichgewichtung, Minimum Varianz, Small Cap, hohe Dividende, niedriges KGV; Croci und so weiter.
Viele dieser Strategien sind allerdings schon länger bekannt. „Smart Beta“ ist letztlich nichts anderes als eine neue Bezeichnung für das sogenannte „Faktor-Investing“. Dies war bisher der Sammelbegriff für quantitative Strategien, die darauf basieren, dass von Analysten empirisch ermittelte und zahlenmäßig erfassbare Erfolgsfaktoren an den Aktienmärkten identifiziert worden sind. Diese wurden dann systematisch zur Konstruktion von Wertpapierportfolios herangezogen.
Fast genau so alt wie das auf einen Artikel von Fama und French aus 1992 zurückgehende Faktor-Investing ist allerdings auch die Kritik daran: So argumentierte Fischer Black bereits 1993, dass die vorgeblichen Ergebnisse sehr stark mit „Data Mining“ zusammenhingen.
Norbert Häring hat vor einigen Jahren im „Handelsblatt“ Data Mining recht zutreffend so beschrieben: Hierunter verstehen Wissenschaftler „…die theorielose Analyse von Datenbeständen mit dem Ziel, potentiell interessante oder nützliche statistische Zusammenhänge aufzudecken. Oft kommen solche Korrelationen aber rein zufällig zustande, ohne dass ein kausaler Zusammenhang besteht.“
Insofern blieb es lange eine Randerscheinung, bis es als „Smart Beta“ vermarktet wurde. Doch eine Umbenennung löst keine konzeptionellen Probleme.
William F. Sharpe erklärt, warum Smart Beta niemals langfristig funktionieren kann
„Wenn ich Smart Beta höre, macht es mich krank“, erklärte Nobelpreisträger William F. Sharpe im vergangenen Jahr auf der Konferenz des CFA-Institutes. Der Miterfinder des Begriffs „Beta“ für Modelle der Kapitalmarkttheorie wird aus mehreren Gründen von „Smart Beta“ geradezu abgestoßen:
Der Begriff ist unsauber und verwirrend: Smart Beta soll eigentlich Alpha erzeugen, eine risikoadjustierte Überperformance durch die Auswahl von Wertpapieren mittels überlegener Selektionskriterien. Dies hat mit Beta, einem Risikomaß, nichts zu tun. Denn dieses misst nur Überperformance, die nur aus der Übernahme von mehr Risiko entsteht.
Smart Beta setzt nicht nur voraus, dass es signifikante Marktineffizienzen gibt, sondern auch, dass diese dauerhaft in der gleichen Form erhalten bleiben. Diese Annahme ist aber gerade an den schnell lernenden Finanzmärkten völlig absurd.
Smart Beta kann immer nur für eine Minderheit von Investoren funktionieren: Sobald nämlich viele Investoren in einen Smart Beta Ansatz investieren, setzt ein Marktprozess ein, der die zugrunde liegende Ineffizienz beseitigt.
Empirische Belege für das Funktionieren von Faktor-Investing sind in der Regel auf wenige Jahre und bestimmte Märkte beschränkt. Es gibt keinerlei wissenschaftlich sauber ermittelte Evidenz für das dauerhafte Funktionieren von bestimmten Faktoren in verschiedenen Märkten zu unterschiedlichen Perioden.
Sharpes Überlegungen offenbaren, dass hinter der Idee, mit Smart Beta den Markt zu schlagen, neben einer verqueren Begrifflichkeit letztlich unzulässige Verallgemeinerungen von singulären Phänomenen stehen. Hierauf kann man eigentlich keine langfristige Anlagestrategie aufbauen.
Quantitatives Investieren ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint
Quantitative Anlagestrategien haben einen Riesenvorteil, aber auch drei wichtige Einschränkungen. Der große Vorteil liegt darin begründet, dass Gefühle bei der Anlageentscheidung außen vor gelassen werden. Menschliche Vermögensverwalter treffen emotional bedingt immer wieder schlechte Anlageentscheidungen und setzen ihre eigenen Strategien nur inkonsequent um, sei es aus Opportunismus, Gier oder übertriebener Angst.
Darüber hinaus neigen sie oftmals zu überflüssigen Transaktionen, um – für sich selbst und andere – Aktivität zu demonstrieren. „Emotionale Disziplin“ ist deshalb ein maßgeblicher Erfolgs-Faktor bei aktiven Anlageentscheidungen, wie schon Benjamin Graham, der Vater der modernen Finanzanalyse vor 80 Jahren feststellte.
Ihr Fehlen kann Anleger zu Fehlentscheidungen verleiten, die sein Vermögen so stark vermindern, dass letztlich im Vergleich ein passives und rein am Index orientiertes Investment für den Anleger bessere Ergebnisse gebracht hätte. In der Praxis schaffen es nur sehr wenige Investoren – wie zum Beispiel Warren Buffett – diese emotionale Disziplin aufzubringen und langfristig Marktindizes zu schlagen.
Quantitative Strategien wie Smart Beta scheinen hier eine Lösung zu offerieren: Sie versprechen – genau wie aktive Anleger – Marktineffizienzen zu identifizieren und auszunutzen, ohne aber die Fehlerquelle Emotionalität zu besitzen. Leider ist dies in der Realität nicht ganz so einfach. Denn es gibt drei grundsätzliche Einschränkungen quantitativer Strategien, die zu beachten sind:
Sie basieren entweder auf Erfahrungen aus der Vergangenheit und nehmen implizit an, dass sich diese in der Zukunft wiederholen werden; oder auf Prognosen.
Sie sind von der Auswertung von umfangreichem Datenmaterial abhängig, was die Datenqualität um kritischen Faktor macht; oder von der Treffsicherheit von Prognosen.
Sie funktionieren nur in begrenztem Umfang mit Kriterien, die nicht Allgemeinwissen sind.
Langfristig erfolgreiche Quant-Investoren wie beispielsweise James Simons vom Hedgefonds Renaissance Technologies haben deshalb einen großen Apparat von Analysten aufgebaut, die keine andere Aufgabe haben, als a) permanent Markt-Trends zu prüfen und notfalls auch sehr kurzfristig Portfolio-Parameter anzupassen; sowie b) die Datenqualität sicherzustellen.
Weiterhin herrscht höchste Geheimhaltung bezüglich der identifizierten Kriterien. Smart Beta hingegen verzichtet auf die permanente Überprüfung der Strategie und basiert auf transparenten Kriterien. Dies erscheint mir sehr naiv.
Der Begriff „Smart Beta“ ist ein typisches Beispiel von Gegenteilisierung
Der britische Autor John Lanchester hat im vergangenen Jahr das Buch „How to Speak Money“ (auf Deutsch 2015: „Die Sprache des Geldes“) veröffentlicht. Hierin hat er den Versuch unternommen, die Sprache der Finanzwelt allgemein verständlich auszudrücken. Dabei ist er auf ein Phänomen gestoßen, das viele Finanzausdrücke besonders unverständlich macht: die sogenannte „Gegenteilisierung“ (im Original: „Reversification“).
Für Finanzinstrumente sind nicht nur Bezeichnungen üblich, die ihre Eigenschaften beschönigen. Tatsächlich werden sie mit Namen versehen, die genau das Gegenteil vom eigentlichen Wortsinn bedeuten. Lanchester nimmt als Beispiel den Begriff „Hedgefonds“. Mit „Hedging“ wird normalerweise eine Absicherung ausgedrückt, insofern müssten Hedgefonds vom Wortsinn her eigentlich sehr sichere Produkte sein. Aufgrund ihrer teilweise hochspekulativen Strategien und rechtlichen Gestaltungen sind Hedgefonds in der Praxis aber besonders unsicher.
Smart Beta ist ein relativ krasses Beispiel für Gegenteilisierung. Denn erstens geht es nicht um Beta, sondern um Alpha. Und zweitens ist es nicht „smart“ zu glauben, dass sich ein zwischenzeitlicher Erfolg von relativ simplen Faktor-Investing-Strategien dauerhaft wiederholen lässt.
Im Gegenteil ist es sogar „very stupid“ anzunehmen, dass mittels Befolgung relativ einfacher quantitativer Regeln Aktien- oder Rentenmarktindizes dauerhaft zu schlagen sind, man also Alpha generieren kann. So einfach funktioniert die reale Welt nicht, speziell an den Finanzmärkten.
Smart Beta dient als neue Ausrede für prozyklisches Verhalten
Faktor-Investing muss nichts Schlechtes sein. Wenn man es zum Beispiel dazu nutzt, ein Portfolio zu konstruieren, das ein anderes Chance-Risiko-Profil als ein Marktindex hat und so bestimmten Investorenanforderungen näher kommt, kann es seine Berechtigung haben. Allerdings darf dann nicht ebenfalls erwartet werden, dass so langfristig ein repräsentativer Marktindex zu schlagen ist.
Eine dauerhafte Outperformance versprechen hingegen die Propagandisten von Smart Beta. Sehr langfristige empirische Untersuchungen zeigen, dass Smart Beta-Strategien, die in bestimmten Phasen eines Börsenzyklus sehr gut funktionieren, in anderen Perioden versagen. Insbesondere wenn Anleger auf eine Strategie setzen, die in den gerade zurückliegenden Jahren sehr gute Ergebnisse gebracht hat, ist eigentlich ihr Misserfolg für die weitere Zukunft vorprogrammiert.
Genau eine solche Vorgehensweise wird dennoch heutzutage von vielen Consultants empfohlen – und von einer erschreckend hohen Anzahl von Anlegern gerade im institutionellen Bereich umgesetzt. Smart Beta ist somit zu einer Ausrede für Herdenverhalten und prozyklische Anlageentscheidungen geworden.
Eine komplexe und verschiedenen Wirtschaftszyklen folgende Welt ändert sich ständig; Finanzmärkte passen sich daran schnell an. Erfolgreiche quantitative Anleger wissen dies, halten ihre Strategien solange wie möglich geheim und adjustieren ihre Modelle laufend. Smart Beta hingegen ignoriert die relativ banale Erkenntnis, dass sich in einer sich wandelnden Welt auch die zahlenmäßig erfassbaren Erfolgsfaktoren ständig ändern; vor allem wenn diese allgemein bekannt sind. Wer alten Erfolgskriterien hinterherläuft, erreicht dauerhaft nur eine dumme Wertvernichtung – „Very Stupid No-Alpha“.
Von: Karl-Heinz Thielmann
Quelle: DAS INVESTMENT.