SJB | Korschenbroich, 06.05.2015. Henning Bergmann, Leiter Kapitalmarktrecht beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband DSGV, über den Sinn von Zuwendungen, die Sinnlosigkeit eines Provisionsverbots und die Rechtsunsicherheit, die die Regulierungsbehörden schaffen.
DAS INVESTMENT.com: Was sind derzeit die größten regulatorischen Probleme der Verbandsmitglieder im Kapitalmarktrecht?
Henning Bergmann: Das Hauptthema ist derzeit die Behandlung von Zuwendungen, auch Rückvergütungen. Wir sind der Meinung, dass diese erforderlich sind, um allen Kundengruppen einen Zugang zur Anlageberatung zu bieten. Mit Honorarberatung allein würde das nicht gelingen – die Kunden mit geringerem Vermögen und Einkommen blieben außen vor. Wir leben in einer Marktwirtschaft, der Kunde kann selbst entscheiden, welche Leistungen zu welchen Konditionen er in Anspruch nimmt. Das setzt natürlich voraus, dass er die Konditionen kennt: Stichwort Transparenz.
Im Bereich der Zuwendungen ist diese Transparenz gegeben. Jeder Kunde wird im Vorfeld dezidiert darüber aufgeklärt, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Zuwendungen fließen. Der Kunde benötigt und erwartet typischerweise Beratung – uns als Sparkassen muss es möglich sein, diese weiterhin anzubieten.
Nicht, wenn es nach den britischen Behörden geht. In Großbritannien herrscht seit 2013 Provisionsverbot für Vermittlung von Investmentfonds und Altersvorsorgeprodukten. Gehen Sie davon aus, dass Deutschland dieses Modell in einigen Jahren ebenfalls übernehmen wird?
Bergmann: Nein. Wir haben in Deutschland eine völlig andere Marktstruktur als in Großbritannien. So gibt es in Deutschland überwiegend Bankberater, während in Großbritannien Finanzvermittler den Markt dominieren. Bankberatung wie in Deutschland hingegen findet dort offenbar kaum noch statt. Nach dem Provisionsverbot müssen die meisten britischen Kleinanleger ganz ohne Finanzberatung auskommen. Eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte hat das bestätigt: Nur noch 18 Prozent der Haushalte mit einem Vermögen von bis zu 25.000 Pfund nahmen Anlageberatung in Anspruch. Bei Vermögen von bis zu 50.000 Pfund lag dieser Anteil mit 29 Prozent auch nicht viel höher. Das ist kein erstrebenswerter Zustand. Deutsche Kunden erwarten eine persönliche Beratung, wenn sie ein Finanzprodukt kaufen wollen.
Dann sollen sie eben für die Beratung zahlen.
Bergmann:Dazu sind aber nur die wenigsten bereit und in der Lage. Laut einer Umfrage würden gerade einmal 17 Prozent der deutschen Anleger für einen fachmännischen Rat in Finanzfragen Geld ausgeben. Außerdem zielen Anbieter von Honorarberatung eher auf wohlhabende Kunden ab. Der typische Sparkassenkunde fällt bei Honorarberatern durchs Raster. Für viele Kunden würde sich auch ein weiteres Problem stellen: Laut Schätzungen enden derzeit rund 40 Prozent aller Beratungsgespräche nicht mit einem Abschluss. Hätte der Kunde bei einem solchen Gespräch aber die Dienste eines Honorarberaters in Anspruch genommen, der ein Entgelt erhebt, müsste er trotzdem zahlen, obwohl er gar kein Finanzprodukt erworben hat.
Die Finanzmarktrichtlinie Mifid II ist vor kurzem in die zweite Phase gestartet. Die European Securities and Markets Authority (ESMA) hat Vorschläge zur Ausgestaltung der Richtlinie gemacht. Was halten Sie von den ESMA-Vorschlägen, die sich mit der Zulässigkeit von Zuwendungen beschäftigen?
Bergmann: Die Vorschläge vom Mai 2014 haben uns negativ überrascht, denn sie liefen auf ein faktisches Provisionsverbot hinaus. Ein Beispiel: Die Qualitätsverbesserung. Laut Gesetzgeber müssen Zuwendungen „qualitätsverbessernd“ sein. Diese Bestimmung gab es schon in Mifid I. Doch wie definiert man Qualitätsverbesserung? Ist die Infrastruktur, die man einem Kunden zur Verfügung stellt, eine Qualitätsverbesserung? Für uns schon. Anders für die ESMA: Die Aufsichtsbehörde wollte Zuwendungen für normale Geschäftstätigkeit grundsätzlich verbieten. Zum Glück hat sie diesen weitegehenden Vorschlag zwischenzeitlich gestrichen.
Na, dann ist doch alles gut.
Bergmann: Nicht ganz. Viele Kriterien, die die ESMA vorschlägt, sind weiterhin sehr auslegungsbedürftig.
Zum Beispiel?
Bergmann: Die sogenannte Case-by-Case-Betrachtung, ob Zuwendungen zulässig sind. Was bedeutet hier Case by case, also von Fall zu Fall? Welche Ebene ist gemeint? Die Einzelkundenebene? Die Ebene einzelner Finanzinstitute? Diese Frage lässt ESMA offen – und schafft damit Rechtsunsicherheit. Ein weiteres Beispiel ist die Proportionalität der Zuwendungen. Proportional wozu? Auch hier bleibt die ESMA eine Antwort schuldig. Ein drittes Beispiel: die breite Produktpalette. Was bedeutet breit? Auch hier fehlt eine genaue Definition. Sinnvoll ist daher eine Erweiterung, die klar stellt, dass die Beratung „in der Fläche und für alle“ weiterhin honoriert wird.
Außerdem haben Sie vor kurzem die von der ESMA für Mifid II vorgeschlagenen Definitionen im Bereich der systematischen Internalisierung kritisiert. Warum?
Bergmann: Die Transparenzpflichten werden durch die Mifid II erheblich erweitert, insbesondere Anleihen werden jetzt erfasst. . Das ist klar vorgegeben. Die praktischen Auswirkungen sind, mangels Erfahrungswerten, noch nicht absehbar. Wir würden der ESMA und der EU-Kommission daher raten, hier vorsichtig vorzugehen, damit es nicht zu Marktverwerfungen kommt.
Inwiefern?
Bergmann: Es besteht die Gefahr, dass der Markt ausgetrocknet wird, da Anbieter sich aus dem Geschäft zurückziehen oder keine Papiere mehr anbieten.
Jüngste Finanzregulierungsmaßnahmen: Wo gibt es aus Ihrer Sicht den größten Nachbesserungsbedarf?
Bergmann: Generell müssen die Regulierungen auf ihre Wirkungen und ihre Konsistenz überprüft werden. So müssen zum Beispiel Mifid II und die zukünftige Regulierung für Informationsblätter (PRIIPS) besser harmonisiert werden.
Wie sieht der Zeitplan bei Mifid II aus? Wann wird sie voraussichtlich verabschiedet? Wann tritt sie in Kraft?
Bergmann: Die Mifid muss Anfang Januar 2017 von den Instituten umgesetzt werden – die Regelungen sollen abschließend im Juli 2016 feststehen. Die EU-Kommission plant, im Sommer 2015 die „Level II“ – Bestimmungen zum Anlegerschutz zu verabschieden – das EU-Parlament und der EU-Rat können dann überlegen, wie sie damit umgehen.
Von: Svetlana Kerschner
Quelle: DAS INVESTMENT.