SJB | Korschenbroich, 17.02.2022.
Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wird in diesem Jahr die US-Zinsen in mehreren Schritten anheben. Anders, als von manchen Beobachtern befürchtet, dürfte sich diese Entwicklung im Großen und Ganzen aber kaum negativ auf die Volkswirtschaften der Schwellenländer auswirken.
Der Grund: die makroökonomischen Daten zeigen derzeit eine insgesamt robuste Lage mit geringer Anfälligkeit für externe Störfaktoren.
Zwar hat die Inflation in der EMEA-Region sowie in Lateinamerika stark angezogen. Darauf haben die Zentralbanken allerdings noch vor der Fed mit Zinserhöhungen reagiert. In China hingegen ist die Inflation gedämpft und die Geldpolitik wird derzeit gelockert, wobei im Jahr 2022 eine wachstumsfreundlichere Finanz- und Geldpolitik zu erwarten ist.
Wir gehen daher davon aus, dass die chinesische Wirtschaft vom vierten Quartal 2021 bis zum vierten Quartal 2022 ein sequentiell steigendes Wachstum aufweisen wird. Der Renminbi ist aufgrund hoher Leistungsbilanzüberschüsse stark, was der People’s Bank of China mehr Spielraum für eine Lockerung geben dürfte.
Darüber hinaus haben die auf US-Dollar lautenden Schuldenprobleme des chinesischen Immobiliensektors nicht auf andere Sektoren übergegriffen. Außerhalb des Immobiliensektors ist China kaum in ungesicherten US-Dollar-Schulden engagiert.
Indien und Indonesien haben ihre Zahlungsbilanz verbessert, und die Weltbank geht davon aus, dass diese Länder im Jahr 2022 zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt gehören werden. Darüber hinaus reagieren einige Schwellenländer wie Korea und Taiwan in der Regel empfindlicher auf das globale Wachstum als auf die Zinsen.
Vor allem die ASEAN-Region dürfte sich gegenüber einer Erhöhung der US-Zinsen wenig anfällig zeigen. Dort stehen viele Volkswirtschaften voraussichtlich an der Schwelle zu einem positiven Konjunkturzyklus. Denn sie verfügen über ausreichend strukturelle Freiräume, die das BIP-Wachstum ankurbeln können.
Zum einen haben sich die Impfraten sich in den letzten Monaten deutlich erhöht. Zweitens: Die Inflation ist aufgrund von Überkapazitäten und Unterbrechungen der Lieferketten wesentlich niedriger als in den USA und Europa. Und von der weltweiten Halbleiterknappheit haben die Chiphersteller in Korea, Taiwan und Malaysia profitiert.
Vor allem der verschärfte Technologiewettbewerb zwischen den USA und China könnte dafür sorgen, dass die Chipfertigung und -montage weiter aus China in die ASEAN-Länder verlagert wird. Ein dritter Pluspunkt: Die steigenden Preise für Rohstoffe wie Kohle, Palmöl und Erdgas dürften Ländern wie Indonesien und Malaysia zugutekommen, während Rohstoffimporteure wie Indien und die Philippinen aufgrund hoher Devisenreserven und einer starken Außenbilanz höhere Preise verkraften können.
Was die Bewertungen vieler ASEAN-Aktienmärkte angeht, so besteht auch hier kein Grund für Pessimismus. Vor dem Hintergrund eines zu erwartenden Gewinnwachstums einerseits und einer bisher niedrigen Pandemie-Basis erscheinen sie eher günstig. Gleiches gilt für manche der ASEAN-Währungen. Unserer Ansicht nach dürften günstige Bewertungen, billige Währungen und eine niedrige Auslandsverschuldung die ASEAN-Aktienmärkte im diesem Jahr unterstützen.
Schwieriger ist die Situation im Osten Europas. Nach wie vor ist unklar, ob es zu militärischen Aggressionen von Seiten Russlands im Ukraine-Konflikt kommen wird. Grundsätzlich scheint eine diplomatische Lösung noch möglich. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Unsicherheit und das Risiko einer Eskalation die Märkte noch eine Weile verunsichern werden. Hauptleittragender von Sanktionen wäre insbesondere natürlich Russland.
Über den Autor: Ashish Chugh ist Portfoliomanager bei der US-Investmentgesellschaft Loomis Sayles