Die Marktschwankungen im ersten Halbjahr 2020 waren derart heftig, dass wir für einen angemessenen Vergleich bis in die Wirtschaftskrise des Jahres 1929 zurückblicken müssen.
Das gilt sowohl für die Abwärtsbewegung in diesem März als auch für die fulminante Aufholrally in den Monaten danach. In der Börsengeschichte suchen wir dann auch vergebens nach Anhaltspunkten, wie sich eine Pandemie auf global ausgedehnte Lieferketten und die Umsätze der davon betroffenen Unternehmen auswirkt.
Im Gegensatz zur Finanzkrise der Jahre 2008/2009 haben die Zentralbanken diesmal schnell reagiert. Die europäische Zentralbank EZB hat ihre Anleihekaufprogramme deutlich ausgeweitet. Die amerikanische Notenbank Fed kauft zusätzlich zur Zinssenkung auf fast null Prozent nun auch Hochzinsanleihen. Hinzu kommen umfangreiche Wirtschaftshilfen wie das 750 Milliarden-Euro-Wiederaufbauprogramm der Europäischen Union und die Hilfspakete der US-amerikanischen Regierung über insgesamt 3.000 Milliarden US-Dollar. Deutschland weist im aktuellen Entwurf für den Bundeshaushalt eine Nettoneuverschuldung von 220 Milliarden Euro für das laufende Jahr aus.
Kursentwicklungen fundamental betrachtet nicht absurd
Die außergewöhnliche Summe aller Maßnahmen hat ihre Wirkung nicht verfehlt und für eine schnelle Erholung an den Kapitalmärkten gesorgt. Die daraus resultierende Zuversicht im Markt erinnert etwas an die euphorische Stimmung nach Mario Draghis historischer Aussage „Whatever it takes“. Die jüngsten Kursanstiege sind jedoch fundamental betrachtet keinesfalls absurd. Um Konjunkturzyklen bereinigt, liegt das Shiller KGV über seinem 20-jährigen Durchschnitt. Branchen und Unternehmen sind aber sehr differenziert zu betrachten. Von der Pandemie stark betroffene Branchen wie Luftfahrt, Tourismus und die Hersteller von Ausrüstungsgütern dürften noch lange benötigen, um sich zu erholen. Andere Branchen wie E-Commerce, Online-Zahlungsdienstleister oder auch Pharmaunternehmen weisen durch die Nachfrageverschiebung eine positive Entwicklung auf – zumindest, wenn dabei alles mit rechten Dingen zugeht.
Aber auch bei den Gewinnern der letzten Monate gibt es Unterschiede: Zyklischen Gewinnern kommt die derzeit hohe Nachfrage nach bestimmten Produkten und Dienstleistungen zugute. Unilever beispielsweise hatte im ersten Halbjahr ein starkes Umsatzwachstum bei Reinigungs- und Hygieneprodukten zu verzeichnen. Bei indirekten zyklischen Gewinnern wie Pepsi spiegelt sich die Beliebtheit von Softdrinks und Snacks während des Lockdowns wider – die „Corona-Bäuchchen” kommen also nicht von ungefähr.
Pandemie bringt strukturelle Gewinner hervor
Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen haben viele Trends beschleunigt, die sich schon zuvor abzeichneten. Diejenigen Unternehmen, die den Wandel aktiv mitgestalten, werden stärker als je zuvor dastehen, sobald wir die aktuelle Krise hinter uns gelassen haben. Das zeigen nicht nur die Rekord-Umsätze und -Gewinne in den jüngsten Halbjahresberichten der großen Technologie-Konzerne. Auch ein Unternehmen wie Teladoc, ein Anbieter medizinischer Ferndiagnosen, hat im ersten Halbjahr doppelt so viele virtuelle Arzttermine vermittelt wie im Vorjahr. Nicht von ungefähr legte die Aktie seit Jahresbeginn um mehr als 180 Prozent zu.
Ein weiteres Beispiel ist das bargeldlose Bezahlen. Während dies in Ländern wie Schweden oder Holland lange etabliert ist, waren in Deutschland sowohl Anbieter als auch Verbraucher lange Zeit dem Bargeld zugeneigt. Mittlerweile ist nahezu überall Kartenzahlung möglich. Zahlungsabwickler wie Mastercard, Paypal und Square dürfen als sogenannte strukturelle Gewinner bezeichnet werden – das sind Unternehmen, die den Markt durch ihre Innovation verändern können und langfristig daran partizipieren. Hinter dieser Entwicklung steht ein in seiner Tragweite kaum überschätzbarer Trend steht: die Veränderung des Konsumverhaltens weltweit.
Ausgesucht und bestellt wird heute online, geliefert bis an die Haustür. Das Nachsehen haben Einzelhandel und Einkaufsmeilen, denen dieser Umsatz fehlt. Was sich über Amazon etabliert hat, bildet als Megatrend auch neue, angrenzende Märkte. Mit Pinterest beispielsweise findet sich im Schumpeter Portfolio eine auf Bilder fokussierte Plattform mit bunter Themenvielfalt – von Garten und Inneneinrichtung über Mode und Reisen bis hin zur Bastelanleitung. Das Auge bleibt am Bild hängen, der Nutzer klickt, der Link zur Verkäuferseite des gezeigten Angebotes ist hinterlegt. Das bewährte Marketingprinzip, dem Kunden beizubringen, was er unbedingt braucht, wird damit auf eine neue, überall und jederzeit mobil zugängliche Ebene gehoben.
Monopolisten als stabilisierende Faktoren
Neben „schöpferischen Zerstörern“ wie Pinterest finden sich auch Monopolisten oder Oligopolisten im Schumpeter Portfolio. Sie zeichnen sich durch eine konstante Nachfrage, auskömmliche Margen und hohe Eintrittsbarrieren aus – und sie können in unruhigen Zeiten stabilisierend wirken. Die Aussicht auf konstante, meist hohe Dividendenzahlungen ist ausschlaggebend für die Wertentwicklung einer langfristigen Aktienanlage.
Typische Beispiele für diese Kategorie sind Nahrungsmittelproduzenten und Pharmaunternehmen. Unabhängig von der wirtschaftlichen Situation müssen Menschen essen und sind gegebenenfalls auf Medikamente angewiesen. Staaten haben ein hohes Interesse an der Grundversorgung ihrer Bevölkerung, weshalb sie diesen Unternehmen auch eine gewisse Monopolstellung zubilligen. Von einem solchen übergreifenden Interesse profitiert beispielsweise Veolia Environment, zuständig für die Müllabfuhr im Großraum London. Die Stadt dürfte ein sehr großes Interesse daran haben, dass hier alles reibungslos läuft.
Genauso wie sich Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ständig weiterentwickeln, ist dies auch bei den Kapitalmärkten der Fall. Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie schnell und drastisch sich die Marktumstände ändern können. Wir sind überzeugt, dass das beste Werkzeug, um diesem stetigen Wandel zu begegnen, der gesunde Menschverstand ist. Das ist mit ein Grund, warum wir mit der aktiv gemanagten Schumpeter-Strategie nach überschaubarem Drawdown im März auf Jahressicht ein Plus von 12 Prozent ausweisen können (Stand 31. Juli 2020). Anders als viele Benchmark-Ansätze waren wir allenfalls indirekt in Automobil, Luftfahrt, Tourismus oder Öl investiert. Bis wir in diesen Branchen die Vor-Krisen-Kurse wiedersehen, dürfte es dauern – wenn einige Unternehmen es überhaupt schaffen.
Wandel in vielen Wirtschaftsbereichen erst am Anfang
Wir sind für die Zukunft an den Aktienmärkten vorsichtig optimistisch gestimmt. Die Pandemie mit ihren vielen Opfern ist ohne Frage eine menschliche Katastrophe. Unsere Gesellschaft und die Wirtschaft werden sich jedoch an die neuen Gegebenheiten anpassen und daher weiter funktionieren. Die Zentralbanken und die Regierungen dürften weiterhin alles tun, um den schlimmsten Kollaps mit allen verfügbaren Mitteln zu verhindern.
Quelle: Das Investment