Das Investment: „Wie könnte ein stabiles Geldsystem aussehen, Herr de Vries?“

sjb_werbung_das_investment_300_200 SJB | Korschenbroich, 17.10.2014. Das Problem unseres heutigen Geldes sind Zinsen und die gute alte Giralgeldschöpfung. Heiko de Vries, Vorstand bei der Fondsgesellschaft Loys, hat sich viel mit Geldsystemen beschäftigt und spricht mit uns über alternative Finanzsysteme, Naturwissenschaftler als Berater und den Segen der Kleinteiligkeit.

Die Fondsgesellschaft Loys ist auf Aktienfonds spezialisiert, und ihr Starfondsmanager heißt Christoph Bruns. Doch in jenem Gespräch am 6. Oktober in der Bar des Hotels Atlantic in Hamburg soll es ausnahmsweise nicht um Aktien gehen. Obwohl Gesprächspartner und Loys-Vorstand Heiko de Vries Aktien für eine durchaus treffliche Anlage hält, die locker verschiedene Währungssysteme überleben kann. Denn um unser Geldsystem soll es gehen – und mögliche Alternativen.

DAS INVESTMENT.com: Herr de Vries, lassen Sie uns mal nicht über Aktien, sondern das Geldsystem sprechen.

Heiko de Vries: Aber gern. Eine wichtige Frage ist hierbei, warum alle Geldsysteme auf der Welt nach dem identischen Plan aufgebaut sind.

Vielleicht weil er sich bewährt hat?

Das ist sicherlich ein gutes Argument. Aber ein kreditbasiertes und nicht rückgedecktes Geldsystem, wie wir es heute haben, ist zwar für junge, schnell wachsende Volkswirtschaften sehr effizient.

Man kann hier über Banken schnell und dezentral Geld zur Verfügung stellen. Ein Problem gibt es allerdings, sobald das Wachstum aufhört.

Wieso?

Weil das Kreditgeldsystem wie ein Schneeballsystem funktioniert.

Wie kommen Sie denn darauf?

Geld entsteht auf zweierlei Art. Einerseits drucken es die Zentralbanken. Der zweite Weg ist sogar der historisch betrachtet größere Teil der Geldmengenausweitung – es ist die Giralgeldschöpfung.

Während meines Studiums Ende der 90er Jahre galt es noch als etwas Gutes, wenn Banken auf der einen Seite Geld einnehmen, es als Kredit wieder ausgeben, als Einlage wieder annehmen, und wieder ausgeben und so weiter.

Es ist Geld, das nur aus Krediten entsteht. Und für dieses Geld gibt es immer auch eine Schuld in gleicher Höhe. Und diese Schuldenmenge muss man mit Zinsen bedienen.

Das dafür nötige Geld plus Zins steckt aber gar nicht im System. Es entsteht also ein gewisser Druck, der Geld verknappt. Das kann zu Deflation führen, die man aber immer vermeiden will.

Das erzeugt einen Zwang, neue Schulden zu erzeugen, um die alten bedienen zu können. Und zwar passiert das losgelöst vom Wirtschaftswachstum.

Die Kontraktion, von der Sie reden, haben wir jetzt. Unternehmen tilgen Schulden, Bilanzen verkürzen sich, die Geldmenge wächst kaum noch, wir kratzen an der Deflation. Ist das nun ein Fehler im System?

Es ist ein Zeichen, dass die alten Volkswirtschaften an die Grenzen ihres Wachstums gestoßen sind. Sie scheinen gesättigt nach dem Motto „Die Tränken sind voll, aber die Pferde saufen nicht“. Unternehmen, die einen Kredit bekommen würden, wollen ihn nicht. Und die, die ihn brauchen, kriegen ihn nicht.

Nachfrage ist sehr einfach zu erzeugen, indem man besonders mies bezahlten Menschen mehr Einkommen ermöglicht. Zum Beispiel über einen Mindestlohn.

Ich bin da eher liberal und der Meinung, dass der Markt die Preise, also auch die Löhne, bestimmen sollte. Einen Mindestlohn halte ich nicht für die Lösung. Wahrscheinlich würde das auch eine künstliche, höhere Inflation erzeugen.

… die doch viele wollen. Aber stellen wir doch die Sache mal auf ein breiteres Fundament: Viele Menschen würden gern viel kaufen, wenn sie das Geld dazu hätten. Bei anderen liegt es rum. Haben wir ein Verteilungsproblem?

Ich denke schon. Unser Wirtschaftssystem ist so ausgerichtet, dass es zu Oligopol-Strukturen führt, also wenige große Anbieter auf einem begrenzten Markt. Und wenn die Karten einmal verteilt sind, nimmt die Polarisierung immer weiter zu.

Es gibt einige, die gut verdienen, und viele, die wenig verdienen, und eine Mittelschicht, die auseinanderdriftet. Das ist der amerikanische Trend, den wir nun auch in Europa und Deutschland sehen. Es ist einfacher oben zu bleiben als nach oben zu kommen.

Sie haben sich bestimmt mal überlegt, wie ein stabiles Geldsystem aussehen könnte.

Zunächst muss man akzeptieren, dass die Konstruktion unseres heutigen Finanzsystems fehlerhaft ist. Das wäre schon mal ein Paukenschlag, denn viele Wissenschaftler sehen es als gegeben an und stellen es nicht in Frage.

Dann wollen wir das hiermit einmal tun. Weiter bitte.

Man müsste Naturwissenschaftler hinzuziehen, die etwas von Gleichgewicht und Stabilität in komplexen Systemen verstehen. Es geht um die Frage, wie man Dynamiken am besten beeinflussen kann.

Vielleicht ist der Vorschlag von Irving Fisher ganz gut, den er in seinem Buch „100%-money“ schildert. Darin fordert er Vollgeld, indem man Banken das Privileg zur Giralgeldschöpfung entzieht. Das geht über die 100-prozentige Mindestreserve. Dann können nur noch Zentralbanken Geld erschaffen.

Wenn Banken jede Einlage zu 100 Prozent als Mindestreserve bei der Zentralbank sichern müssen, könnten sie gar keine Kredite mehr herausgeben. Wie soll Vollgeld dann überhaupt funktionieren?

Das kann nur über die Zentralbank laufen. Sie bekommen dann eine Kontonummer so ähnlich wie eine Sozialversicherungsnummer. Und dort liegt nur echtes Zentralbankgeld.

Wenn Sie es einer Bank zum Verzinsen geben, haben Sie das Risiko, dass sie Pleite geht. Aber solange es unverzinst auf dem Zentralbankkonto liegt, ist es sicher. So könnte ich mir ein neues System vorstellen.

Im heutigen System ist ein normales Bankguthaben dagegen nur eine Forderung auf Zentralbankgeld. Echtes Zentralbankgeld sind nur Bargeld und Guthaben bei der Zentralbank.

Andere wollen Geld einfach wieder an Gold binden, damit man es nicht mehr beliebig drucken kann.

Ich bin da skeptisch. Mir leuchtet ein, dass man Geld dann nicht beliebig produzieren kann. Und es hat ja auch lange Zeit funktioniert. Es kann aber eine Bremse werden. Wenn ich neues Geld brauche, muss ich dafür erst Gold aus der Erde schürfen.

Oder ich lasse den Goldpreis künstlich in der gewünschten Menge steigen und erhöhe so die dem Gold zugeordnete Geldmenge. Dann habe ich eine begrenzte Form der Inflation.

Das könnte auch funktionieren. Aber das Thema ist sehr komplex, viele wollen Recht haben. Man kann sehr schwer Dinge beweisen, und sich schnell in Diskussionen verrennen.

Aber Sie müssen doch eine Idee haben, was zum Beispiel in Europa gerade verkehrt läuft.

Die Eurokritiker haben bis zu einem gewissen Grad Recht, dass die Gemeinschaftswährung nicht mehr Stabilität gebracht hat. Früher konnte man sich durch abwertende Währungen wieder konkurrenzfähig machen, heute fehlt dieses Regulativ.

Das muss man heute über sinkende Löhne und Preise regeln.

Ja, und die Rechnung zahlt der Bürger. Wenn der Deutsche nach Spanien fährt, sieht er, was der Euro getan hat. Früher war er dort mit der D-Mark der König, alles kostete die Hälfte oder weniger.

Heute sind die Preise mehr oder weniger gleich. Die Gewinner sind die deutschen Firmen, weil sie den Nachteil der starken eigenen Währung nicht mehr haben.

Es klingt so, als würden Sie den Verlust des Euro verschmerzen können.

Darum geht es nicht. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Ich sehe aber durchaus die Gefahr von Schieflagen und dass Deutschland in die Haftung geraten könnte und reformunwillige Staaten mitfinanzieren muss.

Man kann sich aber an den USA einiges abschauen. Die waren schon totgesagt und haben Unmengen an Geld gedruckt. Viele meinten schon, dass ihnen das alles um die Ohren fliegt und der Dollar als Leitwährung pulverisiert wird.

Aber das Gegenteil ist der Fall, der Dollar steigt gegenüber dem Euro. Jetzt erwarten manche sogar, dass sich die USA wieder neu industrialisieren. Man sieht daran, dass die Dinge sehr komplex sind. Davor habe ich großen Respekt.

Glauben Sie, dass die Eurokrise zurückkommt?

Das System kann nur durch eine große Vertrauenskrise ausgehebelt werden. Wenn also Marktteilnehmer erkennen, dass der Kaiser nackt ist, und nicht mehr an das System glauben. Das sehe ich aber noch nicht, es kann noch lange weiterlaufen.

Sobald ein Marktteilnehmer ruft, dass der Kaiser nackt ist, kann es sehr schnell gehen.

Ich sehe eine ganz andere Zeitbombe. Nämlich die, dass die Länder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen müssen ohne Neuverschuldung.

Schaffen die doch eh nicht.

Ja, wahrscheinlich brechen sie wieder die Regeln. Aber der Versuch, über diesen Zwang das Problem zu lösen, zeigt doch nur, dass man in der Tiefe nicht nachgedacht hat.

Ich finde, dass wir schuldfreies Geld im System brauchen. Das erschaffen wir zurzeit nur durch den Zins, der gegen Null geht. Aber an dessen Stelle sollte ja eigentlich ein freier Marktzins sein.

Stimmt, und der wäre in manchen Ländern zweistellig.

Ja, diese Neo-Konvergenz ist schon recht merkwürdig, denn an den Problemen hat sich nichts geändert. Zum Beispiel ist Systemrelevanz noch immer ein Problem. Wir brauchen mehr Kleinteiligkeit.

Inwiefern?

Die Wirtschaft muss auf mehr kleine Parteien verteilt werden. Dann wird das alles zwar unübersichtlicher, aber jeder Teilnehmer ist auch eher entbehrlich. Und am Ende findet sich auch ein besseres Zusammenspiel im Markt. Das ist besser als mit den heute an jeder Ecke schon vorhandenen Oligopolen.

In der Finanzkrise haben alle gefordert, die großen Banken zu zerschlagen. Doch das Gegenteil ist passiert. Die Großen sind weiter gewachsen, und die kleinen, entbehrlichen hat man Pleite gehen lassen. Das finde ich bedenklich.

Aber sind zumindest die amerikanischen Banken nicht inzwischen solider aufgestellt?

So wird es uns verkauft. Ich glaube aber, dass die Risiken und Mechanismen, die zur Krise geführt haben, heute noch genauso vorhanden sind. Sicherlich wird die Krise, so wie sie war, nicht noch einmal auftreten. Aber in einer anderen Form.

Von: Andreas Harms

Quelle: DAS INVESTMENT.

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