Das Investment: “Für Themeninvestments braucht es Sorgfalt und Zeit”

Herr Liebe, die Pictet-Gruppe hat für das Kalenderjahr 2020 eine Steigerung ihres Betriebsertrags um 10 Prozent auf umgerechnet 2,63 Milliarden Euro und des Konzerngewinns um 7 Prozent auf 523 Millionen Euro erzielt. Die verwalteten Vermögen stiegen um 6 Prozent auf einen Höchststand von 552 Milliarden Euro. Die Zahlen vieler Asset Manager sind 2020 hingegen unter Druck geraten: Was macht Pictet AM besser?

 Walter Liebe: Im Grunde genommen war 2020 für die Mittelflüsse der Asset Manager kein schlechtes Jahr. Allerdings verbuchten viele Asset Manager und Banken mit Blick auf ihre Erträge kein Rekordjahr. Aus unserer Sicht macht es sich bezahlt, dass Pictet AM kein börsennotiertes Unternehmen ist, sondern sich im Besitz der geschäftsführenden Partner befindet. Das erlaubt es uns, langfristige Entscheidungen zu treffen – ohne uns kurzfristig Gedanken um den Börsenkurs und andere Reaktionen der Marktteilnehmer machen zu müssen. Die gesamte Entwicklung der Pictet-Gruppe gründet daher auf dem Fundament der Langfristigkeit; also auf Geduld, einem langen Atem und dem Willen, sich strategisch weiterzuentwickeln. So konnten wir angesichts unseres schönen Erfolgs im vergangenen Herbst Repräsentanzen in New York und Shanghai eröffnen.

Die Firmenstruktur ist das eine, auf der anderen Seite braucht es aber auch Ideen, um langfristige Chancen am globalen Markt zu erkennen. Was unterscheidet Pictet AM in dieser Hinsicht von anderen Marktteilnehmern?

Liebe: Vor mehr als drei Jahrzehnten haben wir eine Niederlassung in Tokio eröffnet. Es hat Jahre gedauert, bis wir dort profitabel waren. Doch über die Jahrzehnte sind wir in Japan zu einem der größten ausländischen Asset Manager mit mehr als 25 Milliarden Euro an verwaltetem Anlegerkapital gewachsen. Wir sind in der Lage, die Entwicklung von Standorten und Assetklassen mit Geduld voranzutreiben. Außerdem beteiligen wir uns nicht an der Konsolidierung der Branche. Pictet hat in der Unternehmensgeschichte noch nie ein anderes Institut übernommen, sondern ist immer nur aus eigener Kraft organisch gewachsen. Man könnte das als übervorsichtig abtun, aber wir sind so mittlerweile zu einem großen, global agierenden Unternehmen mit über 544 Milliarden Euro verwalteten Assets geworden.

Warum scheut die Gruppe Übernahmen?

Liebe: Wir haben den entscheidenden Vorteil, dass wir anders als viele Mitbewerber nicht damit beschäftigt sind, übernommene oder fusionierte Einheiten integrieren zu müssen, was sehr große interne Ressourcen bindet und nicht selten die Mitarbeiter verunsichert. Während andere das Fusions-Karussell fahren, sind wir in der Lage, uns zu 100 Prozent auf unsere Kunden zu fokussieren – mit Ruhe und Langfristigkeit.

Wofür steht Pictet AM inhaltlich? Wo liegen weitere Alleinstellungsmerkmale gegenüber den Mitbewerbern?

Liebe: Als mittelgroßer Asset Manager müssen wir uns auf einige strategische Stärken fokussieren und können nicht alles anbieten. In diese über viele Jahre hinweg auf- und ausgebauten Expertisen und Stärken investieren wir allerdings sehr viel.

Könnten Sie das am Beispiel näher erläutern?

Liebe: Vorrangig zählen hierzu unsere thematischen Aktienstrategien. In den vergangenen fünf Jahren haben wir die darin betreuten Gelder von 12 Milliarden auf 56 Milliarden Euro steigern können. Wir sehen uns schon länger als zwei Jahrzehnte als Experte für die Schwellenmärkte, sowohl auf der Anleihen- als auch auf der Aktienseite. Darüber hinaus sind wir einer der größten Anbieter von UCITS-Hedgefonds und Total-Return-Strategien. Seit über zwölf Jahren gehören wir hier zu den größeren Playern am Markt und bauen diese Expertise durch das kontinuierliche Einstellen von hochqualifizierten Experten immer weiter aus.

Sie betonen unter anderem die Expertise für Schwellenmärkte. Womit hängt diese Fokussierung zusammen?

Liebe: Die Kompetenz für Schwellenländer, gerade auf der Aktienseite, haben wir schon sehr früh aufgebaut. Bereits Ende der 1990er-Jahre setzten wir Emerging-Markets-Aktienfonds auf und haben damals konsequent in den Schwellenmärkten Niederlassungen gegründet, etwa in Hongkong und Singapur. Bestimmte Anlageklassen haben wir sehr frühzeitig besetzt, als diese noch in den wenigsten Portfolios zu finden waren. Nachdem wir 2005 ein spezialisiertes Team zusammengestellt hatten, haben wir im Jahr 2006 einen der ersten Schwellenländer-Anleihefonds in Lokalwährung aufgelegt – lange bevor Investments in Lokalwährungen in Mode waren. Wie von uns erwartet, tendieren seit einigen Jahren die Währungen von Schwellenländern zur Aufwertung.

Sie haben ebenfalls viel Expertise im Bereich Megatrends und sind auch hier Vorreiter. Was ist aus Ihrer Sicht der Schlüssel zum Erfolg?

Liebe: Themeninvestments können dann erfolgreich sein, wenn sie gut definiert und gut recherchiert sind. Dafür braucht es Sorgfalt und vor allem Zeit. Klar, ETF-Anbieter haben einen Geschwindigkeitsvorteil, zum Beispiel jetzt beim Thema Wasserstoff. Dafür haben wir die Fähigkeit, langfristige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und nuanciert mit allen Facetten abzubilden. Wir sind bei der Definition sehr sorgfältig und gehen nicht vorschnell in eine kleine Nische wie Cannabis, 3D-Druck, Seltene Erden oder eben Wasserstoff.

Können Sie uns ein Beispiel für Themeninvestments von Pictet AM nennen?

Liebe: Bereits 2008 haben wir den Fonds Pictet-Timber aufgelegt und beziehen die gesamte Wertschöpfungskette in der Holz- und Forstwirtschaft ein, um eine Diversifikation zu ermöglichen. Es geht nicht darum, ein Thema schnell auf den Markt zu bringen, den kurzfristigen Hype zu reiten und es dann wieder verschwinden zu lassen. Mit unserer Vorgehensweise schaffen wir es, Pionier zu sein. Wir nehmen uns aber sehr viel Zeit, ein Thema und seine wissenschaftliche Basis gründlich zu recherchieren.

Sehen Sie: Der Pictet-Timber ist schon mehr als zwölf Jahre am Markt. In den vergangenen Jahren war es ein Hemmschuh, dass er keine Technologie- und Wachstumswerte enthält, sondern auf Value-Aktien und Zykliker setzt. Diese Bereiche standen nicht so sehr im Fokus der Anleger. Seit etwa einem Jahr beobachten wir aber, dass die Umweltkomponente dem Fonds einen ganz anderen Stellenwert gibt – also, dass Wälder CO2 aktiv binden und aus der Atmosphäre ziehen.

Der Fonds profitiert demnach stark vom Nachhaltigkeits-Trend?

Liebe: In der Tat! Forstunternehmen oder Betriebe, die Verpackungsmaterial auf Papierbasis herstellen, sind durch das gestiegene Umweltbewusstsein, die Energiewende und den Green Deal der EU ins Rampenlicht gerückt. Sie verlassen die Value-Ecke und werden für ihre Innovationsfähigkeit geschätzt. Seit etwa einem Jahr beobachten wir einen Wendepunkt in der relativen Performance – bei einem Thema, das eigentlich schon lange besteht. Aber manchmal braucht es einen kleinen Schubser, um ins Laufen zu kommen. Saubere Energie hatte lange Zeit ebenfalls einen schweren Stand. Mit der Energiewende und dem Bestreben vieler Staaten, CO2-neutral zu werden, ist das Thema durchgestartet.

Sie verfolgen auch Themen, die auf die breite Masse auf den ersten Blick vielleicht etwas abseitig wirken, zum Beispiel mit Ihrem Pictet-Human. Was hat es mit diesem Fonds auf sich?

Liebe: An diesem Konzept haben wir sehr lange gearbeitet, meines Erachtens länger als drei Jahre. Dahinter steht der Gedanke, dass die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, also Dienstleistungen rund um den Menschen, durch Robotik gefördert wird. Denn die Automatisierung der Lebens- und Berufswelt nimmt uns Arbeiten ab und schafft mehr Freizeit und Freiräume zur Selbstverwirklichung. Die Menschen sind immer stärker dazu bereit, Geld für Dienstleistungen auszugeben, die ihnen gut tun – also die Bildung fördern oder dafür sorgen, dass für Angehörige gesorgt wird. Gleiches gilt für Sport, Freizeit, Entertainment sowie Erholungsreisen. Die oberste Ebene der Maslowschen Bedürfnishierarchie spielt plötzlich eine größere Rolle im Leben der Menschen und es wird Geld dafür locker gemacht. Und da wo Kaufkraft und Nachfrage sind, entstehen neue Geschäftsmodelle. Der positive Nebeneffekt: Der Mensch wird als soziales Wesen innerhalb der Gemeinschaft gestärkt, wird selbstbewusster, integrierter und gesünder.

Für viele Menschen sind Videospiele ein fester Bestandteil ihrer Freizeitgestaltung. Spielt Gaming im Pictet-Human eine Rolle?

Liebe: Nein, Gaming ist ausgeschlossen. Wir schließen alle Dienstleistungen aus, die moralisch verwerflich sind oder süchtig machen – darunter der Bereich Glückspiel oder eben Gaming. Es geht ausschließlich um eine positive Stellung des Menschen. Das war die langfristige Überlegung: Nicht nur in den reichen entwickelten Volkswirtschaften, auch in vielen Schwellenländern haben sich die Konsumgewohnheiten gewandelt und ist die Zahlungsbereitschaft deutlich gestiegen – bereits vor Corona.

Und die Pandemie hat der Entwicklung einen zusätzlichen Schub verliehen?

Liebe: Ja, die Pandemie war gewissermaßen der Turbo für den Bedarf der Menschen nach sozialer Interaktion, Caring und anderem. Gleichzeitig hat das Virus viele Defizite der öffentlichen Daseinsvorsorge offengelegt, beispielsweise bei der Bildung, der Arbeitsvermittlung sowie der Betreuung von Kindern und Älteren. Dadurch hat sich der Bedarf noch einmal potenziert. Insofern ist der Mensch in seiner sozialen Umgebung und was er in der Homeoffice-Zeit für sein Wohlbefinden tun kann, derzeit so präsent. Ich und meine Familie merken das selbst: Wir bezahlen für Dienstleistungen, die wir vorher nicht genutzt haben, Lernplattformen und Streaming zum Beispiel.

Sie haben vorhin darüber gesprochen, dass Pictet auf 30 bis 40 Jahre Expertise in den Schwellenländern zurückblickt. Nun wurde jüngst ein entsprechender Multi-Asset-Fonds aufgelegt. Was ist der Hintergrund?

Liebe: Dass die Schwellenländer sich zu einem wirtschaftlichen Kraftzentrum in der Welt gemausert haben, ist ja relativ unstrittig. Die dortigen Märkte haben sich in den vergangenen 15 Jahren sehr verändert: Die einstige Dominanz der Rohstoffexporteure und Banken hat sich überlebt; inzwischen geben Konsumsektor und Technologie den Ton an. Es gibt viele Staaten, die sich rasant fortentwickeln und wo das Pro-Kopf-Einkommen stark steigt. Da wären zum Beispiel Indien und China oder die gesamte südostasiatische Region, wo ja viele Länder teilweise an der Schwelle zum Industrieland stehen. Es handelt sich um immer stärker konsum- und dienstleistungsorientierte Volkswirtschaften. Angesichts dieser Entwicklung lassen sich sowohl auf der Aktien- als auch auf der Anleiheseite gute Renditen erwirtschaften.

In welcher Größenordnung muss man sich diese Renditen vorstellen?

Liebe: Im Lokalwährungsbereich sind wir bei Renditen von etwa 4 Prozent. Bei den Hartwährungsanleihen, also bei US-Dollar-Anleihen, sind es knapp 5 Prozent. Das liegt natürlich deutlich über den Zinsniveaus, die wir in Europa haben. Aber die Verteilung verschiedener Anlageklassen innerhalb der Emerging Markets ist nicht ganz trivial, weil sie alle ihr Eigenleben haben. Es gibt nicht die Schwellenländer, sondern es gibt eine Reihe von Ländern mit eigenen Aktien- und Anleihemärkten. Das heißt, dass ein vorteilhaftes Investieren in den Schwellenländern mitunter auch komplex werden kann – und das ruft dann geradezu danach, dass jemand diese Allokationsleistung erbringt.

Ein Multi-Asset-Produkt zu managen, erfordert eine besondere Erfahrung. Wir haben ein Team, dass ohnehin schon globale Multi-Asset-Strategien managt, und sich jetzt in einer Strategie auch auf die Emerging Markets fokussiert. Die Mitglieder des Teams haben also schon einen globalen Blick und auf diesem Wege haben wir jetzt diese vielfältige Expertise zusammengeführt.

Stichwort „jetzt“. Warum sollten Anleger gerade jetzt in den Schwellenländern dabei sein?

Liebe: Die Schwellenländer erscheinen im Vergleich zu den entwickelten Märkten noch relativ günstig bewertet. Hinzu kommt, dass die Märkte sich immer weiter ausdifferenzieren. Früher hat man die Emerging Markets einfach über einen Kamm geschoren. Wackelte es hier irgendwo, wurde alles verkauft, was mit Emerging Markets zu tun hatte. Heute indes unterscheiden die Anleger ganz genau, ob es der malaysischen Volkswirtschaft besser geht als dem brasilianischen Markt. Diese stärkere Differenzierung sorgt für Anlagechancen, stellt aber auch komplexere Anforderungen an das Fondsmanagement.

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