Pictet | Frankfurt, 04.12.2020.
Bidens mutiger Umweltplan gibt dem weltweiten Kampf gegen den Klimawandel neue Impulse und schaltet die Industrie für saubere Energie in den Turbo.
Stephen Freedman, Senior Product Specialist im Thematic Equities Team bei Pictet Asset Management, untersucht, welche Auswirkungen die Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten für das internationale Engagement zur Eindämmung der globalen Erwärmung hat.
Die Umweltagenda der Demokraten ist schon sehr mutig. Die Zusage, binnen 24 Stunden nach Amtsantritt wieder dem Pariser Klimaabkommen beizutreten, und das Versprechen, 2 Bio. US-Dollar in „grüne“ Infrastruktur zu investieren, sind die Säulen einer breiten Gesamtstrategie, die die USA bis 2050 CO2-neutral machen soll.
Dieser Kurswechsel kommt genau zur rechten Zeit, denn gerade wird globale Klimadiplomatie gross geschrieben.
In den letzten paar Monaten haben China, Japan und Korea ihre neuen ehrgeizigen Ziele für Netto-Null-Emissionen bekanntgegeben, und die EU sieht 7 Bio. Euro für die Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft vor.
Diese Entwicklungen zeugen in vielerlei Hinsicht vom Erfolg des Pariser Abkommens. Ein wesentliches Merkmal dieses Abkommens ist, dass es die Unterzeichner dazu verpflichtet, ihr Engagement stetig zu erhöhen.
Dass die grösste Volkswirtschaft der Welt ebenfalls diesem Club angehört, erschwert jedoch erheblich den Kampf gegen die globale Erwärmung. Das gilt vor allem für die Industrie für saubere Energie.
Dank des Know-hows und der finanziellen Unterstützung durch die USA scheint der Sektor bestens gerüstet zu sein für einen Eintritt in eine dynamische neue Ära. Es ist mit privaten und öffentlichen Investitionen in einer Grössenordnung von mehreren Milliarden US-Dollar zu rechnen, die in „grüne“ Infrastruktur und Umwelttechnologie fliessen werden. Mit anderen Worten: Saubere Energie könnte zur zentralen Säule der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts werden.
Vier sauberere Jahre?
Bidens Umweltansatz und die Politik der derzeitigen US-Regierung könnten nicht gegensätzlicher sein.
Unter Präsident Donald Trump hat die Regierung fast 100 Umweltgesetze – unter anderem in Bereichen wie saubere Luft, Wasserqualität und Landnutzung – ausser Kraft gesetzt und die Regulierung der Industrie für fossile Energieträger gelockert. Zudem wurden Mittel für die Klimaforschung gekürzt.
Mit Bidens Plänen würde die Glaubwürdigkeit der USA in Sachen Umwelt an mehreren Fronten wiederhergestellt. Biden hat sich zum Beispiel verpflichtet, die Stromerzeugung bis 2035 durch den Umstieg auf erneuerbare Energien zu dekarbonisieren.
Dazu gehört unter anderem die Verdopplung der installierten Solaranlagen auf insgesamt 500 Millionen in den kommenden fünf Jahren.
Sein Plan sieht auch Massnahmen zum Ausstieg aus kraftstoffbetriebenen Autos zugunsten von Elektrofahrzeugen (EV) vor.
Darüber hinaus möchte Biden die Umweltstandards im Bausektor erhöhen – die Internationale Energieagentur schätzt, dass auf Gebäude mehr als ein Drittel des weltweiten Endenergieverbrauchs und CO2-Ausstosses entfällt. Das Programm sieht die Modernisierung von sechs Millionen Gebäuden zur Steigerung der Energieeffizienz vor.
Mit dem Einzug Bidens ins Weisse Haus dürfte auch der Weg für fortschrittliche Staaten wie Kalifornien frei sein, ihre ambitionierte Umweltagenda umzusetzen. Damit hätten die seit vier Jahren andauernden rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den mehrheitlich demokratischen Bundesstaaten zu Fragen wie der Umweltverschmutzung durch Autos ein Ende.
Über den Klimawandel hinaus wird sich die neue Regierung auch mit anderen dringlichen Umweltthemen wie Luftverschmutzung, Wasser- und Plastikverschmutzung auseinandersetzen.
„Grüne“ Anordnung von ganz oben
Doch bei aller Begeisterung heisst es realistisch bleiben: Die Umsetzung von Bidens „grüner“ Vision wird keine leichte Aufgabe sein. Eine demokratische Regierung wird einem mächtigen Feind gegenüberstehen – dem Senat.
Doch Biden hat noch viele Asse im Ärmel – nicht zuletzt das Instrument der Präsidialerlasse.
Diese werden nach unserer Einschätzung wesentlicher Bestandteil seiner Klimaschutzagenda sein. Investoren können sich sicherlich auf eine Fülle an Präsidialerlassen in den ersten 100 Tagen der Amtszeit Bidens einstellen. Biden wird das Land sofort wieder in das Pariser Abkommen zurückführen und in dem Pandemie-Paket zur Rettung der Wirtschaft auch Gelder für Investitionen in saubere Energie vorsehen.
Es ist davon auszugehen, dass er diese Waffe auch einsetzen wird, um Präsident Trumps Lockerung der Umweltbestimmungen rückgängig zu machen und neue Gesetze zu erlassen, wonach Unternehmen klimawandelbezogene Informationen zu finanziellen Risiken und Treibhausgasemissionen offenlegen müssen.
Doch spricht einiges dafür, dass Biden noch mehr erreichen könnte.
Zum einen stehen die Amerikaner Klimaschutzmassnahmen gar nicht so ablehnend gegenüber wie manche meinen. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage gaben 85 Prozent der republikanischen Wähler im Alter von 18 bis 54 Jahren an, dass sie eher einen republikanischen Kandidaten unterstützen würden, der einen innovativen Klimaansatz verfolgt.
Dann gibt es auch noch das Job-Versprechen. Die Industrie für saubere Energie ist bereits ein wichtiger Arbeitgeber – rund 3 Millionen Amerikaner arbeiten in der Branche und nach Bidens Plänen sollen weitere 10 Millionen hinzukommen. Das ist ein mutiges Versprechen, aber auch eines, das in einer Wirtschaft nach der Pandemie den gewünschten Erfolg bringen dürfte.
Saubere Energie: Das neue Rennen um die Führerschaft
Bidens Aufstieg ins Weisse Haus wird die USA zwangsläufig auf einen ambitionierten neuen Weg bringen. Die globalen Auswirkungen seines Sieges werden ähnlich tiefgreifend sein.
Zum einen wird der gesamte Planet davon profitieren, dass sich der weltweit grösste Treibhausgasemittent zur Verringerung des Ausstosses verpflichtet.
Bidens Verpflichtung zu Netto-Null-Emissionen könnte in den nächsten 30 Jahren zu einem Rückgang der CO2-Emissionen in den USA um etwa 75 Gigatonnen führen. Das allein reicht schon aus, um laut Berechnungen des Climate Action Tracker (CAT) die weltweite Durchschnittstemperatur um 0,1 ? zu senken.
Auch die Industrie für saubere Energie wird sich mit der Unterstützung der USA völlig verändern.
Mit der Willenskraft, der technologischen Stärke und der finanziellen Unterstützung der USA wird der Sektor finanziell besser dastehen und innovativer sein denn je.
Das ist entscheidend, weil die Umkehr des Klimawandels Geld und einfallsreiche Denkansätze erfordert. Der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien zufolge müssen sich die jährlichen Investitionen in erneuerbare Energie bis 2050 auf 800 Mrd. US-Dollar verdreifachen, damit die wichtigsten Dekarbonisierungs- und Klimaziele erreicht werden.2
Die grosszügigen Geldspritzen und die Einbringung von technischem Know-how durch die USA könnten ein erbittertes Rennen um die Führerschaft auf dem Gebiet der sauberen Energie in Gang setzen, bei dem grosse Wirtschaftsmächte um die Entwicklung emissionsfreier Technologien und Standards konkurrieren.
Elektrofahrzeuge scheinen für viele Länder entscheidend für die Gestaltung einer CO2-freien Wirtschaft zu sein.
Nur einen Monat nach der Ankündigung seiner Netto-Null-Ziele stellte China eine Roadmap für den Ausstieg aus konventionellen kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen bis 2035 vor. China, bereits weltweit führend im Bereich Elektrofahrzeuge, will in den Aufbau einer eigenen Lieferkette investieren, um weniger vom Ausland abhängig zu sein.
Die USA wiederum verfolgen unter Biden das Ziel, China auf dem Elektrofahrzeugmarkt zu überholen, indem sie die inländische Beschaffung um 400 Mrd. US-Dollar für wichtige Fahrzeugkomponenten erhöhen.
Auch Europa legt nicht die Hände in den Schoss. Die Region hat China in puncto Investitionen für Elektrofahrzeuge und Batterieentwicklung soeben überholt und sich eine Rekordsumme von 60 Mrd. Euro an privaten und öffentlichen Mitteln gesichert – das ist 20 Mal so viel wie vor zwei Jahren errechnet.3
Auch Infrastruktur der nächsten Generation, die die zunehmende Übertragung und Verteilung von sauberer Energie ermöglicht, dürfte Schauplatz eines ökologischen Konkurrenzkampfes sein. China besitzt die weltweit längste und leistungsstärkste Leitung für Ultra-Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (UHGÜ), die über 3000 km – mehr als die Entfernung zwischen London und Moskau – lang ist und 50 Millionen Haushalte mit Solar- und Windenergie versorgt. Europa und die USA planen ebenfalls, ihr Netz zu modernisieren und mit UHGÜ-Leitungen aufzurüsten.er globalen Industrie für saubere Energie einen kräftigen Schub geben.
Ein Wendepunkt in Sachen Klimaschutz
Bidens Wahlsieg dürfte dem globalem Klimaschutz eine neue Dynamik geben – die Welt steht an einem Wendepunkt.
Nicht zuletzt, weil sein Sieg zu einer Zeit kommt, in der die wirtschaftlichen Kräfte, die den Übergang zu klimaneutralem Wirtschaften forcieren, an Stärke gewinnen.
Viele Technologien im Bereich erneuerbarer Energien realisieren mittlerweile Grössenvorteile, die vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wären, und können daher kostenseitig mit fossilen Brennstoffen mithalten.
Wind- oder Solarenergie sind heute die günstigsten neuen Stromquellen in Ländern, die rund 73 Prozent des weltweiten BIP erwirtschaften. 4
Gleiches gilt für den Personenverkehr. In weniger als fünf Jahren dürften die Anschaffungskosten von Elektro-Personenkraftwagen ähnlich sein wie bei vergleichbaren Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.
Die Ausrichtung der US-Klimaschutzpolitik auf diejenige anderer Volkswirtschaften wird der globalen Industrie für saubere Energie einen kräftigen Schub geben.
Sie wird private und öffentliche Investitionen in diesem Sektor in Milliardenhöhe anstossen und ein neues Rennen um die Führerschaft bei sauberer Energie in Gang setzen.
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