SJB | Korschenbroich, 04.09.2014. Menschen verlieren immer mehr die Lust am Risiko und die “German Angst” bestimmt den Verlauf der Börsenkurse. Aber mit einem antizyklischen Rebalancing-Konzept, können Anleger das Chaos an der Börse für sich nutzen, meint Thomas Wüst, Geschäftsführer von der Valorvest Vermögensverwaltung.
Nichts hassen Börsen mehr als Unsicherheit. Insbesondere deutsche Anleger sehnen sich nach stabilen Verhältnissen. Vor dem Hintergrund der jüngsten geopolitischen Verwerfungen ist diese Sehnsucht verständlich. Bereits lange vor den Eskalationen im Ukraine- und Nahost-Konflikt hat sich im englischsprachigen Raum jedoch der Begriff „German Angst“ als Bestandteil der deutschen Kultur und Inbegriff für deutsche Zögerlichkeit beziehungsweise Risikoscheu etabliert.
Die „German Angst“ wird auch durch das Anlegerverhalten in Deutschland belegt. Alarmierend ist dabei, dass immer mehr junge Menschen die Lust am Risiko verlieren. So hat sich nach einer Untersuchung des Deutschen Aktieninstituts die Zahl der Aktionäre im Alter von unter 40 Jahren von 2001 bis 2013 halbiert.
Am vergangenen Freitag war es wieder soweit: die Nachricht über den möglichen Beschuss eines russischen Militärkonvois durch die ukrainische Armee ließ den Dax in kürzester Zeit um etwa 200 Punkte abstürzen. Aus der Massenpsychologie ist bekannt, dass Menschen bei derart schlechten Nachrichten zu einem Herdenverhalten neigen. Dieser Herdentrieb ist dem Menschen angeboren und führt oft zu einem durchaus rationalen Verhalten, wie das Sprichwort „Den Letzten beißen die Hunde“ sehr bildhaft belegt.
An der Börse sorgt ein solcher Herdentrieb aber für starke Kursausschläge. In der Behavioral Finance Theorie werden diese verhaltensökonomisch geprägten Muster an den Finanzmärkten untersucht. Ein sich selbst verstärkender Prozess, der durch das gleichgerichtete Handeln von immer mehr Marktakteuren bestimmt wird, basiert dabei auf Rückkoppelungseffekten, die das System „Börse“ vorübergehend in einen chaotische Zustand versetzen können: in der Chaostheorie spricht man dann von einem deterministischen Chaos.
Dabei wird der Verlauf des Systems „Börse“ stets durch das tägliche Handeln der Marktteilnehmer determiniert, das heißt vorherbestimmt. Durch Rückkoppelungseffekte werden solche Systeme anfällig für Störfaktoren, dem sogenannten „Rauschen“. Obwohl der Verlauf der Börsenkurse durch das Handeln der Marktteilnehmer vorherbestimmt ist, ist er dadurch keinesfalls vorherbestimmbar – eine äußerst wichtige Erkenntnis aus der Chaostheorie.
So sind langfristige Prognosen in chaotischen Systemen auf Basis vergangener Entwicklungen schlichtweg unmöglich. Welcher Meteorologe käme auf die Idee, die Wetterlage vom Vorjahr als guten Indikator für die aktuelle Wettervorhersage einzusetzen? An der Börse ist die Versuchung dagegen groß, aus vergangenen Entwicklungen Rückschlüsse auf die Zukunft zu ziehen.
So tauchen nach Kurseinbrüchen verstärkt Crashpropheten auf, die einem suggerieren, dass das Schlimmste ja noch bevorstehen würde. Wohingegen in einem Aktienboom jeder plötzlich von risikolosen Anlagen am Aktienmarkt im Sinne einer „eierlegenden Wollmilchsau“ spricht. Der Versuch einer Prognose des kurzfristigen Rauschens an den Finanzmärkten ist für strategisch-orientierte Anleger deshalb ein relativ sinnloses Unterfangen.
Anlagestrategie vor Marktbewertung
Langfristig orientierte Anleger sollten sich daher weder von einer Euphorie noch von einer Panik rund um das Börsengeschehen im Tagesgeschäft anstecken lassen. Für einen strategischen Investor ist es viel wichtiger, seine persönliche Anlagestrategie möglichst optimal auf seine individuelle Lebenssituation, Risikomentalität und Risikotragfähigkeit sowie seine Anlageziele auszurichten.
Auf Ebene der Anlagestrategie werden die Weichen für den persönlichen Anlageerfolg gestellt. Dabei sollte die persönliche Anlagestrategie immer mittel- bis langfristig ausgerichtet sein und sich niemals an kurzfristigen Finanzmarktprognosen orientieren. Nur wenn es ein Anleger nachhaltig schafft, den Grundsatz „Anlagestrategie vor Marktbewertung“ zu befolgen, kann er sich von dem kurzfristigen Rauschen an den Märkten abkoppeln.
Anlagetaktik antizyklisch umsetzen
Wer nun die kurzfristigen Schwächen des Systems „Börse“ kennt und seine individuelle, mittel- bis langfristige Anlagestrategie festgelegt hat, sollte sich mit seiner Anlagetaktik stets antizyklisch verhalten. So diszipliniert ein systematisch umgesetztes Rebalancing-Konzept zu einer antizyklischen Anlagetaktik.
Dabei überprüft man in regelmäßigem Rhythmus – zum Beispiel einmal jährlich, ob sich der Aktienanteil durch das kurzfristige Rauschen an den Börse nach oben oder unten verändert hat. Ist dies der Fall, stellt man mit Hilfe eines Rebalancing-Verfahrens die ursprüngliche Gewichtung wieder her. Konkret bedeutet dies: ist die Aktienquote aufgrund eines Kursrückgangs gesunken, kauft man Aktien auf günstigerem Niveau nach. Bei einem Anstieg des persönlichen Aktienanteils über die festgelegte gelegte Zielquote verkauft man dagegen Aktien auf einem höheren Kursniveau.
So stellt man einerseits sicher, dass der Aktienanteil immer der persönlichen Anlagestrategie entspricht. Andererseits diszipliniert man sich zu einem antizyklischen Umgang mit dem Rauschen im Markt. Berechnungen belegen die Überlegenheit dieser Anlagetaktik, die langfristig zu einem systematischen Mehrertrag im Vergleich zu einer reinen „Buy- & Hold-Strategie“ von etwa 0,5 Prozent per annum führt.
Fazit
Die Lehren aus der Chaostheorie und der Behavioral Finance Theorie bieten Anlegern wichtige Anhaltspunkte, um mit dem Risiko von Finanzanlagen entspannter umzugehen. Dabei ist es natürlich wichtig, die Basisrisiken von Wertpapieranlagen sowie die Grundsätze der Risikostreuung bei der Ausarbeitung und Umsetzung der persönlichen Anlagestrategie zu beachten.
Wenn man sich jedoch auf Ebene seiner persönlichen Anlagestrategie an seinen individuellen Parametern und nicht an Finanzmarktprognosen ausrichtet, dann kann man das Rauschen im chaotischen System „Börse“ mit Hilfe eines antizyklischen Rebalancing-Konzepts systematisch zu seinem Vorteil nutzen.
Von: Thomas Wüst
Quelle: DAS INVESTMENT.