Während viele Sparer sehnsüchtig auf steigende Zinsen warten, befinden sich Aktien- und Anleiheinvestoren quasi in Dauerangst vor einer Zinswende. Hier erklärt Thomas Romig, Leiter Multi-Asset bei Assenagon, warum er sowohl die Hoffnungen für vergeblich als auch die Ängste für übertrieben hält. Unverhofft kommt oft. Das gilt auch für die Finanzmärkte, wie das aktuelle Beispiel Italien zeigt. Dort sorgte die zunächst gescheiterte Regierungsbildung und die anschließende Kontroverse um eine Absetzung des Staatspräsidenten Sergio Mattarella zu einer echten Krise. In der Folge schossen die Renditen italienischen Staatsanleihen in die Höhe, und zwar auf den höchsten Stand seit sechs Jahren. Zur Erinnerung: Damals tobte die Euro-Krise.
Diese Reaktion des Marktes zeigt ganz klar: Es gibt viele Anleger, die in den italienischen Papieren derzeit ein größeres Risiko sehen. Sie wollen dafür entsprechend einen Ausgleich in Form von höheren Zinsen haben. Zwar ist ein in der Vergangenheit angekündigtes Referendum über die Euro-Zugehörigkeit vom Tisch, aber die populistische Regierungsbildung aus Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung dürfte die Märkte weiter in Atem halten.
Gleichzeitig sind deutsche Staatsanleihen gefragt als sicherer Hafen. Das bedeutet für Investoren allerdings auch, dass deren Renditen sinken. Zwar waren die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen im Frühjahr zwischenzeitlich von 0,5 auf fast 0,8 Prozent angestiegen. Doch von der Zinswende, wie es daraufhin von verschiedenen Seiten hieß, kann aus meiner Sicht keine Rede sein, vielmehr handelte es sich nur um eine temporäre Bewegung am Anleihemarkt.
Unbegründete Zinsangst
Doch der Begriff „Zinswende“ elektrisiert. Auffallend ist die Dauerangst der deutschen Anleger vor steigenden Zinsen. Dabei sind die gar nicht schlimm oder gar gefährlich, wie der Blick über den Atlantik zeigt. Denn in den USA kletterte jüngst die Rendite für zehnjährige amerikanische Staatsanleihen kurzfristig sogar über drei Prozent, trotzdem dreht sich die Erde weiter, und auch die Aktienmärkte sind nicht eingebrochen.
Dabei befindet sich in den USA – anders als in Europa – der geldpolitische Richtungswechsel in vollem Gange. Im März hatte die US-Zentralbank Fed den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte angehoben, womit sich dieser nun in der Spanne von 1,5 bis 1,75 Prozent bewegt. Drei weitere Erhöhungen sind in diesem Jahr angekündigt. Und die Fed ist außerdem bereits dabei, ihre Bilanz abzubauen. Von all dem ist die Europäische Zentralbank weit entfernt.
Deshalb sollten europäische Investoren nicht den Fehler begehen, die Rahmenbedingungen in der Eurozone mit denen in den USA zu vergleichen. Italien hat es gezeigt, die Eurokrise ist immer noch nicht verdaut. Immer wieder flackern Befürchtungen um ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung auf. Und es gibt in der Eurozone auch mehr als zehn Jahre nach der Finanzkrise keine stabile Wirtschaftsentwicklung und erst recht keine stabilen Regierungen. Auch darauf wird die EZB Rücksicht nehmen.
Geldpolitik im Interesse verschuldeter Länder
Klar ist auch, dass viele europäische Regierungen gar kein Interesse an dauerhaft hohen Zinsen haben. Länder wie beispielsweise Italien mit einer Staatsverschuldung von rund 130 Prozent des Bruttoinlandprodukts wären mit Zinssätzen von vor zehn Jahren schon längst pleite. Stattdessen hält die EZB viele der verschuldeten Staaten mit ihrer Niedrigzinspolitik am Leben. Und das dürfte auch so bleiben. Die jüngste Zinssitzung hat gezeigt, dass die EZB das Anleihekaufprogramm maßvoll zurückfahren, an ihrer expansiven Geldpolitik aber festhalten wird.
Natürlich kommt die Notenbank nicht umhin, voraussichtlich ab dem kommenden Jahr die Zinsen leicht anzuheben. Aber das wird langsam und sehr vorsichtig passieren, um keine Unruhe an den Finanzmärkten aufkommen zu lassen. Die EZB, aber auch die Fed sind ja erst auf dem Weg zu einer Normalisierung. Von einer nicht mehr unterstützenden Geldpolitik sind sie noch weit entfernt.
Keine Zinswende in Sicht
Von einer baldigen Zinswende im Euroraum kann somit in diesem Szenario ausdrücklich keine Rede sein. Davon würde ich sprechen, wenn die Renditen von deutschen Staatsanleihen kurzfristig auf knapp unter drei Prozent klettern würden. Aber das kommt auch auf das Tempo und die Rahmenbedingungen an.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Konjunktur langsam am Ende des Zyklus angelangt ist. Wir glauben, dass danach eine längere Periode niedrigen Wirtschaftswachstums folgen wird. Es gibt somit keinen unmittelbaren Druck auf die Notenbanker, die Zinsen drastisch anzuheben. Im Gegenteil: Es kann sogar ausdrücklich schädlich sein, zinspolitisch einzugreifen. Denn die EZB sieht ihr Mandat vor allem darin, die Konjunktur in Europa zu unterstützen und eine Teuerungsrate von zwei Prozent zu erreichen. Und zu den mittlerweile üblichen Instrumenten gehören Notenbankzinsen nahe der Nulllinie.
Auch die jüngsten Inflationsdaten sprechen gegen ein baldiges Anheben der Zinsen im Euroraum. Wahrscheinlich wird sich die EZB bald vom negativen Einlagenzins verabschieden und einige kleine Zinsschritte absolvieren. Mehr aber auch nicht, um verschuldete Länder wie Italien oder auch Portugal nicht zu überfordern. Eine deutliche Zinserhöhung an den Kapitalmärkten in Deutschland und im Euro-Raum ist auch deshalb nach heutiger Einschätzung wenig wahrscheinlich.
Was empfehlenswert ist
Was das für den globalen Anleger bedeutet? Klar ist: Zinsen von fünf Prozent und mehr wird es auf absehbarer Zeit in Europa, aber auch in den USA nicht mehr geben. Wir werden uns stattdessen auf lange Sicht mit niedrigen Zinsen abfinden müssen. In diesem Umfeld ist Diversifikation sowie flexibles und vor allem aktives Management das A&O.
Im Anleihebereich ist vor allem eine kurze Duration empfehlenswert. Einen Blick wert sind auch Schwellenländeranleihen in Hartwährung. Hier kann es sich lohnen, US-Dollar-Renditen in Höhe von 4 bis 5 Prozent mitzunehmen. Aber auch Aktien bleiben attraktiv, zumal die Dividendenrenditen in Europa weiterhin deutlich über den Zinsen liegen.
Generell unterstützt das Umfeld mit niedrigen Zinsen solche Risikoanlagen. So können sich Unternehmen deutlich günstiger fremdfinanzieren als es bei hohen Zinsen der Fall ist. Gleiches gilt für High Yields, auch wenn der Markt hier kurzfristig etwas heiß gelaufen ist und sorgfältig ausgewählt werden muss.
Von: Thomas Romig
Quelle: Das Investment