Funktionieren die Märkte noch? Sander Bus und Victor Verberk, Co-Heads des Credit-Teams von Robeco, warnen aktuell, dass fundamentale Risiken wie der Brexit nicht mehr eingepreist seien und das Motto herrsche: Ich kaufe, wenn Du kaufst. Ein Schuldiger: Das Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP).
Der US-Konjunkturzyklus neigt sich allmählich dem Ende entgegen. Die Wirtschaft läuft nur noch auf einem Zylinder: dem Konsum. Und auch dieser fängt an zu stottern. Sieben Jahre nach Beginn der wirtschaftlichen Expansion steigt die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession im Jahr 2017. Die sehr zögerliche Haltung der US-Notenbank Fed in Bezug auf Zinserhöhungen überrascht deshalb nicht.
Unterdessen verursachen die niedrigen Zinssätze Kollateralschäden in Form massiver Verzerrungen an den Finanzmärkten. Deshalb hat die Fed kaum eine andere Wahl, als die Zinssätze unverändert zu lassen – mit einer Neigung zu Zinserhöhungen. Zwar verliert auch in Europa das Wirtschaftswachstum an Schwung, eine Rezession ist hier aber weit weniger wahrscheinlich als in den USA. Denn dort sehen wir für die späte Zyklusphase typische Signale, die wir in Europa bislang nicht erkennen können. Die Bilanzen von US-Unternehmen haben sich verschlechtert, da diese eigene Aktien zurückkaufen, um ihren Gewinn je Aktie zu steigern und so schwindende Erträge zu kompensieren. Die Unternehmen geben zurzeit mehr aus, als sie an Cashflow einnehmen, was höhere Schulden zur Folge hat. Die hohe Verschuldung macht die Unternehmensanleihemärkte anfälliger, wenn die Wirtschaft in eine Rezession gerät.
An Chinas Entwicklung hängt das Schicksal der Schwellen- und Industrieländer
In den Schwellenländern geht das Wirtschaftswachstum nach Jahren mit rasantem Kreditwachstum und nach dem Ende des „Rohstoff-Superzyklus“ weiter zurück. Das Schicksal der Schwellenländer – und auch der Industrieländer – hängt sehr stark von der weiteren Entwicklung in China ab. Das Land trägt nach wie vor am meisten zum globalen BIP-Wachstum bei, und im letzten Jahr haben wir gesehen, welchen Einfluss es auf die Rohstoffmärkte hat.
Chinas Wachstum ist in den vergangenen Jahren durch rasches Kreditwachstum befeuert worden. Eine Verlangsamung des Kreditwachstums, es muss gar nicht negativ werden, dürfte ausreichen, um das Wirtschaftswachstum in Mitleidenschaft zu ziehen. Für noch bedenklicher halten wir, dass die Kreditvergabe in den am wenigsten produktiven Bereichen der Wirtschaft, den staatseigenen Unternehmen, ausgeweitet worden ist. Die Banken wurden und werden hierzu „angehalten“. Notleidende Kredite könnten zu einem ernsthaften Problem werden.
Da in den Industrie- und auch in den Schwellenländern das Bevölkerungswachstum und die Produktivität zurückgehen, ist es eigentlich keine Überraschung, dass das trendmäßige Wachstum mittlerweile auf ein strukturell niedrigeres Niveau gesunken ist. Dies wurde lange Zeit durch das Kreditwachstum ausgeglichen, was aber auf Dauer nicht beibehalten werden kann. Die Notenbanken versuchen, die Kreditblase wieder aufzupumpen. Das ist eine riskante Strategie, die nicht nur zu einer Destabilisierung der Märkte führen kann, sondern auch Druck von der Politik nimmt, dringend erforderliche Strukturreformen anzugehen.
Die Bewertungen liegen knapp unter dem Durchschnitt
Die Spreads für die meisten Anleihekategorien liegen geringfügig unter den Durchschnittswerten, sodass man den Markt nicht als extrem teuer bezeichnen kann. Man kann jedoch zu recht sagen, dass die Spreads für die jetzige Zyklusphase mit zunehmenden Adressausfällen, Spitzenwerten bei der Verschuldung und einer sich verlangsamenden US-Konjunktur niedrig sind.
Ein Vergleich der Spreads in den Schwellenländern mit denen in den Industrieländern zeigt, dass das Verhältnis unter das Durchschnittsniveau in der Vergangenheit gefallen ist. Es gibt kaum eine Prämie als Anreiz dafür, statt Unternehmensanleihen aus Industrieländern solche aus Schwellenländern zu halten. Bestimmte Märkte sind ausgesprochen teuer geworden. Brasilianische Anleihen sind beispielsweise weitgehend zu den vor Januar verzeichneten Mittelwerten zurückgekehrt, obwohl der Reformpfad nach wie vor voller Risiken steckt.
Die EZB sorgt für sehr starke technische Unterstützung
Das Programm der EZB zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) bietet eine sehr starke technische Unterstützung für europäische Investment-Grade-Unternehmensanleihen, die auch auf High-Yield-Anleihen übergreift. CSPP stellt mit seinem Umfang alle anderen Faktoren in den Schatten, die die Märkte beeinflussen könnten – selbst so negative Ereignisse wie den Brexit. Die entscheidende Frage lautet: Wird der Markt weiter auf eine Fortsetzung der unterstützenden Geldpolitik durch die Notenbanken vertrauen?
Wir halten die Wahrscheinlichkeit, dass risikobehaftete Finanzaktiva negativ auf eine Verschärfung der Geldpolitik reagieren werden, für sehr groß. Ein Fehler in der Kommunikation stellt dabei vermutlich das größte Risiko dar. Wir beobachten, dass die Glaubwürdigkeit der Notenbanken von Anlegern und Ökonomen zunehmend in Frage gestellt wird.
Ein Vertrauensverlust auf breiter Front könnte die Finanzmärkte ernsthaft aus dem Gleichgewicht bringen. Die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte ist stark beeinträchtigt. Anscheinend preisen sie fundamentale Risiken wie den Brexit nicht mehr ein. Mittlerweile gilt an den Märkten das Motto „Ich kaufe, wenn du kaufst!” Anleger kaufen Aktien, weil Unternehmen eigene Aktien zurückkaufen. Unternehmen kaufen eigene Aktien zurück, weil sie sich an den Fremdkapitalmärkten günstig finanzieren können. Anleger kaufen Unternehmensanleihen, weil die Notenbanken die Märkte mit Liquidität überschwemmen.
Letztendlich läuft alles darauf hinaus, ob die Anleger glauben, dass andere Anleger auf eine Fortsetzung der Politik des billigen Geldes vertrauen.
Da die Politik der Notenbanken zu einem so dominierenden Faktor geworden ist, hat auch die Korrelation zwischen verschiedenen Anlageklassen zugenommen. Wenn sich die Märkte drehen, wird es keinen Zufluchtsort geben. Selbst die in der Vergangenheit stets negative Korrelation zwischen Spreads und Zinssätzen ist inzwischen positiv geworden. Die Anleger setzen mit ihren Wertpapiergeschäften allesamt auf das Vorgehen der Notenbanken, weil es wegen negativer Guthabenzinsen teuer werden kann, außen vor zu bleiben.
In Unternehmensanleihe-Portfolios aktuell neutral aufgestellt
Von einem fundamentalen Standpunkt aus würden wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Untergewichtung von Risiken vorziehen. Wir sind uns aber bewusst, dass die derzeitige Notenbankpolitik noch einige Zeit beibehalten werden könnte. Deshalb bleiben wir bei den meisten Unternehmensanleihe-Portfolios bei einer neutralen Position in Bezug auf Beta und beobachten, inwieweit einzelne Unternehmensanleihen für eine Konjunkturverlangsamung anfällig sind. Global betrachtet ziehen die Robeco-Experten auf Euro lautende Unternehmensanleihen weiterhin den auf Dollar lautenden Papieren vor und bleiben bei einer defensiven Aufstellung in Schwellenländeranleihen. Die Notenbanken sind auch in den Schwellenländern ein wichtiger Einflussfaktor.
Quelle: Das Investment