Der Debatte um zu wenig Geld im Alter kann sich derzeit kaum jemand entziehen. Wer erfolgreich gegensteuern möchte, sollte aber genau das tun, rät DER-FONDS-Chefredakteur Egon Wachtendorf – und darüber hinaus noch einige weitere Grundregeln beachten. Auch wenn es nicht unbedingt leichtfällt.
Ein Gespenst geht um in Deutschland, es hört auf den Namen Altersarmut. Sein Aussehen korrekt zu beschreiben, fällt den meisten Geisterjägern nicht schwer – wohl aber die Prognose, wem es irgendwann einmal begegnen wird. Nach einem mittlerweile relativierten Bericht des WDR könnte dieses Schicksal jeden zweiten Bundesbürger ereilen, Schätzungen des Münchner Demografie-Experten Axel Börsch-Supan zufolge immerhin jeden zwanzigsten.
Für diejenigen, denen es passiert, wird die Begegnung unangenehm, so viel steht fest. Das Gespenst der Altersarmut ist nicht klein und niedlich wie die gleichnamige Kinderbuch-Kreatur von Otfried Preußler. Ganz im Gegenteil, es hat eine ziemlich hässliche Fratze und kennt weder Mitleid noch Dankbarkeit. Sich vor ihm zu schützen ist deshalb losgelöst von allen Wahrscheinlichkeiten durchaus ratsam. Im Folgenden fünf Regeln, wie dies gelingen könnte.
Regel Nummer Eins: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wer die täglichen Schlagzeilen zum Thema und die sich mitunter diametral widersprechenden Prognosen und Ratschläge zur Richtschnur seines Handels macht, hat schon so gut wie verloren. Letztlich genügt ein bisschen gesunder Menschenverstand, um den Kern des Problems zu erfassen und anzuerkennen: In einer Welt, in der die Menschen immer älter werden und in der immer mehr Rentner immer weniger Arbeitnehmern gegenüberstehen, kann die gesetzliche Rente nicht mehr nach den gleichen Regeln funktionieren wie in den 50er oder 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Diesen nur im Rückblick goldenen Zeiten hinterher zu trauern, löst das Problem nicht, sondern verschlimmert es nur.
Welche Konsequenzen daraus für den Einzelnen entspringen, ist höchst individuell. Weil – auch das eine banale Erkenntnis – Altersvorsorge der natürliche Feind der Altersarmut ist, sollte sie nach Möglichkeit jeder betreiben. Das wird einigen leichter fallen als anderen, manchen fehlen schlicht die Mittel dazu. Letzteres zu ändern ist Aufgabe des Staates. Zu dessen Aufgaben gehört es ferner, die Balance zwischen persönlicher Lebensleistung und Höhe der gesetzlichen Rente zu wahren sowie eine Mindestversorgung für alle bereitzustellen, die die private Vorsorge aus welchen Gründen auch immer nicht aus eigener Kraft schaffen.
Regel Nummer Zwei: Dem Staat mag eine wichtige Rolle zukommen bei der Grundversorgung im Alter, aber darüber hinaus ist ihm und seinen Repräsentanten nicht zu trauen. Wer wie bei der betrieblichen Altersvorsorge rückwirkend in bestehende Verträge eingreift, Riester-Sparer im Bedarfsfall ihre eigene Grundsicherung zahlen lässt oder bei der fest zugesagten Steuerfreiheit von vor Anfang 2009 angelegtem Vorsorgekapital zur Rückwärtsrolle ansetzt, muss sich über Politikverdrossenheit nicht weiter wundern. Eine staatliche Förderung für private Vorsorgeprodukte wird so mehr und mehr zum Kontraindikator – und sollte bei der Produktauswahl auch so angesehen werden.
Regel Nummer Drei, im Nullzins-Umfeld wichtiger denn je: auf die Kosten achten. Wobei der Ehrgeiz, bei der privaten Altersvorsorge überhaupt nichts ausgeben zu wollen, ebenfalls auf einen Irrweg führen kann. Mitunter entpuppt sich nämlich eine einmalig gegen Entgelt erhaltene Beratung, die die Weichen in die richtige Richtung stellt und über versteckte Kosten bei der Geldanlage aufklärt, als hervorragende Investition. Produkte, bei denen dank Provisions-Zillmerung in den ersten Jahren nur sehr kleine Anteile der gesparten Beträge zur Anlage kommen, wirken hingegen bei einem Zinsniveau von unter einem Prozent doppelt nachteilig.
Wer sich bei der Altersvorsorge für Fonds entscheidet, sollte natürlich ebenfalls die laufenden Kosten im Auge behalten. Doch deswegen sind kostengünstige ETFs nicht automatisch erste Wahl. So müssten die von der Stiftung Warentest propagierten Pantoffel-Portfolios, die bis zu 75 Prozent aus einem Index-ETF für Euro-Staatsanleihen bestehen, eigentlich waffenscheinpflichtig sein. Dass eine Institution, die solche Empfehlungen gibt, mit umfangreichen Steuermitteln gefördert wird, unterstreicht die Bedeutung von Regel Nummer Zwei.
Regel Nummer Vier: Bis auf eine Ausnahme sollten Vorsorgesparer alle Anlageregeln in Frage stellen, die vor der Einführung von Negativzinsen Gültigkeit hatten. Dies gilt ebenso für die mit konkreten Produkten verknüpften Renditeerwartungen, die sich aus der Vergangenheit ableiten. Was bei Festgeldern oder Lebensversicherungen schnell einleuchtet, ist bei Misch- oder Rentenfonds etwas schwieriger zu durchschauen – macht dort aber in der Sache keinen wesentlichen Unterschied.
Ach ja, die Ausnahme. Die Regel, dass das Eingehen von Risiken bei der Geldanlage langfristig belohnt wird, hat nach wie vor Bestand. Oder, um es mit den Worten von Deutschlands derzeit wohl erfolgreichstem Fondsmanager Bert Flossbach auszudrücken: „Die Volatilität ist der Freund des langfristig denkenden Investors.“ Umso mehr gilt dies, wenn der Vermögensaufbau mittels fester monatlicher Raten in einen Fondssparplan erfolgt. Ein möglichst breit streuender, mehr an Unternehmenskennzahlen als an Indexzugehörigkeiten orientierter Aktienfonds ist daher fast immer eine bessere Wahl als ein Absolute-Return-Produkt, das in erster Linie kurzfristige Schwankungen zu limitieren versucht.
Regel Nummer Fünf ähnelt Nummer Eins, geht aber noch darüber hinaus. Wer auf sinnvolle Art und Weise Altersvorsorge betreibt, sollte nicht nur die zunehmend hysterischer geführte Debatte um die drohende Altersarmut ausblenden, sondern auch das tägliche Auf und Ab der Märkte und das Geschrei, das darum gemacht wird. Sell in May? Wäre in manchen Jahren sinnvoll gewesen, ist aber in der Tendenz langfristig eher kontraproduktiv.
Brexit, Immobilienblase in China, IS-Terror oder eine in der Historie beispiellose und gefährliche Geldpolitik der Notenbanken? Mit Kaufen, Halten und Nachkaufen von Qualitätsaktien ließen sich zwei Weltkriege und unzählige Wirtschaftskrisen überstehen – als Beispiele seien nur die vier Jahreszahlen 1929, 1973, 2001 und 2008 genannt. Also wird die aktuelle Generation der Vorsorgesparer auch mit den genannten Bedrohungen fertig werden.
Fünf Regeln, von denen zugegebenermaßen keine das bieten kann, worauf es den Deutschen bei der Geldanlage seit Jahrzehnten am meisten ankommt: Garantien und Steuervorteile. Sie dürften deshalb wohl ein Minderheitenprogramm bleiben. Da aber die breite Mehrheit bei der Geldanlage ohnehin selten zu den Gewinnern gehört, ist das nicht unbedingt die schlechteste Voraussetzung, um das Thema Altersarmut für sich persönlich ein für alle Mal abzuhaken.
Von: Egon Wachtendorf
Quelle: DAS INVESTMENT.