Das Investment: „Religion spielt im Umgang mit Geld eine große Rolle“

sjb_werbung_das_investment_300_200Wie gehen Anleger mit Risiko um? Wie kann ein Vermittler die Risikobereitschaft seiner Kunden messen? Was prägt unser Sparverhalten? Und gehen Extremsportler auch in Finanzdingen mehr Risiken als Otto-Normalbürger ein? Diese und andere Fragen stellte DAS INVESTMENT.com Erich Kirchler, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Wien.

DAS INVESTMENT.com: Wie hat sich das Thema Risiko in Finanzberatungs-Gesprächen in den vergangenen Jahren verändert?

Erich Kirchler: Das Risiko an sich hat sich nicht verändert – wir sind nur nach der Finanzkrise – zumindest für einige Zeit – wachsamer geworden. Mittlerweile sind die Menschen aber wieder bereit, Risiken in ihren Finanzangelegenheiten einzugehen. Was das wahrgenommene Risiko für den Anleger reduziert wäre unter anderem das Wissen, wie ein Finanzprodukt funktioniert und in welchen Szenarien er Geld gewinnen oder verlieren würde. Allerdings sind viele Finanzprodukte so komplex, dass selbst die Verkäufer sie nicht so ganz verstehen.

Da das Risikobewusstsein der Anleger nach der Finanzkrise gestiegen ist, wäre es logisch, wenn die Produkte einfacher und das Wissen der Privatkunden größer werden würden. Ist das nun der Fall?

Kirchler: Nein, die Finanzprodukte sind nach wie vor komplex und das Finanzwissen der Bevölkerung ist nach wie vor sehr begrenzt. Die Menschen scheinen aus der Krise wenig nachhaltig gelernt zu haben: Hoffnung, Gier und Angst sind immer noch die größten Emotionen an den Finanzmärkten.

Hat die allgemeine Risikobereitschaft eines Menschen etwas mit seiner Risikobereitschaft in Finanzfragen zu tun?

Kirchler: Nein. Wenn man die finanzielle Risikobereitschaft eines Menschen ermitteln will, muss man sie konkret messen. Denn sie hat wenig mit der allgemeinen Risikobereitschaft zu tun. Man kann also nicht sagen, dass zum Beispiel Extrembergsteiger in Finanzangelegenheiten mehr Risiken als der Durchschnitt der Bevölkerung eingehen würden.

Wie ermittelt der Finanzberater die Risikobereitschaft seiner Kunden am besten?

Kirchler: Zum Beispiel mit Hilfe von Risc-FM. Das ist ein Fragebogen, der auf den Erkenntnissen einer Vielzahl von Risikomessungsverfahren basiert und ganz spezielle Fragen beinhaltet, die sich auf vier Dimensionen der Risikobereitschaft beziehen: Verhalten, Einstellung, Belastbarkeit und Wissen. Diese Dimensionen ergeben mit unterschiedlicher Gewichtung einen Gesamtindex finanzieller Risikobereitschaft. Manchmal genügt es auch zu wissen, wie die Herkunftsfamilie eines Kunden mit Geld umging. In der Familie lernen wir modellhaft den Umgang mit Geld auch für das spätere Leben.

Wie viele Risikokategorien sind sinnvoll, um einerseits die unterschiedliche Risikobereitschaft der Kunden abbilden zu können und andererseits aber nicht zu kleinteilig zu werden?

Kirchler: Ich halte wenig von Risikokategorien. Besser ist eine Skala, die wie eine Art Fieberthermometer mit fließenden Übergangen gestaltet ist.

Das macht die Messungen natürlich viel genauer. Trotzdem muss der Finanzberater oft einordnen können, welche Produkte sich für einen Kunden eignen und braucht dafür feste Richtgrößen.

Kirchler: In der Psychologie wird empfohlen, sieben (+/- zwei) Risikokategorien zu nutzen. In der Finanzberatung würde ich für fünf Risikokategorien plädieren. Denn bei mehr Kategorien wird die Abgrenzung schwieriger; weniger Kategorien hingegen machen die Messung ungenauer. Allerdings ist zu überlegen, wie breit die Kategorien sein sollen: Es empfiehlt sich, den mittleren Bereich etwas breiter zu gestalten als Extrembereiche.

“German Angst” ist im Ausland ein Begriff? Sind die Menschen aus dem deutschen Sprachraum tatsächlich weniger risikobereit als zum Beispiel aus dem angelsächsischen? Oder wie könnte man es sonst erklären, dass in Großbritannien und den USA eine ganz andere Aktienkultur herrscht als in Deutschland und Österreich?

Kirchler: Nicht unbedingt. In Deutschland und Österreich sind es die Menschen allerdings gewohnt, dass der Staat viel Vorsorge für sie trifft. Daher ist hierzulande die Aktienkultur weniger ausgeprägt als in Großbritannien oder den USA. Auch die Religion spielt im Umgang mit Geld und bei der finanziellen Risikobereitschaft eine große Rolle.

Inwiefern?

Kirchler: Ob jemand in einem kalvinistischen oder in einem katholischen Umfeld aufgewachsen ist, hat einen Einfluss auf dessen Sparneigung. Denn im Kalvinismus wird Sparsamkeit als eine große Tugend betrachtet und hohe Sparneigung führt eher zu Reichtum als geringe.

Und was ist mit Atheisten?

Kirchler: Ausschlaggebend für den Umgang mit Geld ist nicht das Bekenntnis, sondern die Werte, die durch die Religion in einer Region vermittelt werden. Soziologische Untersuchungen beispielsweise von Max Weber belegen das.

Von: Svetlana Kerschner

Quelle: DAS INVESTMENT.

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