Im Januar trat die Richtlinie Solvency II in Kraft. Was sich damit für institutionelle Investoren geändert hat, was Produktanbieter ihren Kunden in Sachen Datenqualität künftig bieten müssen und wo die deutsche Versicherungsbranche in Sachen Digitalisierung wohl in 10 Jahren stehen wird, erklärt James Lowry, IT-Experte und EMEA-Chef bei State Street Global Exchange, im Gespräch mit DAS INVESTMENT.com.
DAS INVESTMENT.com: Was ändert sich für institutionelle Investoren mit der Richtlinie Solvency II?
James Lowry: Wir erwarten, dass Versicherungsgesellschaften in kapitaleffizientere Strategien und Fonds investieren, die es ihnen erlauben, dieselben oder ähnliche Risiko-Ertrags-Profile zu erlangen, ohne strengere Kapitalauflagen erfüllen zu müssen. Die Versicherungsgesellschaften erhalten auch weitere Anreize, unterschiedliche Kennzahlen einschließlich der Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement, SCR) eigenständig zu berechnen, anstatt sich bei der Lieferung dieser Zahlen nur auf ihre Vermögensverwalter zu verlassen.
Außerdem werden die Versicherer die Qualität ihrer Berichterstattung verbessern müssen, um die Berichtspflichten zu erfüllen. Sehr viele Versicherer üben beträchtlichen Druck auf ihre Vermögensverwalter aus, gemäß den neuen Berichtspflichten mehr Transparenz zu bieten. Einige werden sicherlich ihre Allokationsentscheidungen und die Auswahl ihrer Vermögensverwalter überdenken, wenn diese Pflichten nicht erfüllt werden.
Sie kritisieren die schlechte Datenqualität bei Private Equity-Produkten und anderen alternativen Investments. Woran äußert sich das?
Lowry: Im Allgemeinen sind Investments in alternative Anlagen weniger transparent als Investments in andere Anlageklassen. Dadurch, dass Investoren und Aufsichtsbehörden bei diesen Anlageklassen mehr Transparenz fordern, zwingen sie alternative Vermögensverwalter zu mehr Detailgenauigkeit in ihren Portfolios. Das betriffft beispielsweise Einzelpositionen in einem Hedgefonds oder Einflussfaktoren für den Cash Flow in einem Private-Equity-Investment. Auch bei der Schnelligkeit besteht Nachholbesdarf, da einige Investoren schneller aufschlussreiche Daten zur Wertentwicklung und zu den Risiken von Fonds verlangen. Eine weitere Herausforderung ist die Beurteilung der Wertentwicklung alternativer Anlagen. Das liegt daran, dass fast alle alternativen Benchmarks auf selbst gemeldeten Daten basieren.
Dann kann man die Produkte wohl kaum miteinander vergleichen.
Lowry: State Street hat einen Private Equity Performance Index und eine dazugehörige Analytik entwickelt. Unser Index basiert auf den Private-Equity-Fonds, für die State Street Dokumentationsdienste erbringt, das sind rund 60 Prozent der Private-Equity-Anlagen der Welt.
Wie können Digitaliserung und Big Data zur Verbesserung der Datenqualität bei alternativen Anlagen beitragen?
Lowry: Die Digitalisierung von Investmentgeschäft wird alternative Vermögensverwalter in die Lage versetzen, ihren Kunden neuere und genauere Daten zu liefern. Was Big Data anbelangt, so werden zunehmend umfangreiche neue Datenbanken angelegt, um detaillierte Informationen über alternative Investments zu sammeln. Besonders oft ist das bei Immobilien, Infrastruktur und Bankkrediten der Fall. Mit diesen Daten können alternative Vermögensverwalter die von ihnen vorgenommenen Anlagen besser einschätzen. Und für ihre Kunden wird es einfacher das relative Risiko und die relative Wertentwicklung dieser Anlagen besser zu beurteilen.
Welche konkreten Tools zur Steigerung der Datenqualität können Sie empfehlen? Wie funktionieren die?
Lowry: Zur Verbesserung der Datenqualität ist mehr erforderlich als nur Tools. Die Führungsebene des Unternehmens muss der Verbesserung der Datenqualität verpflichtet sein. Das kann nicht nur die Aufgabe des IT-Personals sein. Data-Governance-Prozesse sind ebenfalls wichtig. Viele Firmen ernennen „Daten-Stewards“, um sicherzustellen, dass die Qualität verschiedener Arten von Daten aktiv gesteuert und verbessert wird. Natürlich kommt es auch auf Tools an, insbesondere auf solche, die ein gutes Metadaten-Management bieten. Diese Tools erlauben eine detaillierte Verfolgung der Natur der Daten sowie ihrer Herkunft, Bereinigung, Normalisierung, Anreicherung und Modifizierung. Tools zur Handhabung des Vertriebs, des Zugangs und der Sicherheit von Daten sind ebenfalls wichtig.
Lassen Sie uns in die Kristallkugel schauen: Wo sehen Sie die deutsche Versicherungsbranche in Sachen Digitalisierung in 10 Jahren?
In zehn Jahren dürfte die deutsche Versicherungsbranche einen bedeutenden Konsolidierungsprozess hinter sich haben und deshalb sehr viel schlanker und stärker sein. Die Digitalisierung wird diesen Wandel zweifellos beschleunigen. In vielen Fällen werden mittlere und kleine Firmen zu Teilen größerer deutscher Versicherer werden, oder sie werden sogar an ausländische Versicherungsgesellschaften verkauft. Ein Beispiel ist das Interesse, das von chinesischen Firmen kürzlich für mögliche Akquisitionen europäischer Versicherer im Allgemeinen und für deutsche Versicherer im Besonderen bekundet haben. Hierdurch erhöht sich der Druck auf die Versicherer, den Wandel in all ihren Unternehmen und Geschäftsbereichen aktiv voranzutreiben.
Die finanziell starken Unternehmen haben schon beträchtliche Haushaltsmittel bereit- und Projektteams aufgestellt, um ihre Organisationen zu stärker digitalisierten Unternehmen zu machen. Wir stellen schon Änderungen in der Art und Weise fest, wie Versicherungspolicen verkauft werden – online im Internet anstatt persönlich durch einen Vertreter – und mit umfangreicher Datengewinnung zwecks Unterstützung einer stärker individualisierten Risikoausstattung und Preisgestaltung bei den Policen.
Neue Technologien in Autos – auch vor der fahrerlosen Zeit – und in Gebäuden werden weiterhin die Risiken der Versicherer verringern, während es andererseits die lebensverlängernden Fortschritte der Medizin wichtiger denn je machen, Lebensversicherungspolicen und Pensionsprodukte richtig zu strukturieren und zu bepreisen.
Was für die Kunden auch wichtig ist, ist die Behandlung von Versicherungsansprüchen. Das Management von Versicherungsansprüchen ist neben dem Preis wahrscheinlich das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Anbieter – und meistens der teuerste Teil einer Beziehung zwischen dem Versicherer und dem Kunden. Folglich liegt der Schlüssel in einem nahtlosen Front-to-Back-Prozess und einer Multikanalstrategie (Internet, Mobil usw.) für diesen entscheidenden Teil der Kundenzufriedenheit.
Natürlich dürfte auch Big Data die Anlagepraxis der Versicherer antreiben. Das sind nur wenige Beispiele, aber die Versicherer sind in der Lage, mit diesen Herausforderungen fertig zu werden – sowohl intellektuell als auch finanziell –, und diejenigen, die innovativ bleiben und sich mit neuen Technologien befassen, haben größere Chancen, in der Versicherungsbranche der Zukunft erfolgreich zu sein.
Von: Svetlana Kerschner
Quelle: DAS INVESTMENT.