Das Investment: „Stabilisiert sich der Ölpreis, steigt die Inflationsrate in der Eurozone im Dezember auf bis zu 1,5 Prozent“

sjb_werbung_das_investment_300_200SJB | Korschenbroich, 03.11.2015. Warum Edgar Walk, Chefvolkswirt von Metzler Asset Management, nicht von einem Versagen der EZB-Geldpolitik ausgeht, wann er mit einer Inflationsrate von mindestens 2 Prozent in der Eurozone rechnet – und warum er die Aussage „Dividenden sind der neue Zins“ für sehr riskant hält.

DAS INVESTMENT.com: Die jährliche Inflationsrate in den 19 Euro-Ländern liegt wieder im Minusbereich – das Preisniveau ist im September um 0,1 Prozent gesunken. Hat die EZB versagt – trotz ihrer expansiven Geldpolitik?

Edgar Walk: Da die EZB keinen Einfluss auf den Ölpreis hat, kann man ihr in diesem Zusammenhang kein Versagen vorwerfen. Die Kerninflation (Preissteigerungsrate ohne Energie- und Lebensmittelpreise) ist sogar von 0,6 Prozent im April 2015 auf 0,9 Prozent im September gestiegen. Die Kerninflation spiegelt die binnenwirtschaftliche Inflationsentwicklung wider. Der Anstieg der Kerninflation zeigt also, dass die EZB durch ihre lockere Geldpolitik eine Trendwende der Inflation bewerkstelligen konnte.

Schlittert Europa gerade in eine Deflationsspirale?

Walk: Es sind derzeit keine Anzeichen einer Deflationsspirale erkennbar – nur eine Rezession oder eine sinkende Kreditvergabe der Banken könnten eine Deflation verursachen. In der Eurozone ist dagegen sogar eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und der Wachstumsrate der Kreditvergabe zu beobachten – eher ein Zeichen für zukünftig steigende Inflationsraten.

Die großen Zentralbanken haben in den vergangenen Jahren allerdings an Glaubwürdigkeit verloren, wie die gestiegene Volatilität der langfristigen Inflationserwartungen zeigt. In der Vergangenheit waren die langfristigen Inflationserwartungen kaum volatil, sondern in der Regel fest verankert und im Einklang mit dem Inflationsziel der Zentralbanken. Die hohe Unsicherheit über die mittelfristigen Inflationsperspektiven könnte bei einer Inflationsüberraschung trendverstärkend wirken, also tatsächlich im Falle einer signifikanten negativen Inflationsüberraschung eine Deflationsspirale in Gang setzen. Die langfristigen Inflationserwartungen wirken dabei im Sinne einer sich selbst erfüllenden Erwartung auf die Inflationsentwicklung. Derzeit sehen wir jedoch so gut wie keine Risiken für negative Inflationsüberraschungen.

Sollte die EZB ihr QE-Programm ausweiten?

Walk: Es besteht keine Notwendigkeit, das Programm auszuweiten, da sich die Kerninflation in einem Aufwärtstrend befindet und die europäische Wirtschaft in einem Aufschwung. Die EZB kann also abwarten. Erst signifikante Wachstumsenttäuschungen oder fallende Kerninflationsraten sollten die EZB zu einer Ausweiterung des QE-Programms bewegen.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann weist darauf hin, dass Verbraucher und Unternehmen durch den gesunkenen Ölpreis fast 25 Milliarden Euro mehr in der Tasche hätten. Das würde die Wirtschaft ankurbeln, ist Weidmann überzeugt. Daher ist für ihn eine Deflationsspirale vom Tisch. Stimmen Sie ihm zu?

Walk: Ja, der Aufschwung in der Eurozone wird vom Konsum getragen. Die Konsumausgaben und die Automobilumsätze steigen kräftig – zuletzt auch, weil die Konsumenten aufgrund der gesunkenen Rohstoffpreise mehr Geld in der Tasche haben. Eine Deflationsspirale wäre nur dann ein Risiko, wenn sich die Konsumenten trotz der gestiegenen Realeinkommen beim Geldausgeben zurückhalten würden, weil sie auf niedrigere Preise in der Zukunft warten. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Ölpreis ist für viele Experten die Lösung: Ziehen die Preise für Rohstoffe an, steigt auch die Inflation. Die Frage ist nur, wann der Ölpreis steigen wird. Was schätzen Sie?

Walk: Schon eine Stabilisierung des Ölpreises auf aktuellen Niveaus reicht aus, dass die Inflationsrate in der Eurozone im Dezember auf einen Wert zwischen 1,0 und 1,5 Prozent steigen wird, da der disinflationäre Effekt des gefallenen Ölpreises ausläuft. Dieser Basiseffekt darf keinesfalls unterschätzt werden.

Wie würde sich eine nachhaltige und signifikante Deflation auf die Anlageklassen Aktien, Anleihen, Immobilien, Gold und Cash auswirken und wie sollten Investoren, die von einem solchen Szenario ausgehen, ihre Asset Allocation gestalten?

Walk: Hier kann Japan als „Blaupause“ dienen: Sachwerte wie Aktien, Gold und Immobilien verlieren tendenziell an Wert, während Nominalwerte wie Staatsanleihen mit guter Bonität und Cash zu den Gewinnern gehören.

Wann rechnen Sie damit, dass die Inflation in Europa wieder zumindest in die Nähe der EZB-Zielmarke von 2 Prozent herankommen wird?

Walk: Ich denke, dass schon Mitte 2017 wieder Inflationsraten von 2,0 Prozent in der Eurozone möglich sein werden.

„Dividenden sind der neue Zins“ – stimmen Sie dieser Aussage zu?

Walk: Diese Aussage wird immer riskanter, da die Zinsen früher steigen könnten als allgemein erwartet. Darüber hinaus gibt es zyklische Segmente am Aktienmarkt, die von den Anlegern vernachlässigt wurden und daher niedrig bewertet sind.

Im September hat sich die Fed gegen eine Anhebung der Zinsen entschieden. Was meinen Sie, wird es noch was mit der Zinswende in den USA in diesem Jahr? Wenn nicht: Wann erwarten Sie eine Leitzinserhöhung durch die US-Notenbank?

Walk: Die Fed dürfte im Dezember den Leitzins anheben und eine Normalisierung der Geldpolitik einleiten. Der Aufschwung der US-Wirtschaft basiert hauptsächlich auf dem Dienstleistungssektor, der weniger abhängig ist von internationalen Entwicklungen.

Inflationsgeschützte Rentenfonds im derzeitigen deflationären Umfeld: Produkte, die die Welt nicht braucht oder haben sie doch einen Sinn?

Walk: Die in den inflationsgeschützten Anleihen eingepreisten Inflationserwartungen sind eher auf einem niedrigen Niveau. Nur geringe positive Inflationsüberraschungen bedeuten, dass sie sich besser entwickeln können als ungeschützte Anleihen.

Von: Svetlana Kerschner

Quelle: DAS INVESTMENT.

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