Das Investment: Schuldendeflation birgt große Gefahren

sjb_werbung_das_investment_300_200Dieter Hein, Rentenfondsmanager bei der Banque de Luxembourg, erklärt zum einen die Ursachen der Großen Depression und gibt zum anderen Handlungsanweisungen, wie eine weitere Depression künftig verhindert werden kann.

Die beiden Theorien können jedoch nicht erklären, warum die Deflation der 1930er Jahre – anders als die Deflationsphasen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – so dramatische sozio-ökonomische Folgen hatte. Eine Erklärung liefert indes die von Irving Fisher veröffentlichte Theorie der „Schuldendeflation“ aus dem Jahre 1933.(1)

Basis dieser Theorie ist, dass bei einer Deflation und einem Rückgang der Realeinkommen die Schuldner die großen Verlierer sind: Da bei einer Deflation die Schuldenhöhe und die zu zahlenden Zinsen nominal immer gleich bleiben, das Einkommen aber fällt, steigt die reale Schuldenlast. Ist man bereits vor der Deflation hoch verschuldet („Anfangsverschuldung“), so kann dies zu einer Überschuldung führen. In einer solchen Situation wird nun jeder versuchen, seine Schulden zurückzuzahlen. Das geht aber nur durch Reduzierung der Ausgaben; dies wiederum führt zu einer sinkenden Nachfrage und weiteren Preisrückgängen.

Ausgehend von dieser Grundidee hat Irving Fisher folgendeVerkettung von miteinander wechselwirkenden Umständen aufgelistet, die zu einer Schuldendeflation und zu einer Rezession führen können:

So entsteht Deflation

1. Schulden werden durch Notverkäufe getilgt.
2. Durch die Rückzahlung der Schulden schrumpft die Geldmenge, und der Geldumlauf verlangsamt sich.(2)
3. Dadurch steigt der Wert des Geldes, d.h. die Preise für Waren und Dienstleistungen fallen weiter.
4. Die Nachfrage sinkt, dadurch fällt auch das Reinvermögen der Unternehmen.
5. Unternehmensgewinne fallen, die Verlustangst steigt.
6. Hieraus folgt ein Rückgang der Produktion, des Handels und der Beschäftigung.
7. Eine zunehmende Zahl an Konkursen und steigende Arbeitslosigkeit bewirken einen weiteren Vertrauensverlust.
8. Geld und Güter werden gehortet; Zurückhaltung bei wirtschaftlichen Transaktionen aller Art führt zu einer Verlangsamung des Güterumschlages, was wiederum eine Verlangsamung des Geldumlaufs bewirkt.
9. Alles Bisherige hat Auswirkungen auf den Kapitalmarkt, vor allem auf das Zinsniveau: Nominal gesehen fallen die Zinsen zwar, real jedoch steigen sie, da die Inflation negativ wird. Die reale Schuldenlast steigt also weiter.(3)

Ist die Ausgangsverschuldung also hoch genug, kann der Schuldenabbau nicht mit dem beschriebenen Preisverfall Schritt halten. Die Folge: Es setzt eine Abwärtsspirale ein. Die Kombinatin aus Deflation und Überschuldung führt so zu einer ökonomischen Katastrophe.(4)

Hier stellt sich die Frage, wie hoch die Anfangsverschuldung sein muss, damit dieser Prozess zu einer Abwärtsspirale führt.

Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Gesamtverschuldung der USA (private und staatliche Schulden) im Verhältnis zur Wirtschaftskraft seit 1870. Ende des 19. Jahrhunderts war das Verschuldungsniveau offenbar niedrig genug, um den Prozess einer Schuldendeflation zu vermeiden. Bis Anfang der 1930er Jahre hatte sich das Schuldenniveau allerdings im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung verdoppelt, und die Anfangsverschuldung war dann offensichtlich so hoch, dass es zur Großen Depression kommen konnte.

Seitdem hat sich vieles verändert: Industrieländer wie die USA haben sich zu Dienstleistungs- und Konsumgesellschaften entwickelt, das Schuldenmanagement und die Finanzprodukte sind komplexer und differenzierter, die sozialen Netze dichter geworden. Daher sind einige Ökonomen der Meinung, die heutigen Volkswirtschaften könnten eine höhere Verschuldung nicht nur verkraften, sondern sogar zwingend brauchen. Dabei bleibt trotz verschiedener Untersuchungen (5) unklar, wie hoch der Verschuldungsgrad und die Schuldenstruktur sein müssen bzw. ab wann der Schuldenstand kritisch wird.

Mir leuchten diese Überlegungen durchaus ein, allerdings erfordern sie, dass einzelne Regionen und Länder differenziert betrachtet werden müssen: Schwellenländer oder Länder mit wenig diversifizierter Volkswirtschaft können schon mit scheinbar niedrigen Schuldenständen überschuldet sein. Andererseits schienen die vergangenen Jahre zu lehren, dass in Ländern wie z.B. Japan die Schuldenstruktur so ist, dass trotz Deflation und hohem Verschuldungsgrad eine Schuldendeflationsspirale mit dramatischen sozialen Folgen ausbleiben kann.

Das Mc Kinsey Global Institute hat Anfang 2015 eine Studie veröffentlicht(6), in der die Entwicklung der Verschuldung in 47 Ländern insbesondere seit der Finanzkrise untersucht wurde. Sie zeigt, dass die Schuldenstände weltweit sehr hoch sind und trotz der schlechten Erfahrungen während der Finanzkrise sogar weiter zugenommen haben.

Für mich ist das schwache globale Wachstum der vergangenen Jahre trotz weiter steigender Schulden mindestens ein klares Indiz dafür, dass die Schuldenstände mittlerweile höher sind, als für die Volkswirtschaften notwendig bzw. gesund ist. Ich bin sogar der Meinung, dass die Schuldenstände mittlerweile so hoch sind, dass die Gefahr einer Schuldendeflation für viele Volkswirtschaften sehr real ist. Die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten deuten auch darauf hin.

Offensichtlich sind auch die Zentralbanken mehr und mehr dieser Meinung: Viele Währungshüter lockern zunehmend ihre Geldpolitik. So hat erst vor kurzem die japanische Zentralbank für bestimmte Einlagen einen negativen Zins eingeführt. Selbst die US-amerikanische Zentralbank, von der bisher eine sukzessive Erhöhung der Leitzinsen erwartet wurde, scheint darüber nachzudenken, ebenfalls wieder einen expansiven Weg einzuschlagen.

Fußnote
(1) https://fraser.stlouisfed.org/docs/meltzer/fisdeb33.pdf

(2) Durch Kreditvergabe schöpfen die Geschäftsbanken neues Geld, durch die Rückzahlung der Kredite wird also Geld wieder dem Wirtschaftskreislauf entnommen. Zur Geldschöpfung sie z.B. http://www.bankofengland.co.uk/publications/Document/quarterlybulletin/2014/qb14q1prereleasemoneycreation.pdf Zur Umlaufgeschwindigkeit von Geld siehe z.B. https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Service/Glossar/_functions/glossar.html?lv2=32056&lv3=61806

(3) Hier wird implizit vorausgesetzt, dass Zinsen nicht unter null fallen können. Wir erleben gerade, wie dies in wichtigen Teilen der Finanzwirtschaft nicht mehr der Fall ist. In der Realwirtschaft sind die Zinsen zum überwiegenden Teil nicht negativ.

(4) Bemerkenswert ist, dass es bei der Schuldendeflation nur auf die reale Schuldenlast ankommt. Es wird nicht zwischen der Art der Schulden unterschieden. Die letzte große Finanzkrise, die fast eine Schuldendeflation angestoßen hätte, ging vom US-amerikanischen Immobiliensektor aus. Das läuft der landläufigen Überzeugung „guten“ Immobilienkrediten und „schlechten“ Konsumkrediten zuwider.

(5) Z.B.: Stephen G. Cecchetti, M. S. Mohanty, and Fabrizio Zampolli, The real effects of debt, BIS working paper number 352, September 2011; Kenneth S. Rogoff, „Public debt overhangs: Advanced economy episodes since 1800“ volume 26, number 3, Journal of Economic Perspectives, Summer 2012

(6) www.mckinsey.com/insights/economic_studies/debt_and_not_much_deleveraging

Von: Dieter Hein

Quelle: DAS INVESTMENT.

Siehe auch

e-fundresearch: Deutschland: Wege aus dem Stillstand

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