Das Investment: Risiko ist die „Währung“ für Rendite

sjb_werbung_das_investment_300_200Was haben Deutschlands Privatinvestoren mit der Mehrzahl der Autofahrer gemeinsam und was haben die Wahrscheinlichkeiten für Vulkanausbrüche mit denen für Kursstürze an den internationalen Aktienmärkten zu tun?Über solche Hintergründe der Anlegerwelt forscht Stefan Mittnik, der auch einen Finanzdienstleister zur digitalen Vermögensverwaltung mitgegründet hat.

Professor Dr. Stefan Mittnik ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzökonometrie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sowie wissenschaftlicher Beirat von Scalable Capital. 

Das Interview wurde DAS INVESTMENT.com freundlicherweise von Scalable Capital zur Verfügung gestellt. Sie sagen, dass eine zuverlässige Risikoeinschätzung für den Vermögensaufbau zielführender sei als der Versuch, Kursentwicklungen zu prognostizieren.

Mittnik: Wer investiert, muss sich erst einmal bewusst machen, welche Risiken er mit einem bestimmten Investment eingeht. Je mehr man die Risiken im Griff hat und Verluste systematisch abfedern oder vermeiden kann, desto besser fällt am Ende die Performance aus.

Viele private und institutionelle Anleger machen einen Grundfehler: Sie setzen bei der Kapitalanlage vornehmlich auf Kursprognosen. Sie spekulieren darauf, Nachrichten, die die Kursentwicklung eines Wertpapiers beeinflussen könnten, besser interpretieren und verwerten zu können als andere Marktteilnehmer. Wie die große Mehrheit der Autofahrer glaubt, besser als der Durchschnittsfahrer zu sein, herrscht auch in der Finanzwelt eine weit verbreitete Selbstüberschätzung. Empirische Studien zeigen immer wieder, dass Bemühungen, Kursentwicklungen vorherzusagen, sowohl für Analysten als auch Privatanleger Zeitverschwendung sind. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass Investieren immer zwei Dimensionen hat, nämlich Rendite und Risiko, sollten Analysten und Finanzmedien sich mehr mit Risikofragen als mit Renditespekulationen beschäftigen. Denn könnte man Kurse tatsächlich vorhersagen, wie viele Analysten suggerieren, hätte man null Risiko. Sinnvolle Risikoinformationen wären hilfreicher als die so weitverbreiteten, astrologisch anmutenden Tipps zu vermeintlich unter- oder überbewerteten Wertpapieren.

Aber der gemeine – wie im Übrigen auch der professionelle – Anleger tut sich ja schwer, Risiken einzuschätzen…

Mittnik: Das ist auch nicht trivial, dafür aber eher von Erfolg gekrönt. Risiko ist etwas Latentes, das wir nicht wie eine Kursentwicklung beobachten können. Wir können erst im Nachhinein sagen, ob und wie ein Risiko zum Tragen kam. Damit ist es vergleichbar mit einer Ansteckungsgefahr: Ein grassierender Virus muss nicht, aber kann zu einer Grippe führen, die dann wiederum leicht oder schwer ausfallen kann.

Was kann Technologie da leisten?
Mittnik: Das ist wie beim Deutschen Wetterdienst. Die Wetterprognosen haben sich trotz aller Kritik über die Jahrzehnte beständig verbessert. Das haben wir moderner Technologie, einem enormen Fundus an Daten und besseren Modellverfahren zu verdanken: Mit einer größeren Zahl an Messstellen und höheren Rechenkapazitäten können wir eine Vielzahl an Messwerten zusammenschalten und anhand von Modellen detailliertere und zuverlässigere Projektionen entwerfen. Bei der Geldanlage verhält es sich genauso: Mit der heutigen Leistungsfähigkeit der IT sowie modernen und großflächig einsetzbaren finanzökonometrischen Verfahren können wir Daten gehaltvoller auswerten. Wir verstehen dadurch Finanzmarktrisiken besser, erkennen Systematiken und können dieses Wissen zur genaueren Beurteilung künftiger Risikoentwicklungen verwenden.

Mit anderen Worten: Bei der Einschätzung von Finanzmarktrisiken ist Technologie dem Menschen überlegen?

Mittnik: Absolut. Risiken lassen sich nicht beobachten. Aufgrund des komplexen Zusammenwirkens vieler Risikotreiber reicht es beispielsweise nicht, Geschäftsberichte, Ad-hoc-Meldungen und Kursverläufe zu studieren, um künftige Risiken realistisch abzuschätzen. Erst durch den Einsatz moderner, computergestützter Finanzökonometrie verstehen wir die Risikolandschaften besser und können dadurch auch das Verhalten in Extremsituationen zuverlässiger modellieren. Wir können so nicht nur abschätzen, wie sich beispielsweise die Risiken einzelner Asset-Klassen entwickeln, sondern auch besser prognostizieren, welches Ansteckungspotenzial sie für andere Märkte haben.

Können Sie mit Ihrer Technologie einen Crash vorhersagen?

Mittnik: Zu erwarten, den Zeitpunkt von Crashs zu prognostizieren, ist unrealistisch. Und man sollte jedem misstrauen, der so etwas verspricht. Technologie kann aber helfen, etwas über die Wahrscheinlichkeit von großen Kurseinbrüchen zu sagen. Unser Risikomodell erkennt und kalkuliert mit „fat tails“, also die Möglichkeit von übernormalen Schwankungsbreiten. Das Gegenteil davon ist eine Renditeverteilung mit „thin tails“, das gängige Modell in der Branche. Mit dieser Annahme erwarten Sie einfach nie, dass es Tagesschwankungen von mehr als plus minus fünf Prozent in einem Index wie dem Dow oder Dax gibt, weil deren Existenz schlichtweg ausgeblendet wird. Wir dagegen schauen mit einer Modell-Brille auf die Märkte, die keine Risiko- Scheuklappen hat.

Aber lassen Sie mich auf die Crash-Prognose zurückkommen. Hier ist es wie in der Vulkanforschung. Die ist mit Hilfe von seismografischen Messungen von Vorbeben zwar nicht unbedingt in der Lage, den exakten Zeitpunkt, dafür aber die Wahrscheinlichkeit eines nahenden Ausbruchs, genauer zu bestimmen. Auf Basis dieser Information kann beispielsweise entschieden werden, ob eine bestimmte Region evakuiert werden beziehungsweise eine Evakuierung wieder aufgehoben werden soll. Die Analogie bei der Geldanlage wäre, zu entscheiden, ob aufgrund einer geänderten Risikolandschaft eine Position auf- oder abgebaut werden soll. Wirksame Risikotechnologie erfordert gut funktionierende Seismometer und Verfahren, mit denen anhand von Messdaten gehaltvolle Risikoinformationen gewonnen werden können.

Wir haben viel über Risiken gesprochen. Wie sieht das Zusammenspiel zwischen Risiko und Rendite aus?

Mittnik: Dieses Zusammenspiel ist durchaus komplex. Grundsätzlich können wir das Risiko eines Investments in zwei Komponenten zerlegen: das Basis- oder Langfristrisiko, das sich kaum oder nur sehr langsam ändert, und das Überschussrisiko, also die temporären Risikoschwankungen um das Basisrisiko. Asset-Klassen mit einem hohen Basisrisiko liefern langfristig durchweg höhere Renditen. Es besteht also langfristig ein positiver Zusammenhang zwischen Basisrisiko und Rendite. Beim Überschussrisiko ist die Tendenz allerdings genau entgegengesetzt: Phasen mit hohem Überschussrisiko gehen eher mit einer schwachen Renditeentwicklung einher und umgekehrt. Gutes Risikomanagement muss beide Komponenten in Einklang bringen.

Bringt Ihre risikobasierte Anlagetechnologie auch eine bessere Performance?

Mittnik: Unsere Anlagestrategie zielt zunächst darauf ab, jedes Portfolio in dem vom Kunden festgelegten Risikokorridor zu halten. Dazu werden ETFs mit geeigneten Basisrisiken kombiniert. Zeigen unsere Risikoprojektionen aufgrund von Änderungen in den Überschussrisiken oder des Zusammenwirkens der ETFs eine drohende Verletzung des Korridors an, werden die Portfoliogewichte entsprechend angepasst. Durch dieses ständige „Ausbügeln“ der Überschussrisiken werden übermäßige Verlustrisiken und Verluste der einzelnen ETFs begrenzt beziehungsweise abgefedert. In risikoarmen Marktphasen wird in ETFs mit höheren Basisrisiken umgeschichtet, um so zusätzliches Renditepotenzial auszuschöpfen. All das wirkt sich positiv auf die Performance aus. Zudem verhindert die Risikosteuerung, dass Anleger in schwierigen Marktphasen entnervt aussteigen und sich wieder auf Sparbuchzinsen beschränken.

Auch bei der Wahl des Risikomaßes haben wir die Performance nicht ausgeblendet. Typischerweise wird die Volatilität als Messgröße verwendet – also die über positive und negative Kursschwankungen gemittelte Streubreite. Eine derartige Mittelung ist nur angebracht, wenn sich positive und negative Renditen spiegelbildlich verhalten. Negative Kursausschläge sind aber in der Regel größer als positive. Eine „Low-volatility“-Strategie zum Beispiel unterschätzt dann systematisch das Verlustpotenzial und bedingt dadurch unerwartet hohe Verluste. Umgekehrt bringt sie nicht die erwarteten Gewinne, da gleichzeitig das Gewinnpotenzial überschätzt wird. Deshalb konzentrieren wir uns bei Scalable Capital explizit auf die Begrenzung von Verlustrisiken und nicht einfach Schwankungsrisiken. Wir haben ein explizites Auffangnetz nach unten, aber keine expliziten Hemmschuhe nach oben.

Schreiben sich nicht die meisten Anbieter „wissenschaftlich fundiertes Risikomanagement“ auf ihre Fahnen?

Mittnik: Bei den derzeit angebotenen digitalen und auch den meisten nicht-digitalen Anlagelösungen werden einmalig Portfolio-Zielgewichte festgelegt und dann dauerhaft konstant gehalten. Digitale Anbieter verweisen dabei gerne auf Markowitz-basierte Vorgehensweisen. Die fußen allerdings, wie die empirische Finanzmarktforschung zeigt, auf sehr unrealistischen, mathematischen Annahmen – wie zum Beispiel „thin tails“. Das eigentliche Management beschränkt sich dann darauf, in gewissen, meist größeren Zeitabständen ein Rebalancing vorzunehmen, um Gewichtsverschiebungen aufgrund von Kursbewegungen rückgängig zu machen. Bei diesem „Weight-Targeting“ können Risiken aber dramatisch schwanken. Hat man beispielsweise immer zu 50 Prozent in Anleihen und 50 Prozent in Aktien investiert, so kann sich das Anlagerisiko schnell mal verdoppeln oder vervierfachen. Das Risiko schwankt direkt mit dem allgemeinen Marktrisiko. Unser „Risk-Targeting“, das auf empirisch begründete und computergestützte Risikosimulationen basiert, hält das absolute Verlustrisiko konstant, während „Weight-Targeting“ das relative Risiko im Auge hat und lediglich den Multiplikator zum Marktrisiko konstant hält.

Können Ihre Kunden ihre Risikoneigung anpassen? Der Anleger ist sich ja nicht unbedingt sicher hinsichtlich seiner Risikoneigung.

Mittnik: Das ist richtig. Unsere Risikoeinstufung basiert auch nicht nur auf der persönlichen Risikoneigung, sondern zunächst auf objektiven Kriterien der Risikotragfähigkeit und dem geplanten Anlagehorizont. Der Kunde kann seine Risikoeinstufung, die wir ihm nach Beantwortung eines Fragenkatalogs empfehlen, nur nach unten anpassen, also weniger Risiko als vorgeschlagen eingehen. Die Angemessenheit der Einstufung wird aber regelmäßig überprüft. Durch Änderungen von Lebenssituation oder Einkommen beispielsweise kann sich eine Neueinstufung ergeben.

Wenn ein Kunde eine Risikokategorie mit einer eher mageren Performance gewählt hat, besteht dann nicht die Gefahr, dass er früher oder später sein Risiko erhöhen will?

Mittnik: Ich würde das nicht als Gefahr bezeichnen. Wir streben ein hohes Maß an Transparenz an. Wir sprechen das Thema „Risiko“ offen an und legen Wert darauf, dass unsere Kunden den Zusammenhang zwischen Performance und Risiko verstehen. Die Risikoeinstufung ist direkt an die Bereitschaft gekoppelt, temporäre Wertrückgänge in einer bestimmten Höhe zu ertragen. Wer mehr Performance will, muss – allerdings immer nur im Rahmen seiner Risikotragfähigkeit – mehr Risiko eingehen. Mit anderen Worten: Risiko ist die „Währung“ für Rendite. Unserer Zielgruppe ist dies durchaus bewusst, wie auch die Tatsache, dass kompetentes Risikomanagement ein maßgeblicher Grundstock für den erfolgreichen Vermögensaufbau ist.

Was halten Sie von „Stock Picking“, also vom Investieren in Einzelaktien?

Mittnik: Stock Picking kann der machen, der Spaß am Wetten hat oder über solch hohe Anlagesummen und niedrige Transaktionskosten verfügt, dass er breit und kostengünstig diversifizieren kann. Die meisten Anleger legen ihr Geld aber nicht aus Vergnügen an und verfügen auch nicht über die nötigen Millionen. Stock Picking basiert wiederum auf der Vorstellung, dass ich cleverer bin, als der Rest der Anleger, und besser einschätzen kann, wie sich einzelne Werte entwickeln. Zahlreiche empirische Studien zeigen jedoch, dass weder professionelle noch Privatanleger dabei dauerhaft erfolgreich sind.

Dann halten Sie wohl auch nichts von aktiv verwalteten Fonds?

Mittnik: So generell würde ich das nicht sagen. Aktive Manager übernehmen eine wichtige Funktion: Sie tragen zur Preisfindung in den Märkten bei. Es muss Marktteilnehmer geben, die die Informationen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf ein Wertpapier bewerten und entsprechend handeln. Allerdings gibt es viel zu viele von diesen News-Interpreten, die ja letztlich alle von Anlegern bezahlt werden.

Ihrer Verwandtschaft empfehlen Sie deshalb passive Produkte?

Mittnik: Ich rate zu kostengünstigen Produkten. Anlagekosten – soweit sie offengelegt sind – kann ich vorhersagen, Renditen nicht. Und über mehrere Jahre bringt schon ein geringer Kostenvorteil ein erhebliches Mehr an Vermögen. Diese Lücke können Anbieter hochpreisiger Produkte auf Dauer nicht oder bestenfalls nur dann schließen, wenn sie höhere Risiken eingehen.

Quelle: DAS INVESTMENT.

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