Warburg | Hamburg, 20.11.2014.
Herdenverhalten ist ein unbestrittenes Phänomen an Kapitalmärkten. Ändern sich die Rahmenbedingungen für Investoren, reagieren diese darauf i.d.R. nicht sofort, sondern eher sukzessive. Da jeder Investor andere Prioritäten, andere Einschätzungen und andere Portfoliostrukturen aufweist, werden auch Informationen mit einer unterschiedlichen Priorität und Geschwindigkeit verarbeitet.
Dementsprechend kann eine abrupte (oder auch graduelle) Veränderung von entscheidungsrelevanten Rahmendaten zu einem trendbehafteten Verhalten von Märkten führen, da die „Einpreisung“ neuer Sachverhalte bei den Investoren eben nicht simultan erfolgt. Dieser im ersten Schritt fundamental getriebene Trend an den Märkten kann sich ab einem gewissen Zeitpunkt verselbstständigen, da viele Marktteilnehmer den Trend beobachten und daran partizipieren wollen, ohne zwingend eine eigene Meinung zum fundamentalen Hintergrund dieser Entwicklung zu haben.
Dies führt dann immer wieder zu dem oben angesprochenen Herdenverhalten, das weniger von effizienter Informationsverarbeitung, sondern eher vom Glauben an die Persistenz von Trends getrieben ist. Die Motivation eines Investors, der diesem Herdentrieb folgt, ist dann auch nicht so sehr der Anspruch, den Grund für den Trend zu verstehen. Vielmehr liegt diesem Verhalten die Annahme zu Grunde, dass in der Herde eine gewisse Art von „Schwarmintelligenz“ vorliegt, der es sich lohnt zu folgen.
Aus diesem Grund haben sich vor allem in den letzten 20 Jahren viele technische Modelle etabliert, die versuchen, derartige Trends frühzeitig aufzuspüren und für eine gewisse Zeit daran zu partizipieren. In dem Maße, wie dieser Investmentstil populärer wurde und größere Volumina auf sich vereinte, führte das zu einem sich selbst verstärkenden Effekt: Je mehr Investoren auf einen Trend setzen, umso stärker und länger fällt dieser aus. Viele Jahre konnten Investoren mit diesen Trendfolgemodellen dementsprechend attraktive Renditen erzielen; zunächst wurden diese Ansätze erfolgreich in Hedge-Fonds umgesetzt, später zunehmend auch in „normalen“ Publikumsfonds. Seit einigen Jahren zeichnet sich nun aber eine deutliche Verschlechterung in der Wertentwicklung dieser Ansätze ab. Nun stellt sich die Frage, wie diese Beobachtung einzuordnen ist, denn im Prinzip bieten sich verschiedene Interpretationen an.
Eine erste (und naheliegende) Interpretation wäre die, dass die derzeit zu beobachtende Trendlosigkeit eher eine Marktanomalie ist, die sich bald wieder korrigiert. Eine andere Möglichkeit wäre die, dass zwar immer noch Trends vorliegen, diese aber nun mit anderen Modellen erfasst werden müssen. Eine weitere, zumindest theoretisch denkbare Möglichkeit wäre aber, dass vielmehr die Jahre, in denen Trendfolgemodelle funktioniert haben, eine Marktanomalie waren, und sich in Wirklichkeit Trends über längere Zeiten kaum effizient erkennen, auswerten und portfoliotechnisch nutzen lassen. Welche Interpretation ist nun die Richtige? Abschließend und mit letzter Gewissheit lässt sich diese Frage unmöglich beantworten, aber am Beispiel des DAX haben wir exemplarisch versucht, uns dieser Fragestellung mit empirischen Methoden zu nähern.
Dazu haben wir in einem ersten Schritt insgesamt 16 einfache Trendfolgemodelle gebaut, die vom Prinzip in der Lage sein sollten, langfristig Trends zu erkennen, wenn es denn solche überhaupt gibt. Dabei geht es an dieser Stelle nicht um die Überlegung, inwieweit diese Modelle verfeinert oder optimiert werden könnten, sondern nur um die grundsätzliche Frage, inwieweit überhaupt Trends mit prinzipiell geeigneten Ansätzen erfasst werden können. Dazu haben wir mit jedem der 16 Modelle ein Portfolio backgetestet, welches zu 50% in den DAX investiert war, wenn das Modell einen negativen Trend ausgemacht hat, während bei einem positiven Trend eine 100-prozentige Investition erfolgte. Als Vergleichsindex diente ein Index, der immer zu 75% in den Index investiert war. Für alle 16 Portfolien auf Basis der verschiedenen Trendfolgemodelle sowie für den Referenzindex wurde dann über den Zeitraum der letzten 20 Jahre die Sharpe-Ratios und damit die risikoadjustierte Wertentwicklung gemessen. Im Ergebnis zeigt sich beim DAX ein von uns zunächst erwartetes Bild: Während über den ganzen Zeitraum der Mittelwert der Sharpe-Ratios in den 16 Trendfolgeportfolien über dem Wert im Referenzindex liegt, ist das am aktuellen Rand (gemessen an den letzten vier Jahren) nicht der Fall. Doch ist dieses Ergebnis auch signifikant, oder liegt die Differenz zwischen den Sharpe-Ratios im Bereich des statistischen Rauschens? Wenn dem so wäre, könnten keine sinnvollen Aussagen in Bezug auf die Interpretation der Ergebnisse gemacht werden. Wir haben uns dem Problem genähert, indem wir ein Datenumfeld generiert haben, in dem per Definition keine Trends vorliegen können, so dass wir diese Auswertungen gut als Referenz für die dann folgenden Überlegungen nutzen können.
Dazu haben wir die täglichen Renditen des DAX der letzten 20 Jahre per Zufallsgenerator 5000 mal neu „zusammengewürfelt“ und somit 5000 Zeitreihen generiert, die sich auf den ersten Blick hinsichtlich Volatilität, Draw-Downs oder auch (vermeintlicher) Trends kaum vom DAX unterscheiden, jedoch aus mathematischer Sicht gar keine Trends aufweisen können. Die obige Abbildung zeigt einige dieser generierten Zeitreihen im Vergleich zum DAX. Da die Tagesrenditen des DAX nur in eine andere Reihenfolge gebracht wurden, ist die Wertentwicklung zum Ende der Betrachtungsperiode in allen Fällen immer identisch, der zwischenzeitliche Verlauf aber nicht. Bei einer oberflächlich „optischen“ Betrachtung käme man vermutlich nicht auf die Idee, dass es sich bei den grauen oder schwarzen Linien um generierte Zeitreihen ohne Trendbehaftung handelt. Zwar gibt es auch hier immer wieder Zeiträume, in denen im Trend Kurse steigen oder fallen, doch ist dies ein komplett zufälliges Ergebnis. Wir können das konstruktionsbedingte Fehlen eines Trends übrigens auch dadurch belegen, dass in diesen Portfolien auf Basis von Trendfolgemodellen im Durchschnitt der Sharpe-Ratio exakt der Sharpe-Ratio des Referenzindexes entspricht, der sich ergibt, wenn man in die künstlich generierte Zeitreihe immer zu 75% investiert ist. Das bedeutet, dass durch den Einsatz eines Trendfolgemodells kein Mehrwert erzielt werden kann – genau das wäre in einer Welt ohne Trends auch zu erwarten. Fakt ist aber auch, dass natürlich nicht in jedem einzelnen künstlich generierten Portfolio die Sharpe-Ratio der Trendfolgevariante der Sharpe Ratio des Referenzindexes entspricht. Manchmal entstehen auch in per Zufallsgenerator erzeugten Pfaden bestimmte Kursverläufe, die vollkommen zufällig bei Nutzung eines Trendfolgemodells zu einer Über- oder Unterperformance gegenüber dem Referenzindex führen. Und hier wird es spannend: Analysiert man genau die Verteilung dieser komplett zufälligen Abweichungen zwischen den Sharpe-Ratios der Trendfolgeportfolien und den Referenzportfolien im Fall der generierten Zeitreihen, können damit Rückschlüsse auf die Signifikanz dieser Differenz zwischen den Sharpe-Ratios der DAX-Trendfolgeportfolien und dem DAX-Referenzportfolio gezogen werden.
Diese Vorgehensweise mag zunächst schwer nachvollziehbar sein, aber anhand konkreter Zahlen kann leicht Licht ins Dunkel gebracht werden. Im Durchschnitt über alle Trendfolgeportfolios auf historischer DAX-Basis lag die Sharpe-Ratio über die letzten 20 Jahre bei 0,533. Im direkt vergleichbaren und immer zu 75% investierten DAXReferenzportfolio lag die Kennzahl für die risikoadjustierte Wertentwicklung bei 0,455. Ist diese Differenz nun signifikant oder nur reiner Zufall? Diese Frage lässt sich jetzt beantworten, indem man die Verteilung der Differenzen der Sharpe-Ratios heranzieht, deren Ergebnisse zwangsläufig nur dem Zufall unterlagen. Und hier zeigt sich, dass eine Differenz von 0,078 im Sharpe-Ratio zwischen Trendfolgemodell und Referenzindex ohne Trendfolgemodell kein Zufall mehr sein kann, denn in den Portfolios, in denen per Definition keine Trendbehaftung vorhanden war, gab es nur ausgesprochen selten eine solch große Differenz. Genau genommen gab es eine solche Differenz in weniger als einem Prozent der trendlosen Zeitreihen. Das spricht klar dafür, dass es sich um einen statistisch signifikanten, systematischen und eben keinen zufälligen Effekt handelt. Eine identische Untersuchung für den S&P zeigt übrigens ähnliche Ergebnisse, auch wenn die Trendbehaftung im US-Aktienmarkt nicht ganz so signifikant wie im DAX ist.
Aber wenn dieser Effekt der Trendbehaftung über viele Jahre systematisch vorlag und offensichtlich keine zufällige Laune der Kapitalmärkte war, was ist dann mit dem aktuellen Zeitraum? Hier lassen uns die statistischen Analysen etwas ratlos zurück. Denn die Differenz zwischen den beiden Sharpe-Ratios liegt sehr nahe an dem Wert, der sich im Durchschnitt in den 5000 Simulationen von Zeitreihen ohne Trend ergeben hat. Ganz offensichtlich hat ein Strukturbruch stattgefunden – aus einem trendbehafteten Markt ist zumindest temporär ein Markt ohne Trendbehaftung geworden. Doch kann man davon ausgehen, dass dies so bleibt? Wir würden nicht darauf wetten, denn am Anfang dieses Beitrages haben wir gute Gründe aufgeführt, warum dieses Phänomen prinzipiell an Kapitalmärkten existieren sollte. Nur den Zeitpunkt der Rückkehr können wir nicht bestimmen, und daher gilt bis auf weiteres, die taktische Allokation nicht zu sehr auf Trendmodellen fußen zu lassen. Zum Schluss wäre aber zu klären, warum seit einigen Jahren die zuvor statistisch signifikant zu beobachtende Trendbehaftung abgenommen hat. Vielfach wird angeführt, dass in den letzten Jahren zu viele Investoren auf den „Zug“ der Trendbehaftung aufgesprungen sind und damit das Potenzial der Strategie ausgehöhlt wurde. Wir sind von dieser Theorie nicht überzeugt, denn aus unserer Sicht führt eine zunehmende Fokussierung auf Trendfolgemodelle eher noch zu sich selbstverstärkenden Trendeffekten; es wäre fast unmöglich zu erklären, warum ein steigendes Volumen in Fonds mit Trendfolgeansätzen zu einer geringeren Trendbehaftung der Märkte führen sollte. Wir haben aber einen weiteren Verdächtigen ausgemacht: Wir halten es für möglich, dass die wiederkehrenden (unkonventionellen) geldpolitischen Eingriffe aller großen Notenbanken seit der Finanzkrise 2008/2009 die Entwicklung von Trends immer wieder „torpediert“ haben. Es spricht aus unserer Sicht vieles dafür, dass dies noch einige Zeit anhalten könnte.
Am Aktienmarkt – so ein geflügeltes Wort unter Investoren – wird die Zukunft gehandelt. Doch auch ein Blick auf die Vergangenheit ermöglicht manchmal durchaus interessante Erkenntnisse. Wir haben die berichteten Betriebsergebnisse der Unternehmen aus dem Stoxx 1800 analysiert und zu einer Zeitreihe verknüpft, die Rückschlüsse auf die Entwicklung der Ergebnisse in den letzten Jahren ermöglicht, trotz einiger Unterschiede bei der Erhebung des Nachsteuerergebnisses (in Japan werden sogenannte Einmaleffekte im Nachsteuerergebnis belassen, in anderen Ländern werden sie üblicherweise herausgerechnet). Über die letzten fünf Jahre ist es vor allem Unternehmen aus Belgien, Japan und der Schweiz gelungen, die Nachsteuerergebnisse kräftig zu steigern. Auch deutsche und US-Unternehmen waren erfolgreich. Dagegen haben Unternehmen aus Italien und Spanien erheblich unter den wirtschaftlichen Verwerfungen in ihren Ländern gelitten. Die Betriebsergebnisse – das zeigt unsere Untersuchung – wurden jedoch in einigen Fällen, wie etwa in Japan, massiv durch eine schwächere Landeswährung gestützt. Möglicherweise können europäische Unternehmen davon zukünftig ebenfalls profitieren, während US-Unternehmen ausgehend von dem stärkeren US-Dollar Gegenwind für ihre Ergebnisse verspüren könnten.
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