Pressemitteilung WARBURG INVEST KAPITALANLAGEGESELLSCHAFT MBH: Sparen oder spendieren? Ein Beitrag zu den ökonomischen Auswirkungen von Staatsausgaben

teaser_pm-warburg_300_200 Warburg | Hamburg, 17.11.2014.

In der Öffentlichkeit wird bereits seit längerem eine Debatte über die Auswirkungen von Staatsausgaben auf das Wirtschaftswachstum geführt. Diese Debatte ist unseres Erachtens wichtig, schließlich berührt die Frage nach mehr oder weniger Staatsausgaben einige wirtschaftlich und sozial höchst bedeutsame Punkte: Wie wird der Wohlstand zwischen der heutigen und zukünftigen Generation verteilt?

Welche Verteilungswirkung erzielen die Staatsausgaben innerhalb eines souveränen Staates sowie zwischen Staaten? Und letztlich: Ob und inwieweit erhöht eine nochmalige Ausweitung der Staatstätigkeit die makroökonomischen Risiken und kann sie nicht am Ende sogar zu einer nominalen Enteignung der Gläubiger und Bürger führen? Die Frage „mehr oder weniger Staatsausgaben“ hat daher eine erhebliche wirtschaftliche Tragweite und berührt handfeste wirtschaftliche und politische Interessen.

Angesichts dessen halten wir es für bedauerlich, dass zum Thema Staatsausgaben oftmals wenig begründete oder einseitige Positionen vertreten werden. Differenzierte Beiträge zur Höhe der Staatsausgaben und den wirtschaftlichen Folgen sind dagegen vor allem in wissenschaftlichen Publikation zu finden, die einem breiteren Publikum oft kaum zugänglich sind. Immerhin gibt es zumindest eine gewisse Einigkeit bei dem Ausgangspunkt der Diskussion: Die Ausweitung der Staatstätigkeit in den vergangenen Dekaden konnte in den meisten Ländern nicht mehr nur aus den Steuereinnahmen finanziert werden. Um politische Ziele und Wünsche dennoch erfüllen zu können, wurden Jahr für Jahr zusätzliche Schulden aufgenommen. Die Folgen dieser Politik sind heute kaum mehr zu übersehen: Vor allem die öffentlichen Haushalte in den Industrienationen befinden sich in einer desolaten Lage und werden mitunter – wie in Japan – mittlerweile direkt von der Notenbank finanziert.

Unseres Erachtens gibt es daher unter achtbaren Ökonomen einen Konsens darüber, dass die Ausweitung der öffentlichen Verschuldung zumindest gebremst werden muss und im Idealfall umgekehrt werden sollte. Uneinigkeit besteht jedoch in der Frage, wie dies funktionieren soll. Und Unsicherheit besteht zudem, ob es den politischen Entscheidungsträgern gelingen wird, vernünftiger als in den vergangen 40 Jahren zu wirtschaften. Dies steht vor allem in jenen Ländern in Frage, in denen die Sozialausgaben bereits einen hohen Anteil an den gesamten Staatsausgaben erreicht haben. Sozialausgaben lassen sich nur unter erheblichen politischen Kosten kürzen. Zudem hat die Kürzung von Sozialausgaben einen besonders starken negativen Wachstumseffekt, weil die Empfänger von Transferleistungen von diesen zu einem guten Teil abhängig sind; ihnen bleibt dementsprechend wenig anderes übrig, als unmittelbar und fast im vollen Umfang der Leistungskürzung ihren Konsum zu reduzieren. Die Einsparungen im Staatshaushalt reduzieren die Wirtschaftsleistung daher erheblich, besonders im Falle von hochverschuldeten Ländern kann dies zunächst sogar zu einem Anstieg des Verhältnisses von Schulden zur Wirtschaftsleistung führen.

Bereits diese Überlegung zeigt, dass eine Umkehr der öffentlichen Verschuldungspolitik und selbst ein Kursschwenk in Richtung einer solideren Haushaltsführung zunächst mit Wachstumseinbußen verbunden ist. Erschwerend für die Politik ist aus unserer Sicht, dass der Zielkonflikt nicht nur zwischen kurzzeitigen Wachstumseinbußen und kurzfristigen Verbesserungen im Haushalt besteht. Vielmehr erfordern die Folgen der fehlgeleiteten Haushaltspolitik, dass zumindest für eine ganze Dekade Maß gehalten wird. Der Internationale Währungsfonds geht sogar davon aus, dass eine Stabilisierung und Rückführung der Staatsschulden auf ein vernünftigeres Niveau zwei Dekaden verantwortungsvoller Haushaltspolitik erfordert. Der Zielkonflikt zwischen der Konsolidierung des öffentlichen Haushaltes auf der einen und Wachstumseinbußen auf der anderen Seite besteht insofern nicht nur in der kurzen Frist, sondern auch mittel- und langfristig.

Dieser Zielkonflikt kann unseres Erachtens durch flankierende Maßnahmen – wie einer extrem expansive Geldpolitik, finanzieller Repression, wachstumsschonenderen Sparmaßnahmen, selektiven Investitionsmaßnahmen und Strukturreformen – lediglich abgeschwächt, aber nicht vollständig aufgelöst werden. Dies stellt eine Politik, die gegenüber dem Wähler oftmals über erheblich kürzere Zeiträume legitimiert werden muss, vor ganz erhebliche Herausforderungen. Es kann daher auch nicht verwundern, dass zumindest das Ausmaß der Sparmaßnahmen in der Öffentlichkeit hoch umstritten ist, und zwar besonders in denjenigen Ländern, die in den letzten Jahren stark gespart haben (mit entsprechend negativen Wachstumswirkungen), oder deren Anteil an öffentlichen Sozialausgaben überdurchschnittlich hoch ist. Bisweilen könnte man gar den Eindruck gewinnen, dass gerade US-amerikanische Ökonomen bzw. Politiker die Position vertreten, die Lösung des Schuldenproblems läge darin, dass Staaten noch mehr Geld ausgeben und damit auch noch mehr Schulden machen. Dies würde das Wachstum erhöhen und dazu beitragen, dass der betroffene Staat gewissermaßen aus dem Schuldenproblem herauswächst. Doch diese Empfehlung dürfte nicht nur dem ökonomischen Laien etwas verdächtig vorkommen, sie hält auch aus unserer Sicht einer näheren Betrachtung nur höchst eingeschränkt stand.

So führen nicht nur Sparanstrengungen zu einem geringeren Wachstum, sondern auch eine Ausweitung der Staatstätigkeit, sowie – zu einem geringeren Grad – eine höhere Staatsverschuldung. Wir haben für verschiedene Länder Berechnungen angestellt, in welchem Zusammenhang der Wohlstandszuwachs (gemessen am Wachstum des Pro- Kopf-BIPs) und die Staatsausgaben stehen. In unserem unten abgebildeten Chart ist dies für die G-20-Länder zu sehen. Der Zusammenhang fällt schon auf den ersten Blick ins Auge: Je höher die Staatsausgaben, desto geringer das Pro-Kopf-BIP-Wachstum. Für jeden Prozentpunkt mehr Staatsausgaben fällt das Pro-Kopf-BIP-Wachstum um rund 0,175 Prozentpunkte geringer aus, das Ergebnis ist statistisch signifikant auf dem 99%-Konfidenzniveau. Das heißt, es ist sehr unwahrscheinlich, dass kein Zusammenhang besteht.

Dies mag immer noch nicht jeden Leser überzeugen, schließlich setzt sich die Gruppe der 20 Länder sowohl aus Industriestaaten als auch aus Schwellenländern zusammen. Die Schwellenländer haben meistens einen kleineren Staatssektor sowie höhere Pro-Kopf-Wachstumsraten. Möglicherweise führt das dazu, dass höhere Staatsausgaben in unseren Berechnungen mit geringeren Wachstumsraten einhergehen. Doch auch eine Regression ausschließlich über Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 15.000 US-Dollar und eine weitere Regression über insgesamt 180 Länder führen zu ähnlichen Ergebnissen: Je stärker der Anteil des Staates an der Gesamtwirtschaft ist, desto schwächer fällt das Pro-Kopf-BIP-Wachstum aus. Der Koeffizient liegt mit jeweils rund -0,05 etwas niedriger als in der Berechnung für die G-20-Staaten. Jeder Prozentpunkt Staatsausgaben mehr geht entsprechend mit einem um 0,05 Prozentpunkte geringeren Pro-Kopf-Wachstum einher. Auch theoretisch machen diese Ergebnisse Sinn: Ein Staat mit hohen Ausgaben greift in der Tendenz stärker in das Wirtschaftsgeschehen ein, was sich negativ auf die Dynamik auswirken kann. Zudem, und das ist der wichtigere Punkt, liegt das Produktivitätswachstum im öffentlichen Sektor regelmäßig niedriger als im privaten Sektor. Höhere Staatsausgaben mögen insofern kurzfristig ein kleines Wachstumsstrohfeuer entfachen. Mittelfristig führt diese Maßnahme jedoch nicht zum Erfolg. Vielmehr wird die extrem schwache strukturelle Wachstumsdynamik, die viele Industrieländer plagt, nochmals verstärkt. Eine Konsolidierung zu einem späteren Zeitpunkt wird damit politisch und wirtschaftlich eine noch größere Herausforderung, als sie es jetzt ohnehin schon ist.

Zudem deuten unsere Berechnungen darauf hin, dass es auch einen negativen Zusammenhang zwischen dem Pro- Kopf-Wachstum und der öffentlichen Verschuldung gibt. In den Medien heiß diskutiert wurde in diesem Zusammenhang eine Studie von Reinhart und Rogoff aus dem Jahr 2010. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass Länder ab einer Verschuldung von 90% gemessen am BIP langsamer wachsen. Später stellte sich heraus, dass dieses Ergebnis auf einem Berechnungsfehler beruhte. Untergegangen in der Diskussion über die 90%-Grenze ist aus unserer Sicht jedoch, dass es durchaus gute Gründe dafür gibt, die Verschuldung nicht immer weiter ansteigen zu lassen. Und einer davon scheint zu sein, dass eine hohe Verschuldung das Pro-Kopf-Wachstum langfristig eben doch etwas drückt. Wir würden dieses Ergebnis zwar nicht an einer wie auch immer gearteten „Verschuldungsgrenze“ festmachen. Dass gar kein Zusammenhang besteht ist jedoch aus unserer Sicht sehr unwahrscheinlich.

Die Politiker jener Länder, die hohe Staatsausgaben und -schulden sowie einen hohen Anteil an Sozialausgaben haben, sind also zwischen Baum und Borke gefangen. Eine Erhöhung der Staatsausgaben verschafft zwar temporär Luft, verschärft zukünftige Probleme aber erheblich. Wir plädieren daher für einen Politikmix, der mittel- bis langfristig Erfolgsaussichten hat. Dieser muss berücksichtigen, dass nur Sparmaßnahmen alleine ungenügend sind, um die öffentliche Verschuldung kräftig zu senken; eine rigorose Sparpolitik über einen Zeitraum von einer bis zwei Dekaden ist in demokratischen Systemen schlicht nicht durchsetzbar. Wir sprechen uns daher dafür aus, dass die Sparmaßnahmen von einer extrem expansiven Geldpolitik und selektiven Investitionen flankiert werden. Strukturreformen müssen durchgesetzt werden, um das mittelfristige Wachstumspotenzial zu erhöhen. Wenig sinnhaft ist es aus unserer Sicht indes, sich auf den Erfolg einzelner Maßnahmen zu verlassen, wie dies zugespitzt die Position einiger Kommentatoren ist. Vor diesem Hintergrund halten wir es für bedauerlich, dass sich die Debatte um Staatsausgaben und Sparmaßnahmen regelmäßig nur um einzelne Aspekte dreht, die zur Glaubensfrage hochstilisiert werden: Sollen die Staaten mehr Geld ausgegeben oder weniger, muss die EZB mehr machen oder weniger, sind mehr Reformen notwendig oder weniger, wie hilfreich sind Investitionen? Wir halten es beinahe für sicher, dass nur ein umfassendes Maßnahmenbündel über die mittlere Frist zu mehr Wachstum und weniger Schulden führen kann.

Auch wenn Russlands Präsident Putin immer wieder betont, dass die im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise gegen Russland verhängten Sanktionen sein Land nicht in die Knie zwingen würden, so zeigt sich deren Wirkung aktuell doch sehr deutlich. Auf der einen Seite wertet die russische Währung so stark ab, dass die Notenbank nach massiven Interventionen es inzwischen aufgegeben hat, den Rubel zu stützen. Der Rubel hat in den letzten Monaten gegenüber dem USDollar massiv an Wert verloren. Bezahlte man im Juni noch rund 34 Rubel für einen Dollar, so steht der Kurs aktuell schon bei über 46 Rubel mit weiter steigender Tendenz. Auf der anderen Seite führen die hohe Inflation und die damit verbundenen Leitzinserhöhungen der Notenbank dazu, dass sich das Zinsniveau in Russland deutlich erhöht hat. Zusammen mit einer sehr flachen Zinsstrukturkurve (Rendite 1y: 9,7%; Rendite 10y: 10,1%) hat so eine Situation schon einige Länder in der Eurozone vor kaum lösbare Probleme gestellt. Weitere Brennpunkte bestehen darin, dass sich russische Unternehmen und auch russische Banken aufgrund der Restriktionen des Westens kaum noch am Kapitalmarkt refinanzieren können und somit bei Liquiditäts- und Verschuldungsproblemen auf die Hilfe des Staates angewiesen sein werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die letzte Emission von Gazprom, die eine einjährige Anleihe – länger laufende Anleihen sind aufgrund der Restriktionen nicht möglich – in USD nur mit einem sehr hohen Kupon von 4,3% am Kapitalmarkt platzieren konnten. Nimmt man dann noch den immer weiter fallenden Ölpreis hinzu, der die Einnahmenseite Russlands empfindlich trifft, so es ist nicht verwunderlich, dass sich die russische Wirtschaft stark abschwächt. Dies könnte Präsident Putin am Ende doch dazu zwingen, Entspannungssignale an den Westen zu senden.

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