Allianz | Frankfurt, 08.07.2016.
Auch in der zweiten Woche nach dem Votum hinterließ der britische „Schritt ins Ungewisse“ Spuren an den Weltbörsen.
Während das britische Pfund gegenüber dem US-Dollar auf ein 31- Jahres-Tief fiel – wovon Titel im FTSE 100 wohlgemerkt profitierten – hielt die Flucht der Anleger in „sichere Häfen“ an. Nicht nur US-Treasuries waren von internationalen Investoren gesucht. Renditen auf 50-jährige (!) Schweizer Bundesobligationen und 15-jährige Bundesanleihen rutschten unter die Nullmarke. Mit Japan an der Spitze sind weltweit gegenwärtig Staatsanleihen im Wert von mehr als 9 Billionen US-Dollar – knapp 39% des Staatsanleiheuniversums der Industrieländer – mit einer negativen Rendite behaftet(siehe unsere Grafik der Woche). Es überrascht wenig, dass der verstärkte Negativtrend bei Staatsanleiherenditen die Bundesbank im Juni zum Ankauf längerer Laufzeiten bewegt zu haben scheint, wie die Europäische Zentralbank (EZB) am Montag veröffentlichte. Denn Anleihekäufen unterhalb des EZB-Einlagesatzes von derzeit -0,4% sind ihr im Rahmen des Wertpapierkaufprogramms („QE“) untersagt.
Derweil fragt sich so manch‘ Beobachter: „Alea iacta est?“ – Sind die Würfel tatsächlich schon gefallen? Zumindest dürfte es noch mehrere Monate dauern, bis die Briten tatsächlich formal einen EU-Austrittsantrag stellen. Derzeit befinden sich die Konservativen mit Nachdruck auf der Suche nach einer Cameron-Nachfolge ab September. Derweil signalisierten die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem jüngsten Ratstreffen, dass Verhandlungen nach dem Prinzip der „Rosenpickerei“ fehlangezeigt seien – einen Binnenmarkt „à la carte“, etwa ohne Personenfreizügigkeit, werde es nicht geben.
Darüber hinaus sorgten negative Schlagzeilen zur Situation des italienischen Bankensektors für Skepsis. Umso gespannter dürften Investoren daher die für den 29. Juli anberaumten Ergebnisse des EUweiten Bankenstresstests von Europäischer Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und EZB erwarten, in den insgesamt rund 100 Finanzinstitute einbezogen werden.
Positiv überraschende Konjunkturdaten aus China – die Stimmung der Einkaufsmanager im Dienstleistungssektor kletterte auf den höchsten Stand seit elf Monaten – traten dagegen fast in den Hintergrund.
Angesichts der politischen Wirren auf dem alten Kontinent und im Vorfeld der heutigen Veröffentlichung des USArbeitsmarktberichts – allein die Beendigung des Mai-Streiks sollte den Stellenzuwachs im Juni nach oben getrieben haben – vermochten nur wenige Fundamentaldaten die Märkte zu bewegen.
Unabhängig von politischen Faktoren – wie den Brüsseler Treffen von Eurogruppe (Mo) und EcoFin-Rat (Di) – sollten in der kommenden Börsenwoche drei Treiber dafür sorgen, dass die Karten neu gemischt werden:
1. Berichtssaison für das zweite Quartal: Am Montag läutet der Aluminiumkonzern Alcoa traditionell die US-Berichtssaison ein.
Verglichen mit dem ersten Jahresviertel dürften die Quartalszahlen angesichts der Rohstoffpreiserholung im Rahmen der nach oben revidierten Erwartungen liegen. Dagegen könnte der Vergleich mit dem Vorjahr – noch vor der starken Abwertung des chinesischen Renminbi gegenüber dem US-Dollar und dem erneuten Rohstoffpreisverfall – enttäuschend ausfallen.
2. Konjunkturperspektiven: Spielentscheidend wird sein, ob und in welchem Maße sich in den Frühindikatoren die gestiegene politische Unsicherheit bemerkbar macht. Dies gilt weniger für China, wo die Veröffentlichung von Industrieproduktions- und BIP-Wachstumszahlen (Fr) ansteht. Im Euroraum wiederum dürften die Produktionsdaten für Mai (Mi) zwar zeigen, dass der Konjunkturaufschwung bis an den aktuellen Rand intakt ist. Ab dem dritten Quartal rechnen wir allerdings mit einer (moderaten) Konjunkturabkühlung durch den Brexit-Entscheid. Neben dem Beige Book (Mi), der Konjunktureinschätzung der zwölf regionalen US-Zentralbanken, prasseln am Freitag eine Reihe relevanter US-Konjunkturdaten auf die Märkte ein, darunter die Industrieproduktion und Kapazitätsauslastung, der Einzelhandelsumsatz und die Realeinkommen. Sie sollten unsere Einschätzung einer konjunkturellen Belebung im zweiten Quartal untermauern. Hinweise auf den (zukünftigen) Preisauftrieb liefern neben den Import- und Exportpreisen (Mi) die Erzeugerpreise und die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe (beide Do). Vor dem Hintergrund des im Vergleich zum Jahresbeginn gesunkenen Dollar-Außerwerts hatten sich zuletzt erstmals seit Anfang 2014 wieder Auftriebstendenzen bei den Warenimportpreisen (ohne Ölprodukte) gezeigt. Die Inflation könnte in der zweiten Jahreshälfte überraschen.
3. Aus Notenbankkreisen sind gegenwärtig vor allem beruhigende Worte zu vernehmen. Zwar scheint die Fed im Kern von einer lediglich temporären Schwäche am Arbeitsmarkt auszugehen, ein Zinsschritt noch im Juli ist jedoch unwahrscheinlich. Die Fed-Präsidenten Kashkari (Di) und Harker (Mi) dürften in ihren Reden dementsprechend den Kurs einer graduellen Normalisierung bestätigen. Von besonderem Interesse für Anleger wird die Sitzung der Bank of England (BoE) sein (Do). Ein Stimulus konventioneller (Zinssenkung) oder unkonventioneller („QE“) Natur ist zeitnah wahrscheinlich, wobei die BoE den im August erscheinenden Inflation Report abwarten könnte. Das FPC, der für Finanzstabilität zuständige Ausschuss der BoE, hatte kürzlich bereits regulatorische Vorgaben für Banken gelockert, um der Gefahr von Engpässen bei der Kreditvergabe vorzubeugen. Der antizyklische Kapitalpuffer – ein Aufschlag auf das harte Kernkapital mit dem Ziel, übermäßigem Kreditwachstum entgegenzuwirken – soll bis mindestens Juni 2017 ausgesetzt bleiben, um zusätzlichen Spielraum zur Kreditvergabe von bis zu 150 Mrd. Pfund zu gewährleisten. Auf der anderen Seite des Kanals grassieren dagegen angesichts des Negativrenditeumfelds Sorgen um eine Verknappung des für die EZB erwerbbaren Anleiheuniversums.
Um diesen zu begegnen, dürfte die EZB grundsätzlich technische Lösungen, wie z.B. eine Anpassung des Emissionslimits, vor politischen, etwa einem Aufweichen der Orientierung der Kaufvolumina am Kapitalschlüssel, bevorzugen.
Aus technischer Perspektive sind die Würfel derzeit noch im Fall, denn die überverkaufte Situation hat nachgelassen. Mögen die Würfel in Ihrem Sinne fallen.
Ann-Katrin Petersen
Vice President,
Global Capital Markets &
Thematic Research
Ihre
Ann-Katrin Petersen