Allianz | Frankfurt, 16.12.2016.
Die vorweihnachtliche Gewissheit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Wertpapierkaufprogramm über März 2017 hinaus verlängern wird, verknüpft mit der zügigen Bildung einer Übergangsregierung in Italien, versüßte Investoren an den europäische Aktienmärkten das Warten auf den US-Zinsentscheid. Sowohl der Euro Stoxx 50, der nur knapp sein Jahreshoch von rund 3.268 Zählern verpasste, als auch der DAX, der ein neues Innertages-Jahreshoch bei über 11.300 Punkten markierte, verzeichneten Kurszuwächse. In Japan, wo die Tankan-Umfrage der Bank of Japan (BoJ) erstmals seit Juni letzten Jahres eine aufgehellte Stimmung der Industrie anzeigte, konnte sich der Nikkei 225 zur Wochenmitte zumindest knapp behaupten.
Derweil setzte sich der Jahresendspurt für die (geld-)politischen Entscheidungsträger in dieser Woche fort:
In Italien konzentriert sich der neue Regierungschef Paolo Gentiloni nun auf die Angleichung des Wahlrechts von Abgeordnetenhaus und Senat und auf die Stabilisierung des italienischen Bankensektors.
Nach einjähriger Pause erhöhte die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ihre Leitzinsen um 25 Basispunkte auf eine Bandbreite von 0,50 bis 0,75%. Wichtiger noch die erwartete zinspolitische Straffung selbst aber war, dass die Fed – wohl nicht zuletzt angesichts der keynesianisch anmutenden Wahlversprechen Donald Trumps – die Zinsrute im Jahr 2017 häufiger hervorholen dürfte als erstens noch im September von den Mit-gliedern des US-Offenmarktausschusses (FOMC) erwartet (drei statt zwei Zinsschritte) und als zweitens von den Rentenmärkten eingepreist. Mit Kursverlusten (und spiegelbildlich Renditeaufwärtsdruck) an den US-Anleihemärkten sollte daher weiterhin gerechnet werden.
Beständig rieselt die Notenbankliquidität dagegen in Großbritannien, wo die Bank of England (BoE) keine Kursänderung ankündigte, obwohl die Verbraucherpreise im November so stark anstiegen wie seit zwei Jahren nicht mehr (+1,2% j/j). Haupttreiber dieser Entwicklung ist die kräftige Pfund-Abwertung im Zuge des Brexit-Votums – sie verteuert importierte Güter. Laut einer BoE-Umfrage rechnen die Briten 2017 sogar mit einer Teuerung von durchschnittlich 2,8%, also merklich oberhalb der 2%-Zielmarke. Gouverneur Mark Carney beabsichtigt offenbar, notfalls ei-nen zeitweilig höheren Wert zu tolerieren, um den Aufschwung in ei-nem Umfeld erhöhter politischen Unsicherheit nicht zu gefährden.
Mit einiger Sicherheit wird sich allerdings das geldpolitische Auseinanderdriften dies- und jenseits des Atlantiks fortsetzen – trotz des Einstiegs in den Ausstieg aus der ultra-lockeren Geldpolitik der EZB. Ob es sich bei der geplanten Drosselung des Kauftempos auf 60 Mrd. Euro um ein „Tapering“ handelt, bleibt dabei Ansichtssache. Der transatlantische Spread jedenfalls – die Renditedifferenz zwischen 10-jährigen US-Staatsanleihen und deutschen Bundesanleihen – weitete sich nach der FOMC-Sitzung auf 2,317 Prozentpunkte und damit den höchsten Stand seit April 1989 aus (siehe Grafik der Woche). Dies dürfte den US-Dollar bis auf Weiteres fester tendieren lassen.
In der kommenden Handelswoche wird es wohl geruhsamer zugehen, denn ein dünner Datenkalender verspricht wenig neue Impulse für die Börsen.
In den USA öffnet sich das erste Türchen des Datenkalenders am Montag, wenn der vorläufige Einkaufsmanagerindex für das Dienstleistungsgewerbe bekanntgegeben wird. Insgesamt dürften die Konjunkturindikatoren – darunter auch der Chicago Fed National Activity Index (Do) und Auftragsein-gang langlebiger Wirtschaftsgüter (Do) – die derzeit solide Verfassung der US-Wirtschaft untermauern.
In hoher Erwartung an „Trumponomics“, das Konjunkturprogramm des designierten US-Präsidenten, sind nicht nur die US-Aktienkurse, sondern auch die US-Anleiherenditen und der US-Dollar deutlich nach oben gelaufen. Denn die Fed verfolgt ein duales Mandat aus Preisniveaustabilität und einem hohen Beschäftigungsstand. Zuletzt – und damit ex ante Trump – war die Arbeitslo-senquote sogar unter ihr „inflationsneutrales“ Niveau (NAIRU) gepurzelt, das derzeit auf etwa 4¾% geschätzt wird.
Selbst wenn es Trump schwerfallen dürfte, eine parlamentarische Mehrheit für sein gesamtes schuldenfinanziertes Fiskalpaket zu erhalten, spricht bereits diese Ausgangslage für einen gewachsenen binnenwirtschaftlichen Preis-druck. Dagegen dürfte die ausgeprägte Aufwertung des handelsgewichteten US-Dollars den außenwirtschaftlichen Kostendruck begrenzen. In Summe wäre jedoch die auf der Fed-Sitzung signalisierte anhaltende Normalisierung der US-Geldpolitik folgerichtig, um möglichen Überhitzungserscheinungen der Wirtschaft vorausschauend entgegenzuwirken.
Auf der anderen Seite des Pazifiks wird Japans Notenbank (Di) an ihrem Kurs der „quantitativen und qualitativen Lockerung mit Kontrolle der Renditekurve“ festhalten. Denn die kräftige Yen-Aufwertung seit Jahresbeginn hatte dazu geführt, dass die japanische Wirtschaft nach zwei Jahren steigender Verbraucherpreise wieder in die Deflation gerutscht war. Erst im Oktober kletterte die Inflationsrate wieder in positives Terrain. Ungeachtet des anämischen Wachs-tums sinkt die Arbeitslosenquote zwar auf Trendbasis, was auf mittlere Sicht höhere Lohnforderungen nach sich ziehen dürfte. Das Erreichen der Preisstabilitätsmarke von 2% dürfte für die BoJ jedoch bis auf Weiteres nicht in greifbare Nähe rücken.
Im Euroraum wiederum werden Frühindikatoren wie das ifo-Geschäftsklima für Deutschland (Mo) – zuletzt hatte die Unternehmensstimmung auf dem höchsten Stand seit Frühjahr 2014 gelegen – und das Verbrauchervertrauen für den Euroraum (Mi) sowie der EZB-Wirtschaftsbericht (Do) weiterhin auf eine solide wirtschaftliche Entwicklung hindeuten, trotz des „Nein“ der Italiener zur Verfassungsreform. Denn selbst der Brexit-Entscheid, der unerwartete US-Wahlausgang und die zehnmonatige Suche nach einer neuen spanischen Regierung haben den Stimmungsaufschwung nicht bremsen können.
Apropos Politik: Mit dem nahenden Superwahljahr 2017 in Europa wird sich wohl nahtlos ein erneut spannendes Jahr an den Kapitalmärkten anschließen. In Italien sind Neuwahlen denkbar, dürften aber aufgrund der wahlrechtlichen Hürden frühestens im zweiten Quartal stattfinden. Zum Jahresauftakt, voraussichtlich Mitte Januar, wird zudem das Urteil des Obersten Gerichts Großbritanniens in den Blickpunkt rücken. Dem Parlament könnte ein Mitspracherecht beim Brexit-Fahrplan eingeräumt werden. Hiervon hängt ab, ob sich der ursprüngliche Zeitplan von Premierministerin Theresa May, bereits Ende März den EU-Austrittsantrag zu stellen, verwirklichen lässt – und, ob es zu einem „weichen“ oder „harten“ Brexit kommen wird. Doch seit Kindertagen wissen wir: Selten werden zu Weihnachten sämtliche Wünsche erfüllt.
Hinsichtlich der Aktienmarktperspektiven könnten all diese geld- und geopolitischen Unsicherheitsfaktoren für zwischenzeitliche Dämpfer sorgen. Ihnen gegenüber stehen die positiven Wirkungen eines sich allmählich normalisierenden Zinsumfeldes, einer gemächlichen Verbesserung der globalen Wirtschafsdaten und wieder ansteigender Unternehmensgewinne.
Besinnliche Weihnachtsfeiertage und ein gesundes, erfolgreiches neues Jahr wünscht Ihnen
Ann-Katrin Petersen Vice President, Global Capital Markets & Thematic Research