Allianz | Frankfurt, 09.12.2016.
Das Brexit-Votum, der überraschende Ausgang der USPräsidentschaftswahlen und Renzis Niederlage im Referendum in Italien – aufgrund derer die drittgrößte europäische Volkswirtschaft vorerst weiterhin mit ihrem perfekten Zweikammersystem leben muss, das das Regieren in den vergangenen Jahrzehnten so schwierig gestaltet hat – haben den Anlegern die politischen Risiken verstärkt vor Augen geführt. Die Marktteilnehmer hegen die Sorge, dass sich populistische Anti-Establishment-Bewegungen im Aufwind befinden könnten, was nicht nur (wie im Falle Trumps) die Furcht vor einer Deglobalisierung schüren, sondern sich auch ungünstig auf die Entwicklung der Europäischen Union auswirken könnte. Wenn man jedoch von den politischen Schlagzeilen absieht, ist eine deutliche Verbesserung der Fundamentaldaten in Europa festzustellen. Am Markt wurde zwischenzeitlich sogar darüber spekuliert, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Anleihekaufprogramm im Laufe des Jahres 2017 beenden könnte, da die Fundamentaldaten für den Euroraum – darunter makroökonomische Daten und Unternehmensgewinne
– vielversprechend ausgefallen sind.
Der Markit-Einkaufsmanagerindex, ein Maßstab für das Geschäftsvertrauen, legte im Euroraum im November zu. Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe stieg weiter auf den höchsten Stand seit Anfang 2014 an, und auch der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor lag im November deutlich höher. Zugleich ist die Arbeitslosenquote im Euroraum inzwischen auf unter 10% gefallen, d.h. den niedrigsten Stand seit Juli 2009. Die Kerninflationsrate hat sich in den vergangenen Monaten stabilisiert, und die Gesamtinflationsrate sollte anziehen, zumal der Ölpreis nach der OPECVereinbarung weiter ansteigt. Das Gewinnwachstum europäischer Unternehmen hat sich im dritten Quartal erholt; zum ersten Mal seit vier Quartalen wurde wieder ein Anstieg gegenüber dem Vorquartal verzeichnet.
Trotz der zahlreichen Anzeichen für eine Erholung hat die EZB ihren ultra-lockeren geldpolitischen Kurs noch nicht grundlegend geändert.
Auf seiner Sitzung am Donnerstag beschloss der EZB-Rat vielmehr eine neunmonatige Verlängerung der quantitativen Lockerung (QE), wenngleich bei niedrigerem monatlichen Kauftempo von 60 Mrd. Euro. Insgesamt sind die Argumente für ein „Tapering“ der EZB, d.h. eine kontinuierliche Verringerung der monatlichen Kaufvolumina, im kommenden Jahr überzeugender geworden (vgl. auch die neueste Ausgabe unseres QE Monitor). Wie erwartet hat die EZB darüber hinaus die QE-Parameter angepasst, um auf drohende Knappheiten bei den für Käufe in Frage kommenden Anleihen zu reagieren.
In der kommenden Woche werden am Mittwoch die Oktober-Zahlen für die Industrieproduktion im Euroraum bekanntgegeben. Im September war die Industrieproduktion zwar leicht gesunken, im dritten Quartal insgesamt fiel sie jedoch solide aus. Der Markt rechnet damit, dass sich die im dritten Quartal festzustellende Belebung auch im Oktober fortgesetzt hat. Am Donnerstag folgt der vorläufige Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe im Euroraum für Dezember. Eine Reihe kürzlich veröffentlichter Indexkomponenten, z.B. zu den Auftragseingängen und zu den Produktpreisen, deuten auf eine weitere Konjunkturbeschleunigung hin. Der Markt geht davon aus, dass der vorläufige Index für Dezember oberhalb der Expansions-schwelle verharren wird. Die Dezember-Umfrage des ZEW zu den Konjunkturerwartungen wird am kommenden Dienstag veröffentlicht. Seit dem Brexit haben sich die Umfrageergebnisse fünf Monate in Folge verbessert, und der Index liegt inzwischen wieder nahe dem Vor-Brexit-Niveau. Im Dezember sollte sich dieser positive Trend fortsetzen.
Darüber hinaus tritt der US-Offenmarktausschuss (Federal Open Market Committee, FOMC) zusammen und wird über den US-Leitzins (Fed Funds Rate) entscheiden (Mittwoch). Angesichts des kräftigen BIP-Wachstums im dritten Quartal, des stetigen Anstiegs der Inflati-onsrate, der sinkenden Arbeitslosenquote und der Tatsache, dass seit fünf Quartalen zum ersten Mal ein stärkeres Gewinnwachstum verzeichnet wurde, dürften auch für das an den Daten orientierte FOMC genügend „Daten“ für eine Anhebung der Fed Funds Rate um 25 Basispunkte vorhanden sein. Die US-Einzelhandelsumsätze für November werden ebenfalls in der kommenden Woche bekanntge-geben. Im Oktober fiel der Zuwachs mit 0,8% gegenüber dem Vormo-nat sehr kräftig aus, was unter anderem auf einen kurzfristigen Anstieg nach dem Hurrikan „Matthew“ zurückzuführen ist: Die Hauseigentümer haben ihre beschädigten Häuser wieder instand gesetzt. Für November erwarten die Anleger einen Anstieg um 0,5% gegenüber dem Vormonat, verglichen mit einem Fünf-Jahres-Durchschnitt von 0,3%.
In China werden am kommenden Dienstag Daten zur Industriepro-duktion und zu den Einzelhandelsumsätzen veröffentlicht. Im Oktober stieg die Industrieproduktion um 6,1% an (Prognose: 6,2%), da neue Maßnahmen zur Abkühlung der Immobilienmärkte in Kraft traten. Dennoch haben sich die Immobilieninvestitionen im Oktober weiter erhöht, so dass der Markt auch für November einen Anstieg der Industrieproduktion um 6,1% gegenüber dem Vorjahr erwartet. Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze dürfte sich im November leicht auf 10,1% beschleunigt haben (Oktober: 10,0%). Die Einzelhandelsum-sätze dürften hoch bleiben, zumal die Alibaba Group am „Singles‘ Day“ am 11. November einen Umsatz in Höhe von 17,8 Mrd. US-Dollar (ein Plus von über 30% gegenüber dem Vorjahr) verzeichnete.
Der politische Kalender für 2017 ist in Europa sehr voll. Mitte März stehen in den Niederlanden Parlamentswahlen an, und im April folgen die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Im Herbst finden dann Bundestagswahlen statt. Trotz der Verbesserung der Funda-mentaldaten kann jedes dieser Ereignisse – je nach Wahlausgang – die Märkte kurzfristig verunsichern und so die Volatilität erhöhen. Daher bleibt eine umfassende Diversifizierung über Anlageklassen und Regionen hinweg weiterhin angezeigt.