Allianz | Frankfurt, 07.10.2016.
„Korrektur oder nachhaltiger Renditeanstieg?“
So manches Gerücht hat an der Börse nur eine kurze Verweildauer. Dies galt auch für die „Taper-Träume“, die Europäische Zentralbank (EZB) könne vorzeitig ihren schrittweisen Rückzug aus den Anleihe-märkten ankündigen. Dennoch ist die Debatte über einen Einstieg in den Ausstieg aus der quantitativen Lockerung (QE) entfacht. Zehnjährige Bundesanleihen rentieren inzwischen oberhalb der Nullmarke, wenngleich bei weiterhin ambitionierten Bewertungsniveaus.
Aber nicht nur im Euroraum haben Renditen am langen Ende der Kurve in den vergangenen Wochen einen Anstieg verzeichnet, sondern auch in den USA, in Großbritannien und in Japan. „Temporäre Korrektur oder nachhaltiger Renditeanstieg?“, diese Frage dürfte sich in Anbetracht der Bewegungen an den G4-Rentenmärkten derzeit so mancher Investor stellen.
Insbesondere zwei Faktoren haben zu einer Versteilerung der Rendi-testrukturkurven geführt:
1. Der scheinbar nahende Höhepunkt der weltweiten Liquiditäts-zufuhr: Die Gerüchte über eine Fortsetzung des zinspolitischen Exits (USA) bzw. über eine Drosselung der EZB-Wertpapierkäufe (Euroraum) brodeln. Selbst die von der Bank of Japan anvisierte Renditekurvensteuerung könnte zukünftig zu einem abnehmen-den Staatsanleihekaufvolumen führen. Damit verbunden scheint sich an den Märkten die Gewissheit durchzusetzen, dass die beispiellose Liquiditätszufuhr durch die Zentralbanken seit Ausbruch der Finanzkrise – in den großen fünf Wirtschaftsregionen, also USA, Eurozone, Japan, China, Großbritannien, hat sich die monetä-re Basis in Relation zum Welt-BIP seit 2006 auf 22,5 % verdreifacht– in absehbarer Zukunft ihren Höhepunkt erreicht haben könnte.
2. Die Rückkehr der Inflation: Darüber hinaus nimmt das Bewusst-sein der Marktakteure für einen – ausgehend von niedrigen Ni-veaus – beschleunigten Preisauftrieb zu. In den USA kletterten die Verbraucherpreise im September um 1,5% gegenüber Vorjahr. Dies entspricht der höchste Veränderungsrate seit Oktober 2014. In Großbritannien wiederum verschärft sich das Problem der „importierten Inflation“. Im Zuge des von Theresa May ange-kündigten „harten Brexit“ hatte das Pfund erneut kräftig abgewertet, dies verteuert Einfuhren aus dem Ausland. Vertreter der Bank of England erwarten, dass die britische Inflation im nächsten Jahr über die 2%-Marke schießt. Vor diesem Hintergrund erleben fundamentale Renditetreiber an den Rentenmärkten ihr Comeback. Eine Ausnahme bildet Japan, wo die kräftige Yen-Aufwertung seit Jahresbeginn dazu beigetragen hat, dass die Wirtschaft wieder in die Deflation gerutscht ist, nach zwei Jahren mit steigenden Verbraucherpreisen.
Gegen einen kräftigen Renditeanstieg sprechen jedoch mehrere Aspekte:
1. Die Geldpolitik bleibt ungewöhnlich locker: Ungeachtet eines vermutlich auf der Dezember-Sitzung angekündigten zweiten Zinsschritts bliebe das US-Leitzinsniveau mit einem Zielband für die Fed Funds Rate von 0,5% bis 0,75% außergewöhnlich niedrig.
Die Arbeitsmarktsituation und Verbraucherpreisentwicklung rechtfertigen einen steileren Leitzinserhöhungspfad. Eine Folge der zunehmenden Wechselwirkung von Geld- und Fiskalpolitik?
Auf dem alten Kontinent bestätigte die Ratssitzung am Donnerstag jedenfalls, dass sich die EZB auf dem Sprung zu einer Verlängerung von QE über März 2017 hinaus zu befinden scheint, bei zunächst ungedrosseltem Kauftempo von monatlich 80 Mrd. Euro. Nicht zuletzt hatten die EZB-Notenbanker bereits im vergangenen Dezember angekündigt, den Nennwert auslaufender Staatsanleihen reinvestieren zu wollen. Eine Strategie, die auch die Fed verfolgt, um ein Abschmelzen der Bilanzsumme zu verhindern.
2. Die Rolle des Ölpreises: Zudem ist fraglich, ob den Befürwortern einer länger anhaltenden ultra-expansiven Geldpolitik infolge steigender Verbraucherpreise tatsächlich ein wesentliches Argument verloren geht. Haupttreiber für den jüngsten Inflationsschub waren schließlich die nachlassend dämpfenden Energiepreise, und weniger der binnenwirtschaftliche Kostendruck. So hinkt die Lohnentwicklung zwar weniger in den USA hinterher, aber im Euroraum und in Japan, so dass die Tokioter Regierung kürzlich den Mindestlohn erhöhte. Bei den Oktober- Inflationszahlen für Deutschland, Frankreich und Spanien (Fr) dürften vor allem sog. Basiseffekte für Auftrieb sorgen. Dagegen wird in der Kerninflationsrate voraussichtlich erneut kein erkennbarer Aufwärtstrend zu erkennen sein.
Fazit: Die Staatsanleihemärkte bleiben rückschlaggefährdet. Gleichzeitig bleibt das strukturelle Niedrigzinsumfeld erhalten.
Gemischte Signale sendet auch die politische Gemengelage. Insbesondere die am 8. November bevorstehende US-Präsidentschaftswahl sorgt für Gesprächsstoff. Angesichts der Vielzahl an Unsicherheiten werden die Börsen weiterhin nach Orientierung suchen – Schwankungen inbegriffen. Nur gut, dass in der kommenden Woche neben der Gewinnberichtssaison eine Reihe von Konjunkturindikatoren für Bodenhaftung sorgen könnten.
Das Brexit-Referendum dürfte im dritten Quartal 2016 nur vereinzelt Spuren in der Wirtschaftsleistung Großbritanniens (Do) und seiner kontinentaleuropäischen Nachbarn Spanien und Österreich (Fr) hinterlassen haben. Da die erwartete Normalisierung der Lagerinvestitionen bislang ausgeblieben ist, könnte das USWirtschaftswachstum( Fr) dagegen enttäuschend ausgefallen sein.
Frühindikatoren wie die Stimmung der Einkaufsmanager in den USA und einer Reihe von europäischen Ländern (Mo, Mi) sollten in der Summe untermauern, dass sich die zögerliche Kräftigung der Weltkonjunktur im Schlussquartal 2016 fortsetzt.
Mit Blick auf die beiden größten Volkswirtschaften spricht in den USA der anhaltend starke Beschäftigungsaufbau für eine weiterhin intakte konjunkturelle Aufwärtstendenz, während in China die – durchaus mit Skepsis zu betrachtenden – wirtschaftspolitischen Interventionen für ein robustes Expansionstempo oberhalb von 6 % sorgen.
Bleiben Sie auf dem Boden der Tatsachen, meint Ihre
Ann-Katrin Petersen