Das Investment: Oktober-Timing: Crash nun der Börsenmarkt?

sjb_werbung_das_investment_300_200 SJB | Korschenbroich, 06.11.2014. Erfolg einzelner Investmentideen ist nur mehr oder weniger wahrscheinlich und niemals sicher. Georg Graf von Wallwitz über den Wandel des Börsenmarktes und die Veränderung der Investitionstrategien.

Die Börse lebt mit den Jahreszeiten, nicht weniger als die Landwirtschaft. Sie hat ihre Bauernregeln („Sell in May and go away“), ihre gute Zeit (November bis April) und ihre Crash-Monate (September und Oktober)

. Man sollte die Analogie nicht überstrapazieren („Der dümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln“), aber an einer Stelle ist sie profund und unübersehbar: Bauern und Börsianer versuchen sich in der Kunst der Vorhersage.

Die Zeitungen entdecken zum Jahresende alte Bauern aus irgendwelchen Pfaffenwinkeln, welche die Fähigkeit besitzen, das Wetter im kommenden Jahr vorauszusagen. Und sie befragen die Analysten der bedeutenden Handelshäuser, wo Dax und Dow am Ende des nächsten Jahres stehen werden.

Die Analysten antworten meistens, die Aktien würden 7 Prozent steigen, denn das ist der Durchschnittswert über die letzten 60 oder 120 Jahre, je nachdem, wie viele Kriege dazwischen gekommen sind. Damit liegen sie fast immer falsch.

Es ist äußerst selten, dass etwa der Dax in einem gegebenen Jahr auch nur ungefähr 7 Prozent zulegt (plusminus 3 Prozent, um diesen Mittelwert lag er seit 1980 nur in vier von 34 Jahren (und wenn man die Jahre von erstem Quartal zu erstem Quartal rechnet, sogar nur einmal)).

Aktionäre sind emotional und lieben deutliche Verluste oder satte Gewinne. Der Durchschnitt, auf dem sich langfristig die Entwicklung einpendeln mag, langweilt sie.

So legen die Gurus fast immer falsch und es sollte eigentlich verboten sein, Kursziele auszugeben ohne dabei eine Narrenkappe zu tragen. Börsenpropheten geben vor, Emotionen zu berechnen und eine Meinung zu haben zu etwas, das man nicht wissen kann.

Und dennoch nimmt die Nachfrage nach Prophetie nicht ab, denn es ist verlockend und profitabel, vor einer gutgläubigen Zuhörerschaft zu behaupten, man habe ein besonderes Wissen.

Der Ausgabe von Kurszielen liegt dabei etwa folgende Idee zu Grunde: Man kaufe Wertpapiere wenn die Stimmung schlecht ist und die Kurse im Keller (das heißt unterhalb der Prognose) sind.

Und man verkaufe, wenn die Stimmung gut und die Kurse hoch sind. Ist es zu viel verlangt, jemanden, der sich tagein tagaus mit diesem Thema beschäftigt, zu befragen, wie es aktuell um Stimmung und Kurse bestellt ist? „Nein“, antwortet der Analyst, denn er will seinen Job behalten, und nennt seine 7 Prozent als Kursziel.

Investieren mit der besten Prognose

Der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, hat, wenn er nicht gerade mit der Finanzierung der britischen Kriegsanstrengungen oder mit dem Entwurf großer Theorien beschäftigt war, sein Geld damit verdient, für seine Universität, für einige Versicherungen und für Freunde und Verwandte Geld anzulegen.

Da er sich durchaus bewusst war, der größte Ökonom zu sein, war es nur folgerichtig, dass er seine Anlagen nach seiner Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung ausrichtete: Wenn die Stimmung schlechter war als die Lage, kaufte er (insbesondere Rohstoffe und Aktien), und im umgekehrten Fall verkaufte er.

Wer die Wirtschaft am besten versteht, kann auch die künftige Entwicklung der Aktienkurse am besten vorhersagen. Denn von was anderem, als der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung sollten Aktien- und Rohstoffkurse abhängen? Die Vergangenheit ist an der Börse ein vollkommen toter Hund.

Viele Jahre mühte sich Keynes mit dieser Strategie, erzielte aber nur durchwachsene Ergebnisse. Allzu oft gingen seine Rohstoffspekulationen derart schief, dass er zwischenzeitlich fast sein ganzes Kapital verlor.

In der Weltwirtschaftskrise zu Anfang der 1930er-Jahre verlor Keynes auch das Vertrauen in die Vorhersagekraft der Wirtschaftswissenschaft. Kaum jemand hatte die Krise vorhergesehen, und niemand hatte sich ihr Ausmaß vorstellen können.

Keynes hatte eine für einen Professor erstaunliche Eigenschaft: Er konnte seine Meinung ändern, wenn sie sich in der Praxis nicht bewährte. Also verzichtete er auf Vorhersagen. Diese gaben an der Börse offensichtlich nur eine gefühlte Sicherheit, die in der Wirklichkeit keinen Bestand hatte.

Wie aber investiert man prognosefrei? Man investiert in eine Assetklasse, die je nach Risikoappetit und -tragfähigkeit die höchste Rendite bringt. Man diversifiziert, denn der Erfolg einzelner Investmentideen ist nur mehr oder weniger wahrscheinlich, niemals sicher. Und man hält den Ideen, von denen man sich einmal überzeugt hat, in der Regel die Treue.

In Keynes Fall bedeutete dies konkret, dass er Aktien von Unternehmen kaufte (was an sich schon für Universitäten und Versicherungen ungewöhnlich war), von deren Geschäftsmodell er langfristig überzeugt war und deren Management er für seriös hielt.

Diese Aktien hielt er dauerhaft und vertraute darauf, dass die Gewinne, die von diesen Unternehmen erwirtschaftet wurden, langfristig für steigende Kurse sorgen würden. Kurzfristige Marktschwankungen ignorierte er.

Der Erfolg war ganz erheblich. Keynes kaufte amerikanische Aktien in den Jahren 1932/33 für einen Spottpreis (Der Dow Jones Index hatte zeitweise 90 Prozent seines Werts verloren) und erwirtschaftete phänomenale Renditen, indem er einfach nichts tat, so lange sich in den Firmen nichts Wesentliches änderte.

Er tat, was Warren Buffett später so hübsch formulierte: „Our preferred holding period is: Forever.“ Man sagt immer, diesen Zeithorizont könne sich nur die Kirche leisten, aber wir Sterblichen können wenigstens nach dem Unendlichen streben, wenn wir es schon nicht erreichen.

Keynes’ Investmentstil kam nicht nur der billige Einstiegskurs und das Vermeiden von Panikreaktionen zu Gute, sondern auch die für den menschlichen Verstand kaum zu greifende Macht des Zinseszinseffekts.

Im letzten Börsenblatt hatten wir bereits darauf aufmerksam gemacht, dass selbst wenn man immer zum schlechtesten Zeitpunkt investiert, dies noch immer wesentlich besser ist, als den Markt zu verlassen und auf das Investieren zu verzichten.

Sobald Keynes nicht mehr versuchte, das Auf und Ab des Markts zu prognostizieren und nur noch selten seine Meinung änderte, war und blieb er in soliden Unternehmen investiert, die langfristig das beste Ergebnis brachten – so lange man sie nur hatte.

Der kleine Crash im Oktober

Dabei soll niemand glauben, es sei einfach, eine Investition an der Börse langfristig durchzuhalten. Kauft man eine Immobilie oder ein ganzes Unternehmen, so ist dies deutlich einfacher, denn man sieht nicht täglich einen Preis und man hat auch gar nicht die Möglichkeit, schnell zu reagieren.

Wo soll von einem auf den anderen Tag ein Käufer herkommen? An der Börse hingegen sind die Märkte liquide und man kann immer etwas machen. Nicht zu Handeln kommt dabei dem Eingeständnis gleich, nicht zu wissen, was zu tun ist. Und wer gibt sich (und als Fondsmanager: seinen Investoren) schon gerne zu, nicht zu wissen, wie es weiter geht. Im Oktober ist der Dax von 9.475 Punkten auf unter 8.400 gefallen (minus 11 Prozent). Er hätte gut auch auf 8.000 fallen können und darunter.

Er hat aber über 9.300 geschlossen. Aber wer wusste das schon? In einer solchen Situation ist es das einzig Richtige, sich (und den Investoren) das Nichtwissen einzugestehen und das einzig Rationale in einer irrationalen Situation zu tun: Nichts.

Wenn die Erde bebt, vertraut man am besten auf das einzig Sichere: den Zinseszinseffekt. Denn allein dieser kann den Investor ernähren.

Erst als der brillanteste Ökonom die Grenzen seiner Möglichkeiten begriffen hatte, wurde er auch zu einem brillanten Investor. Das war sein einfacher Trick, der in einem von Besserwissern geprägten Milieu bis heute extrem schwer nachzuahmen ist.

Von: Georg Graf von Wallwitz

Quelle: DAS INVESTMENT.

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