SJB | Korschenbroich, 06.02.2015. Der Absturz des Ölpreises zwingt viele Ölunternehmen zu drastischen Sparmaßnahmen. Der Handlungsdruck ist groß – ebenso die Unsicherheit darüber, wie es weiter gehen wird. Ob Ölaktien in diesem Umfeld ein interessantes Investment sein können, darüber gehen auch unter Fondsmanagern die Meinungen weit auseinander.
Ölaktien sind im vergangenen halben Jahr stark unter die Räder gekommen. Der Branchenindex DJ Oil & Gas Titans 30 hat seit Mitte 2014 fast ein Viertel an Wert eingebüßt, der breiter aufgestellte MSCI World Energy sogar etwa ein Drittel. Auf den ersten Blick nicht verwunderlich, ist doch der Ölpreis im gleichen Zeitraum um mehr als die Hälfte abgeschmiert.
Ein etwas genauerer Blick auf die Indexmitglieder zeigt, dass einige von ihnen sich im vergangenen halben Jahr auf Euro-Basis deutlich besser als der Rest geschlagen haben. Dies trifft vor allem auf US-Gesellschaften wie Exxon Mobil zu, die – dem starken Dollar sei Dank – ihren Börsenwert bis dato sogar um etwa 10 Prozent steigern konnte. In Europa stehen durchweg Verluste zu Buche. Besonders hart hat es die Aktien von Statoil und Lukoil getroffen. Sie verloren im vergangenen halben Jahr in der Spitze bis zu 40 beziehungsweise. 33 Prozent. Beide Firmen kürzen nun in großem Stil Investitionen in die Erschließung neuer Ölfelder und entlassen Mitarbeiter. Scheinbar finden die Ankündigungen Gefallen bei vielen Investoren. In den vergangenen Wochen zogen europäische Ölaktien wieder stark an.
Trotzdem macht sich Lukoil-Chef Vagit Alekperov auf das Schlimmste gefasst, nämlich einen seiner Meinung nach bis auf 25 Dollar abrutschenden Ölpreis. Ganz anders Claudio Descalzi: Der ENI-Boss hat jüngst davor gewarnt, Investitionen zu stark zurückzufahren. Andernfalls könne der Preis für ein Barrel Öl mittelfristig bis auf 200 Dollar steigen.
Kein Wunder, dass bei einer derartigen Bandbreite die Meinungen auch unter den Fondsmanagern weit auseinander gehen. Einige, wie Max Otte, BWL-Professor und Manager des PI Global Value Fund, sehen den Ölpreis langfristig wieder steigen und in der aktuellen Situation gute Kaufgelegenheiten für Ölaktien. Andere halten den Einstieg für verfrüht, weil sie weiter mit niedrigen Ölpreisen rechnen. So auch Niall Gallagher, Manager des GAM Star European Equity. Er glaubt, dass die Opec den Ölpreis im Konkurrenzkampf mit den US-Anbietern von Fracking-Öl durch eine Ausweitung der Fördermenge für eine längere Zeit niedrig halten kann.
PRO. Max Otte: “Ölaktien sind ein phantastisches konträres Investment.”
Max Otte, Manager des PI Global Value China korrigiert die Wachstumsprognosen deutlich nach unten, Europa droht, in der Deflation zu versinken und die Stimmung in der Welt ist insgesamt schlecht. Ölaktien hat es – wie andere Rohstofftitel – kräftig nach unten geprügelt. Es ist daher kein Wunder, dass die Stimmung im Sektor miserabel ist.
Der Ölpreis – in der maßgeblichen Währung US-Dollar gerechnet – liegt 20 Prozent unter dem Niveau des Jahres 2000. Europäische Ölaktien wie die französische Total notieren auf dem Niveau des Jahres 2000. Der Kurs von Statoil aus Norwegen hat sich in Summe seit dem Jahr 2005 nicht bewegt und die österreichische OMV notiert auf dem Niveau von Ende 2004. Amerikanische Aktien tun sich da – in Euro – etwas besser: Conoco Philips ist seit 2005 immerhin um 30 Prozent gestiegen, Marktführer Exxon Mobil sogar um 60 Prozent.
Der Fracking-Boom in den USA und die massive Produktion in Saudi-Arabien tun ihr Übriges, um die Kurse von Ölwerten niedrig zu halten. Bedeutet das also das Ende des Zeitalters für Ölaktien? Mitnichten!
Zunächst einmal sind Rohstoffmärkte immer zyklisch und auch immer politisch. Derzeit will Amerika seine Gegner Russland, Venezuela und den Iran mit billigem Öl in die Knie zwingen. Einen Teilerfolg hat man schon erzielt. Auf Druck amerikanischer Senatoren legte Bulgarien den Bau der für Europa wichtigen South-Stream-Pipeline auf Eis. Die Europäische Union zog nach, und vor einigen Wochen gab Putin auf. Das Öl erreicht Europa nun über den Umweg Türkei – ein geschickter Schachzug Europas.
Öl stand in der Geschichte schon mehrmals über 100 Dollar. Zum ersten Mal in den 1860er Jahren, als es in Pennsylvanien den ersten Öl-Boom gab – der, mit dem Rockefeller reich wurde. Dann Ende der 70er Jahre während der Revolution im Iran, Mitte der 2000er Jahre und jüngst beim sogenannten Arabischen Frühlings, der für mich eher der Beginn eines dunklen Zeitalters in Arabien war. Mittlerweile notiert das Barrel Öl deutlich unter 50 Dollar.
In dieser Situation können sich Ölaktien als phantastische konträre Investments lohnen. Kaum einer von uns erwartet, dass Öl in den nächsten Jahrzehnten überflüssig wird. Bei Ölpreisen unter 80 Dollar machen viele Anbieter von Fracking-Öl oder Öl, welches aus Schiefersanden gewonnen wird, Verlust. Sie müssen über kurz oder lang ihre Förderung einstellen. Damit verknappt sich das Angebot und die Preise steigen wieder.
Zwischen 1880 und 1980 war der Ölpreis relativ stabil und schwankte meist zwischen 15 und 20 Dollar. In der Spitze ging es auch mal rauf, um 1900 und gegen Ende des Ersten Weltkriegs bis auf 40 Dollar. Ende der 60er Jahre war der Ölpreis dagegen unnatürlich niedrig. Es lässt sich nicht genau festmachen, wo heute ein fairer Ölpreis läge, aber irgendwo zwischen 70 und 90 Dollar sollte es sein.
Alleine die Tatsache, dass teure Vorkommen über 80 Dollar Förderkosten in der Vergangenheit interessant waren zeigt, dass die billigen Vorkommen langsam ausgebeutet sind und dass die Förderkosten immer weiter steigen. Das alleine ist eine natürliche Untergrenze für den Ölpreis.
Bei Statoil gibt es 5,5 Prozent Dividende, bei Total 5,7 Prozent und bei der OMV sind es 5,6 Prozent. Die Kurse sind auf langjährigen Tiefständen angelangt. Diese Unternehmen haben Reserven. Wir werden auch in der Zukunft Autos fahren und Öl verbrauchen. Kann es krisensichere Investments geben? Diese Aktien sind nahezu „unkaputtbar“. Dabei ist mir egal, ob Ölaktien morgen, in einem Jahr oder in zwei Jahren drehen. Die Dividende entschädigt mich für das Warten. Und wenn die Kurse anfangen zu steigen, freue ich mich richtig.
CONTRA. Niall Gallagher: “Weiter sinkende Margen können eine Negativspirale in Gang setzten.”
Niall Gallagher, Manager des GAM Star European Equities. Der rapide Verfall des Ölpreises zum Jahresende 2014 hat die Ölförderer hart getroffen und ihre Gewinnmargen dahinschmelzen lassen. Die Leidtragenden sitzen nicht nur in Russland oder Venezuela, sondern auch in Europa. Dort sind mit Royal Dutch Shell, BP und Total drei der fünf größten Ölkonzerne der Welt beheimatet. Weiter gehören auch der norwegische Staatskonzern Statoil und ENI aus Italien zu den Schwergewichten. Das niedrige Preisniveau von aktuell unter 60 US-Dollar pro Barrel Rohöl der Sorte Brent ist allerdings nicht nur kurzfristig ein Problem: Es offenbart auch die strukturellen Herausforderungen, vor denen die integrierten europäischen Ölkonzerne stehen. Denn es sprechen schon länger einige Gründe dafür, dem Sektor mit einiger Skepsis zu begegnen.
Mit sinkenden Fördermengen hatten viele Unternehmen bereits vor dem aktuellen Preisverfall zu kämpfen. Sie haben zwischen Mitte 2011 und Mitte 2014 in der Phase hoher Ölpreise von über 100 US-Dollar pro Barrel umfangreich in neue Kapazitäten investiert. Die neuen Projekte sind jedoch im Vergleich zu älteren Anlagen technisch komplexer und verursachen höhere Förderkosten. Derzeit sind die meisten europäischen Ölunternehmen nicht in der Lage, über den gesamten Marktzyklus Werte für ihre Anteilseigner zu schaffen.
Für einen großen Teil der Produzenten, darunter auch Royal Dutch Shell und Total, liegt die Schwelle bei einem Brent-Preis von mehr als 105 US-Dollar pro Barrel. Einige wenige Ausnahmen, etwa die britische BG Group mit ihren Anlagen in Brasilien, unterhalten Projekte mit strukturell geringeren Kosten. Doch auch sie benötigen Mindestpreise von durchschnittlich 80 US-Dollar pro Barrel, um rentabel zu sein. Da die erwarteten Ölpreise allerdings bis 2018 unter dieser Schwelle bleiben werden, dürften viele Firmen nun unter Druck geraten.
Dies umso mehr, als dass die Investitionsrenditen in vielen Fällen schon seit längerem unter die Kapitalkosten gefallen sind. In der Folge schütten die meisten Unternehmen – darunter Royal Dutch Shell, Total, BP oder ENI – Dividenden aus, die die freien Cashflows übersteigen. Sinkende Margen könnten nun die Bilanzen in Schieflage bringen und eine Negativspirale in Gang setzen: Die bisherigen Bonitäts-Ratings von Firmen, die zunehmend auf Fremdfinanzierung angewiesen sind, geraten in Gefahr. Schlechtere Ratings wiederum können höhere Refinanzierungskosten nach sich ziehen und die Kapitalkosten weiter erhöhen. Aus dieser Lage können sich die Unternehmen nur befreien, indem sie ihr Wachstum verlangsamen, Explorationsbudgets einschränken, Investitionen zurückfahren und unprofitable Unternehmensteile abstoßen – und nicht zuletzt auch die Ausschüttungen an die Aktionäre einschränken.
Auf steigende Ölpreise darf der Sektor dabei vorerst nicht hoffen. Denn an den Ursachen des Preisverfalls – einem gestiegenen Angebot, vor allem aufgrund des Schieferölbooms in Nordamerika, und schwächerer Nachfrage aus China und Europa – wird sich so schnell kaum etwas ändern. 2015 dürfte das weltweite Angebot an Rohöl auf 93 Millionen Barrel pro Tag steigen, während die weltweite Nachfrage mit 92 Millionen Barrel hinterherhinkt. Dieses Überangebot hilft, die Lager zu füllen, und dürfte die Preise für mindestens ein Jahr auf niedrigem Niveau halten.
Eine Wende könnte einzig eine starke Verknappung des Angebots bringen – etwa durch massive Investitionskürzungen und Produktionsdrosselung seitens der Öl-Unternehmen, oder durch eine Störung der Lieferkette. Doch bis Entscheidungen auf der Unternehmensebene in der Produktion ankommen, dauert es in der Regel neun bis zwölf Monate. Investoren sollten auch nicht vergessen, dass sich Saudi-Arabien entschieden hat, den Ölpreisverfall zuzulassen, um die Expansion der Schieferölbranche in Nordamerika zu bremsen. Sie sollten daher mit Blick auf steigende Ölpreise nicht auf den krisenbedingten Ausfall eines anderen Förderlandes hoffen. Sollte etwa Venezuela oder eines der Exportländer im Nahen Osten in eine Krise geraten, wäre Saudi-Arabien in der Lage, die Produktion kurzfristig von 10 auf 13 Millionen Barrel pro Tag zu erhöhen. Erleichterung für die europäische Ölbranche ist daher fürs Erste nicht in Sicht.
Aktuelle Hintergrundartikel zum Thema: Riesige globale Umverteilung (Wirtschaftswoche Online vom 25. Januar) Das Märchen von der großen Ölpreisverschwörung (Welt Online vom 24. Januar) Ölaktien: Jetzt schon einsteigen? (ARD Online vom 21. Januar)
Von: Carsten Krüger
Quelle: DAS INVESTMENT.