Er hat in der Eurokrise den Euro gerettet und die europäische Zentralbank zu einer wichtigen wirtschaftspolitischen Instanz gemacht, doch nun ist es still um Mario Draghi. Was der EZB-Chef geleistet hat und wo er an die Grenzen geldpolitischer Maßnahmen gestoßen ist, erklärt Marc-Oliver Lux, Geschäftsführer der Dr. Lux & Präuner Vermögensverwaltung.
Seit der letzten Notenbanksitzung im Dezember hört man wenig aus den heiligen Hallen der Europäischen Zentralbank, zumal der eine oder andere Börsianer auf Beistand der Notenbanker hofft, um die Kursturbulenzen an den Aktienmärkten zu mildern. Die Zurückhaltung der EZB mag aber vielleicht einen besonderen Grund haben: Mario Draghi, der EZB-Chef und große Marktversteher, hat sich verkalkuliert.
Bewusst oder unbewusst hat er bis Dezember Erwartungen geschürt, die er nicht erfüllen konnte. Trotz Aufstockung des Programms zum Ankauf von Anleihen (QE) auf insgesamt 1,5 Billionen Euro, trotz Erhöhung des negativen Einlagenzinses, waren die Marktteilnehmer nicht zufrieden. Statt zu fallen, schoss der Euro um fast fünf Cent in die Höhe.
Nun mag man argumentieren, es sei nicht die Aufgabe der Geldpolitik, Anleger zu beglücken. Aber es war Draghi, der mit der Einführung der „forward guidance“ die Märkte an die Hand nehmen, ihnen möglichst exakt eine Orientierung über die künftige Ausrichtung der Geldpolitik geben wollte. Es war Draghi, der sich den Ruf erarbeitet hatte, eine Art Magier der Märkte zu sein. Doch dieses Mal ist er mit seinem Erwartungsmanagement – nicht nur aus Draghis Sicht eine Schlüsselqualifikation von Notenbankern – grandios gescheitert.
Draghis Strategie, den EZB-Rat mit unabgesprochenen Ankündigungen vor vollendete Tatsachen zu stellen, geht nicht mehr auf. Diese Strategie funktionierte bei seiner legendären Londoner Rede („whatever it takes“) – einer Art Bestandsgarantie für den Euro. Wenige Monate später konnte der Rat kaum anders, als dem großen Versprechen große Taten folgen zu lassen. Das grenzenlose Ankaufprogramm (OMT) war geboren.
Noch spektakulärer funktionierte diese Strategie bei seiner abermals unabgesprochenen Ankündigung im Herbst 2014, die EZB-Bilanzsumme um eine Billion Euro anzuheben. Jeder wusste, das bedeutet Quantitative Easing. Tatsächlich begann die EZB im März letzten Jahres mit dem massiven Ankauf von Staatsanleihen nach dem Vorbild der US-Notenbank. Doch die Methode Draghi, weitreichende Entscheidungen der Notenbank allenfalls mit engsten Vertrauten, seinem „Küchenkabinett“, zu entwickeln und vom Rat lediglich absegnen zu lassen, sorgt zunehmend für Unmut.
Weitaus tragischer als die Skepsis seiner Ratskollegen allerdings ist die Tatsache, dass er auch mit seiner Geldpolitik zunehmend an Grenzen stößt. Die Bilanzsumme der Notenbank wird mit der jetzt beschlossenen Verlängerung des QE-Programms voraussichtlich auf die sagenhafte Summe von 3,6 Billionen Euro steigen. Das wäre mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone. Nicht einmal die USA, deren Geldpolitik traditionell forscher ist als die europäische, kam jemals auf solche Werte.
Mit all seinen spektakulären Aktionen hat Draghi es jedoch nicht vermocht, die Inflation auch nur in die Nähe des EZB-Zielwerts von knapp zwei Prozent zu bringen, geschweige denn einen sich selbst tragenden Aufschwung in Gang zu setzen. Die ökonomischen Risiken einer Geldpolitik, die es sich zum Ziel gesetzt hat, mit aller Macht den Preis des Geldes langfristig bei null zu halten oder sogar darunter zu drücken, sind hinlänglich bekannt: falsche Anreize für Politik und Unternehmen, Banken, die als Zombies künstlich am Leben erhalten werden, die Bildung von Blasen an den Finanzmärkten, deren Platzen die nächste, noch größere Krise auslösen könnte.
Unsere Einschätzung: Die Hälfte seiner achtjährigen Amtszeit hat Mario Draghi gerade hinter sich und schon heute hat er sich einen Platz in den Geschichtsbüchern der EZB gesichert. Er trat in der Hochphase der Eurokrise an. Mit Kreativität und Tatendrang hat er den Euro gerettet und die europäische Zentralbank zur wichtigsten wirtschaftspolitischen Instanz des Kontinents gemacht, während die Politik angesichts der gewaltigen Probleme erstarrte. Seitdem hat er jedoch den Krisen- und Notfallmodus nicht mehr verlassen, so als könnte er die Gesundung der lahmenden europäischen Volkswirtschaften erzwingen. Doch es gibt keine Korrelation zwischen der Größe der Notenbankbilanz und dem Wirtschaftswachstum. Die Marktreaktion auf die Beschlüsse der letzten Notenbanksitzung zeigen: Der Glaube an die Kraft des Magiers schwindet. Der Magier wirkt zunehmend entzaubert.
Von: Marc-Oliver Lux
Quelle: DAS INVESTMENT.