SJB | Korschenbroich, 02.10.2015. Erst glaubte der Markt an eine Zinserhöhung im September, dann mehrten sich die Zweifel, nun steht fest: Die Notenbank traut sich nicht. Zur Begründung verweist die Fed auf niedrige Inflation, Probleme in China und fragile Finanzmärkte. Nach dieser Logik könnte sie 2016 eher Negativzinsen einführen, als dass sie die Zinsen erhöht.
Es war das Non-Event des Jahres 2015: Monatelang wurde gerätselt, wie wahrscheinlich eine Zinserhöhung durch die Federal Reserve ist. Am Ende behielten die Zweifler recht: Außer Spekulationen nix gewesen! Die Notenbank beließ den Leitzins, zu dem sich die Geschäftsbanken bei ihr Geld leihen können, im September in der Spanne von 0 bis 0,25 Prozent.
Blick über den US-Tellerrand ist neu
Aufhorchen ließ die Begründung für den Entscheid: Erstmals führte die Federal Reserve die wirtschaftliche Schwäche in China und den Schwellenländern als Argument ins Feld. Dieser Blick über den Tellerrand der US-Grenzen hat viele Beobachter erstaunt. Letztlich aber ist Amerika von den dortigen Entwicklungen unmittelbar betroffen – und zwar über die Inflation, die derzeit bei extrem geringen 0,2 Prozent liegt und ausdrücklich als Grund dafür genannt wurde, dass die Zinsen auf dem bisherigen Stand bleiben.
China: Unsere Währung ist euer Problem
Hier kommt China ins Spiel. Die Konjunktur im Reich der Mitte ist bekanntlich ins Stocken geraten – dafür sind deutlich gestiegene Löhne und die wegen der Anbindung an den US-Dollar zu starke Währung verantwortlich. Peking versucht nun, den Renminbi kontrolliert abzuwerten, um wettbewerbsfähiger zu werden. Doch damit erhöht der weltgrößte Exporteur den deflationären Druck auf die Industrieländer, gegen den sich deren Notenbanken mit aller Kraft stemmen. Denkt man sich vor diesem Hintergrund den Renminbi weitere 10 bis 20 Prozent günstiger, stellt sich die Frage: Wie niedrig bzw. negativ werden die Teuerungsraten in den USA und Europa dann sein?
Angst vor stärkerem Dollar und sinkenden Importpreisen
Die Währungshüter in den USA wissen sehr genau um diese Zusammenhänge: Hätten sie jetzt die Zinsen erhöht, würde nicht nur Kapital in die USA fließen und den Dollar im Wert weiter steigen lassen. Auch würden die Importpreise und damit die ohnehin zu niedrige Inflationsrate erneut sinken. Wir glauben daher, dass die Fed die Zinsen erst anheben wird, wenn die Teuerung spürbar anzieht. Da dies unter dem deflationären Druck durch China und andere Schwellenländer aber unwahrscheinlich ist, dürfte die nächste Zinserhöhung weiter entfernt sein, als viele glauben. Noch mehr: Verschärft sich das Problem, könnte die bedeutendste Notenbank der Welt sogar Negativzinsen einführen!
Erster Notenbanker votiert für negative Leitzinsen
Wer das für Unsinn hält, sollte wissen: Bei der jüngsten Sitzung hat eines der zehn stimmberechtigten Fed-Mitglieder für einen negativen Zins von minus 0,125 Prozent für 2015 und 2016 votiert – es war das allererste Mal in der Geschichte der Fed, dass negative Zinsen in Erwägung gezogen wurden. In der Pressekonferenz darauf angesprochen, antwortete Yellen, dass nominal negative Zinsen für die Fed als Ganzes momentan „kein Thema“ sind. Verfestigen sich die deflationären Tendenzen in den USA, könnte sich das jedoch ändern – schließlich besteht der wirtschaftliche Alptraum der Amerikaner nicht in zu viel, sondern zu wenig Inflation! Bei einer Teuerungsrate von minus ein bis zwei Prozent könnte die Fed negative Zinsen durchaus zum Thema machen …
Von: Stephan Albrech
Quelle: DAS INVESTMENT.