Das Investment: „Anders als die breite Masse“: Wie der Templeton Growth vom Exoten zum Mythos wurde

sjb_werbung_das_investment_300_200 SJB | Korschenbroich, 04.12.2014. Am 29. November wurde der Templeton Growth 60 Jahre alt. Zeit, zurückzublicken auf die Anfänge, echte Börsenweisheiten, einen legendären Anlegerbrief und scheinbar erfolglose Manager.

Damit hat der Journalist ganz sicher nicht gerechnet. Schließlich fragt er einen der bekanntesten Aktieninvestoren der Welt nach interessanten Tipps. Und man schreibt doch den März des Jahres 2000, Aktien sind das Einzige, was geht.

Genau genommen Hightech-Aktien, die sich im Wert vervielfacht haben und es doch noch weiter tun werden. Erlaubt sich dieser John Templeton gerade einen schlechten Scherz?

Doch der sagt tatsächlich das, was der Reporter des Magazins „Equities“ nicht erwartet: „Sagen Sie Ihren Lesern, sie sollen Anleihen kaufen.“

Er kann dem Journalisten ja schlecht sagen, was er gerade mit seinem eigenen Geld tut: Dass er mit 185 Millionen Dollar bei 84 Technologie-Aktien auf fallende Kurse wettet. So eine spekulative Sache kann er schwerlich den „Equities“-Lesern empfehlen. Mit fremdem Geld ist Templeton immer vorsichtiger als mit seinem eigenen.

Riesengewinn mit fallenden Kursen

Die „Equities“-Leser hätten gut daran getan, seinem Ratschlag zu folgen. Denn die allseits geliebten Hightech-Aktien erleben in den drei folgenden Jahren einen der schlimmsten Crashs der Börsengeschichte. Und Templeton fährt 90 Millionen Dollar Gewinn ein.

Wenn man die hervorragendste Eigenschaft des Investors John Templeton beschreiben sollte, dann ist es wohl die, sich aus Euphorie-Phasen und Aktien-Booms gekonnt herauszuhalten.

Zeit seines Lebens packte der 1912 in dem Provinzstädtchen Winchester in Tennessee geborene Amerikaner die Dinge ein bisschen anders an als andere. Er brachte das auf die schöne Formel: „Wollen Sie eine bessere Performance als die breite Masse, dann müssen Sie auch anders vorgehen als die breite Masse.“

In diesem Jahr wird der Fonds, in dem Templeton kompromisslos anders vorging als die breite Masse, 60 Jahre alt. Aufgelegt an Templetons 42. Geburtstag am 29. November 1954, ist der Templeton Growth heute ein Klassiker und ein Musterbeispiel dafür, wie man mit ruhiger Hand und scheinbar langweiligen Aktienanlagen den Markt schlagen kann.

In seiner Basiswährung Dollar brachte er seit seinem Start im Durchschnitt einen Gewinn von 12,5 Prozent – Jahr für Jahr.

Einem deutschen Anleger hätte der gegenüber der über viele Jahrzehnte hinweg starken D-Mark abwertende Dollar einen Teil der Entwicklung verhagelt. Übrig geblieben wären aber immer noch 10,6 Prozent.

Noch wichtiger: Treuen Anlegern wäre einiges Leid erspart geblieben. So kamen dem Chef des Investment-Dienstleisters Drescher & Cie, Björn Drescher, über die Jahre immer wieder bedauernde Sätze von Beratern zu Ohren, die den Templeton Growth früher in den Kundendepots hatten: „Wäre ich doch besser dabei geblieben, wäre nicht so vielen Modetrends gefolgt, hätte mich nicht am Markttiming versucht. Dann hätte ich heute auch mehr zufriedene Kunden.“

Die Kennnummer einer GenerationHeute hat ihn jeder zweite Anbieter von fondsgebundenen Versicherungen im Musterkoffer, 36 an der Zahl. Nur der Fidelity European Growth kommt häufiger vor.

„Der Templeton Growth ist ein Klassiker unter den Investmentfonds und im Bereich ‚weltweite Aktien‘ ein Basisinvestment mit hohem Bekanntheitsgrad“, heißt es dazu von der Alten Leipziger Lebensversicherung. „Eine ganze Generation von Beratern ist mit der Wertpapierkennnummer 971 025 so selbstverständlich groß geworden wie mit dem eigenen Geburtsdatum und der Telefonnummer“, sagt Drescher.

Die Kennnummer ist die des Original-Fonds, den der inzwischen verstorbene Finanzberater Joe Becker 1982 nach Deutschland holte. Das von Becker gegründete Beratungsunternehmen Noramco ließ ihn für den Vertrieb registrieren.

Seither konnten deutsche Anleger ihn kaufen, waren allerdings steuerlich benachteiligt. Templeton reagierte darauf 2000 mit dem Templeton Growth Euro, einer direkten Kopie des Klassikers. Inzwischen ist das Original aus dem Vertrieb verschwunden: Das neue deutsche Kapitalanlagegesetzbuch machte alles zu kompliziert.

Das Anlageprinzip des Fonds lässt sich auf ein einziges Wort reduzieren: Schnäppchenjagd. Eine Aktie konnte noch so tolle Wachstumsaussichten bieten – wenn sie zu teuer war, kaufte Templeton sie nicht.

Dabei legte er so simple Maßstäbe an wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) und das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV). Zudem betrachtete er die Gewinnaussichten für die kommenden fünf Jahre und setzte sie zum Aktienkurs ins Verhältnis. Fündig wurde er bei Titeln, von denen niemand etwas Besonderes erwartete.

Bauernhöfe kaufen, wenn keiner will

Die Erkenntnis kommt aus seiner Kindheit, als sein Vater, Harvey Templeton senior, als Anwalt in Winchester arbeitete. Anfang der 20er Jahre gingen in Tennessee viele Bauernhöfe bankrott und wurden versteigert.

Templeton senior konnte aus seinem Arbeitszimmer das Gerichtsgebäude sehen. Und wenn mal kein Bieter anwesend war, ging er kurzerhand rüber und ersteigerte komplette Höfe zu Spottpreisen. Zur Mitte des Jahrzehnts besaß er sechs Anwesen, erzählt seine Urenkelin Lauren Templeton in ihrem Buch „Die Templeton Methode“ (Finanzbuchverlag).

Harvey Templetons Sohn John lernte so, wie Pessimismus die Preise von Gütern drücken kann, obwohl sie nicht an Wert verlieren.Später kaufte er Aktien grundsätzlich für die Hälfte ihres eigentlichen Werts oder weniger.

Das umzusetzen, klingt einfacher, als es ist. Um sich gegen eine Horde enthusiastischer Börsianer zu stemmen, braucht es ein starkes Rückgrat. Und mehr als einmal muss man sich wahlweise für dumm, überholt oder unfähig erklären lassen.

Eine große Prüfung musste Templeton beispielsweise bestehen, als er den Fonds ab 1964 mit japanischen Aktien bestückte. Japan war damals ein Billiglohnland, das minderwertige Waren herstellte. Doch es war entschlossen, das durch harte Arbeit und Disziplin zu ändern.

1974 bestand fast das halbe Portfolio des Templeton Growth aus japanischen Aktien, zehn Jahre später lag die Quote nur noch bei 4 Prozent. Die Aktien waren zu teuer geworden, denn andere Investoren hatten Japans Perspektive erkannt und waren auf den Zug aufgesprungen.

Sie trieben den Aktienindex Nikkei 225 bis Ende 1989 auf ein bis heute nicht wieder erreichtes Allzeithoch von fast 39.000 Punkten, bevor der Crash kam.

Solche Zeiten sind für einen Schnäppchenjäger die härtesten. Überall muss er sich rechtfertigen, warum er nicht die tollen neuen Investmentmöglichkeiten nutzt.

Der Fonds liegt im Vergleich zum Markt zurück, weil er ja die von allen gejagten Kursraketen nicht enthält. Das wird erst besser, wenn die Spekulationsblase platzt. Dann fallen die Kartenhäuser der anderen Anleger in sich zusammen, und das aus soliden Werten gebaute Haus des Schnäppchenjägers bleibt stehen. So wird man zum Mythos.

Legendär ist zum Beispiel ein Brief vom 24. März 2000 an die Anleger des Templeton Growth. Templeton hatte sich bereits 1986 zurückgezogen und das Fondsmanagement an seinen Nachfolger Mark Holowesko übergeben. Der bezeichnete in ebenjenem Brief den Fonds stolz als „Anti-Nasdaq Fund“, weil er keinen einzigen an der US-Technologiebörse gehandelten Wert enthielt.

„Dieser Brief gehört in die Hall of Fame antizyklischer Investoren“, meint Björn Drescher heute. Bis zu diesem Tag hatte Holowesko schon reichlich verbale Prügel kassiert, weil er nicht so aussichtsreiche Werte wie Sun Microsystems, Cisco oder Lucent Technologies kaufen wollte, sondern so altbackene Titel wie ABB, General Motors oder British Steel.

Holowesko spielt Spielverderber

Im Juni 2000 tourte Holowesko durch Deutschland. Jörg Lange von der Hannoveraner Investmentberatung Petersen & Lange saß damals in Hamburg im Publikum und erinnert sich noch gut daran, wie Holowesko seinen Vortrag mit den Worten begann: „Ich bin heute hier, um Ihnen noch einmal die Risiken der Finanzmärkte vor Augen zu führen.“ Für ein Exempel hatte er sich das Netzwerk-Unternehmen Cisco ausgesucht.

Seine Präsentation bestand aus exakt einer Seite. Die zeigte links 25 Standardwerte mit einem Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) von durchschnittlich 1,0 und einem KGV von 14,8. Rechts stand nur Cisco – mit dem gleichen Börsenwert wie die 25 anderen Unternehmen zusammen, einem KUV von 36,1 und einem KGV von 213,1.

„Cisco ist ein fantastisches Unternehmen, hat aber einen lächerlichen Preis“, sagte Holowesko und kündigte an, dass 90 Prozent aller Internet-Titel 90 Prozent ihres Werts verlieren würden.

Darauf verließen die ersten Gäste mit gezückten Handys den Saal und gaben Verkaufsaufträge an ihre Aktienhändler durch, erinnert sich Jörg Lange.
Der Templeton Growth schloss die Jahre 2000 und 2001 mit Gewinn ab und erlitt 2002 ein unterdurchschnittliches Minus von rund 23 Prozent. Die Nasdaq implodierte in dieser Zeit. Der Fonds wurde zur Legende – und bekam auch gleich die Schattenseite des Ruhms zu spüren.

Etliche von Hightech enttäuschte Anleger stiegen nun im großen Stil ein und pumpten den Fonds in den Jahren bis 2007 auf das bisherige Maximalvolumen von umgerechnet 37,5 Milliarden Euro auf. Das war für einen Schnäppchenjägerfonds sehr viel, vielleicht zu viel.

Holoweskos 2001 angetretener Nachfolger Murdo Murchison versuchte zu beruhigen, indem er beteuerte, es gebe genug günstige Unternehmen. Zudem kaufe man ja nur, wenn alle Welt verkaufe und umgekehrt und dann auch noch teilweise über Monate verteilt. An dem Argument ist durchaus was dran.

Trotzdem büßte der Templeton Growth zwischen 2003 und 2011 einiges von seinem Nimbus als Basisinvestment wieder ein. Über die Gründe sind sich Marktbeobachter bis heute nicht einig. Mancher warf Murchison vor, Rohstoffwerte zu früh verkauft zu haben, was dieser in Interviews auch freimütig zugab.

Andere bemängelten, dass Murchison bei steigenden Aktienkursen plötzlich eine ungewöhnlich hohe Barquote fuhr, zum Beispiel nach einer starken Aufwärtsbewegung Ende 2001 und im Jahr 2006. Doch das kann auch das zwangsläufige Resultat der enormen Geldzuflüsse und der gestiegenen Kurse sein. Zu viel Geld bei stetig sinkender Auswahl.

Man muss auch mal dumm aussehen

So fair muss man sein: Im Grunde tat Murchison nichts anderes als sein Vor-Vorgänger Anfang der 80er Jahre: Er stieg frühzeitig aus einer sich andeutenden Spekulationsblase aus und suchte anderswo nach günstigen Alternativen. Ebenso wie einst John Templeton verpasste er damit einen großen Teil vermeintlich toller Chancen.

Nur dass das heute in einer Zeit, in der jeder fast alle Informationen im Internet findet, einfach schneller auffällt. Templetons Underperformance in den 80ern war größer und zog sich länger hin als die von Murchison.

Nur gab es noch kein Internet, in dem man sich darüber aufregen konnte. Doch Murchison wusste ja, worauf er sich einließ: „Wenn man gegen den Strom schwimmen will, muss man damit rechnen, auch mal monatelang dumm auszusehen“, kommentierte der Schotte sein Los.

Keine handwerklichen Fehler

Nach Murchisons Abschied Ende 2007 setzten Nachfolgerin Cindy Sweeting vor allem drei Dinge zu: der Kauf des später insolventen Versicherungsriesen AIG, die Übergewichtung von konjunktursensitiven Titeln kurz vor der Finanzkrise und die Abneigung von Anlegern gegen Substanzaktien.

Alles Dinge, die anderen auch passierten. Der damalige Research-Leiter von Morningstar, Werner Hedrich, bestätigte Ende 2010 in einem Kommentar, in der Arbeit von Murchison und Sweeting keine handwerklichen Fehler entdecken zu können.

Hatte also vielleicht das Anlagekonzept ausgedient? „Die magere Wertentwicklung hat viel mit der hartnäckigen Ausrichtung auf preiswerte Aktien zu tun“, vermutete das „Handelsblatt“, als Cindy Sweeting nach nur drei Jahren das Kommando abgab.

Vielleicht müsse man heutzutage doch den einen oder anderen Trend am Markt einfach mal mitnehmen. „Ein Fonds-Schwergewicht auf Abwegen“ lautete die Überschrift. Doch der Fonds war mitnichten auf einem Abweg. Die abwegigen Gedanken kamen allein vom „Handelsblatt“.

Der Anfang März 2011 angetretene Sweeting-Nachfolger Norman Boersma schert sich noch immer nicht um Trends. Zwar hat sich das Fondsvolumen seit dem Höchststand fast halbiert, doch die Performance-Zahlen sind wieder besser.

Dabei macht auch Boersma nichts anderes als seine Vorgänger. Zum Beispiel in europäische Banken einzusteigen, wenn alle Welt das für eine spinnerte Idee hält.

Was John Templeton dazu sagen würde, ist reine Spekulation. Er starb am 8. Juli 2008 auf den Bahamas, seiner Wahlheimat. Aber Boersmas Vorgehen ist definitiv in seinem Geiste. Der Altmeister drückte das so aus: „Ich werde immer wieder gefragt, wo die Aussichten am besten sind, doch das ist die falsche Frage. Die richtige Frage muss lauten: Wo sind die Aussichten am schlechtesten?“ Und das zieht seinen Fonds auch heute noch magisch an.

Von: Andreas Harms

Quelle: DAS INVESTMENT.

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