Mit etwas Wehmut erinnert sich DER-FONDS-Kolumnist Markus Stillger an Zeiten zurück, in denen Börsenregeln noch etwas galten. Doch auch wenn im Wechselspiel von Zinsen, Währungen und Rohstoffpreisen nichts mehr so scheint, wie es einmal war: Eine Eigenschaft ist seiner Meinung nach immer noch Gold wert.
Als ich Mitte der 80er Jahre während meines BWL-Studiums meine ersten Schritte als Aktien-Kleinsparer unternahm, gab es drei Börsenregeln, die jeder Bank-Azubi, wenn man ihn nachts um drei Uhr weckte, im Halbschlaf herunter beten konnte. Erstens: Fallende Zinsen sind gut für die Börse, steigende Zinsen sind Gift. Zweitens: Ein steigender Dollar ist ebenfalls gut, ein fallender Dollar schlecht. Und drittens: Fällt der Ölpreis, steigt die Börse und umgekehrt.
Ein paar Jahre später machte ich dann meine ersten Gehversuche als Vermögensberater. Zehn Jahre vor dem Börsengang der Deutschen Telekom war es eine echte Missionarsaufgabe, Investmentfonds unter das breite Volk zu bringen. Von Anfang an faszinierte mich dabei die Möglichkeit, dass man sich auch mit Mini-Beträgen von 50 Mark im Monat an einem breit gestreuten, von Profis gemanagten Aktienportfolio beteiligen konnte.
Damals gab mir ein erfahrener Senior-Manager der Dresdner-Bank-Tochter DIT den Rat: „Junger Mann, wenn Sie Ihren Kunden eine Kombination aus 70 Prozent Deutscher Rentenfonds und 30 Prozent Concentra verkaufen, können Sie nachts immer ruhig schlafen und haben auf Dauer hochzufriedene Kunden.“
30 Jahre später lässt sich kurz und knapp resümieren: Der Mann hat Recht gehabt. Wer in den vergangenen 30 Jahren 200 Euro monatlich in der entsprechenden Gewichtung investiert hat, kann heute auf ein Guthaben von über 221.000 Euro verfügen. Selbst unter Berücksichtigung eines Ausgabeaufschlags von 5 beziehungsweise 2,5 Prozent hat der Anleger mit einer Rendite von knapp über 6,5 Prozent pro Jahr ein Ergebnis erzielt, das nur von einer Strategie übertroffen wurde: nämlich 100 Prozent in Aktien. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass der 100-Prozent-Aktien-Sparer in den vergangenen 30 Jahren mindestens fünfmal das nassgeschwitzte Hemd – und 2008 wahrscheinlich auch die Unterhose – wechseln musste.
Eine wahre Herkulesaufgabe steht uns allerdings bevor, wenn dieser Kunde jetzt Folgendes sagt: „30 Jahre lang habe ich nun für meine Altersversorgung gespart – jetzt möchte ich mit diesem Guthaben meine monatliche Rente aufbessern.“
Im Gegensatz zur Situation in den vergangenen 30 Jahren ist die Basisverzinsung von durchschnittlich 5 Prozent auf der Rentenseite seit gut zwei Jahren nämlich ersatzlos gestrichen, und wer das kleine Einmaleins der Rentenanlage beherrscht, weiß, dass ich bei einer Grundverzinsung von null Prozent mit Zinspapieren keinen guten Deal mache. Spätestens im Jahr 2016 werden die Rentenfondsanleger hier auf dem Boden der Tatsachen landen. Von daher gilt der alte Spruch von André Kostolany „Wer gut schlafen will, kauft Renten und wer gut essen will, kauft Aktien“ nur noch bedingt
Trotzdem sehe ich in der aktuellen Situation die beste aller Welten. An alle drei eingangs erwähnten Regeln – Zinsen tief, Dollar stark, Ölpreis im Keller – kann man nämlich momentan einen dicken grünen Haken machen. Das war in den vergangenen 30 Jahren äußerst selten der Fall. Zudem liegt die Dividendenrendite der großen deutschen Aktiengesellschaften momentan um ein Vielfaches über der Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen.
Viele Anleger sehen es jedoch ganz anders: Plötzlich scheint zum Beispiel ein fallender Ölpreis die Börse zu belasten – und es soll tatsächlich Marktteilnehmer geben, die auf einen Zinsanstieg hoffen. Wer solche Kommentare von sich gibt, hat in meinen Augen an der Börse nichts zu suchen und in den Medien schon gar nicht!
Trotz allem Optimismus halte ich aber den Ausspruch „Dividende ist der neue Zins“ für eines der gefährlichsten Argumente, mit dem je für einen Einstieg in Aktien geworben wurde. Dividenden sind keine Zinsen. Dividenden sind nicht garantiert und vor allem habe ich bei Aktien – im Gegensatz zu Anleihen – keinen bedingten Rückzahlungsanspruch. Was nützt mir eine Dividende von 50 Cent, wenn die zugrundeliegende Aktie dann von 20 auf 10 Euro abschmiert? RWE und Eon lassen grüßen.
Mit dem Argument „Dividende ist der neue Zins“ werden Anleger in Aktien gelockt, denen möglicherweise die wichtigste Eigenschaft des erfolgreichen Anlegers fehlt, nämlich die sogenannte Volatilitäts-Toleranz. Das Wort-Ungetüm steht für die Eigenschaft, zwischenzeitliche Kursverluste ganz entspannt mit der linken Arschbacke auszusitzen. Wer diese Geduld hat, dem prophezeie ich goldene Zeiten.
Selten war das Umfeld für Aktien so günstig wie zurzeit, aber es war auch noch nie so schwer, kurzfristige Prognosen abzugeben. Von daher habe ich mir eine Prognose für 2016 verkniffen und stattdessen die Devise „25.000 DAX-Punkte im Jahr 2025“ ausgeben. Das hat den Vorteil, dass ich dieses Kursziel nicht schon nach fünf Börsentagen im neuen Jahr korrigieren muss. Und der Druck hinten links wird wohl im Verlauf des ersten Quartals nachlassen.
Dem künftigen Rentner empfehle ich heute: Drehen Sie die Gewichtung einfach um und wechseln Sie die dann 30 Prozent Renten gegen Cash beziehungsweise Liquidität aus. Und vergessen Sie nicht, nach guten Börsenjahren auch einmal eine Kleinigkeit vom Aktienkonto abzuheben und sich etwas zu gönnen – Kostolany hätte das genauso gemacht.
Über den Autor: Markus Stillger ist Gründer und Inhaber der Stillger & Stahl Vermögensberatung und der MB Fund Advisory in Limburg an der Lahn. Für DER FONDS kommentiert er an dieser Stelle ab sofort jeden Monat aktuelle Trends an den Kapitalmärkten und stellt ihnen seine eigene Weltsicht entgegen.
Von: Markus Stillger
Quelle: DAS INVESTMENT.