Das Investment: Hüfners Wochenkommentar: Trendwende oder Chimäre?

sjb_werbung_das_investment_300_200 SJB | Korschenbroich 01.12.2014. Die Schuldenquote geht in Deutschland zurück. Das ist jedoch nicht Ausdruck einer soliden Finanzpolitik. Warum sich die öffentlichen Finanzen bei steigenden Zinsen und/oder einer schwächeren Konjunktur schnell wieder verschlechtern können, erklärt Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management.

Jeder weiß, dass der Staat seine Schulden nicht zurückzahlt. Wenn die Kredite an die öffentliche Hand ein bestimmtes Niveau erreicht haben, dann verharren sie entweder auf dem erreichten Stand oder steigen weiter an. Verringern tun sie sich nach aller Lebenserfahrung nicht. So lautet die allgemeine Meinung. So ganz richtig ist sie freilich nicht. Es ist vielmehr eine der typischen Geldfallen, die plausibel erscheinen, in Wirklichkeit aber so nicht richtig sind.

Ich habe in meinem neuen Buch viele andere solcher Geldfallen beschrieben. Richtig ist: Die einzelnen Schuldtitel – etwa Anleihen – werden unter normalen Bedingungen hinsichtlich Zins und Tilgungen jeweils ordentlich bedient. Der Staat nimmt dafür dann neue Kredite auf. Nur bei einem Staatsbankrott ist das nicht der Fall. Der kommt freilich öfter vor als man denkt.

Auch die Schuldenquote ist schon häufiger zurückgekommen. Die Schuldenquote ist die Relation der öffentlichen Schulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Die USA beispielsweise hatten nach dem Zweiten Weltkrieg einen Schuldenstand von 120 Prozent des BIP. 40 Jahre später betrug er nur noch 30 Prozent. In Großbritannien sind die Schulden gemessen am BIP in dieser Zeit ebenfalls deutlich herunter gekommen.

Das lag freilich weniger an einer sparsamen Haushaltspolitik. Entscheidend waren vielmehr, dass das Sozialprodukt kräftig zunahm, dass die Inflationsrate relativ hoch war und dass die Zinsen durch staatliche Eingriffe gedeckelt worden waren. Das waren alles Bedingungen, die heute nicht mehr so gelten.

Umso mehr war ich überrascht zu sehen, wie sich die Schuldenquote in den letzten Jahren in Deutschland verringert hat (siehe Grafik). Die gesamten Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand waren in der Finanzkrise 2008 bis 2010 von 65 Prozent auf über 80 Prozent des BIP hochgeschnellt. Seitdem aber geht die Quote zurück. Nach den Schätzungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird sie in diesem Jahr nur noch 74,1 Prozent betragen, im nächsten Jahr nur noch 72 Prozent. Das ist ein deutlicher Schritt in Richtung auf das 60 Prozent-Kriterium des Maastricht-Vertrages, das viele in den letzten Jahren als nie mehr erreichbar ansahen.

Was steckt dahinter? Wirtschaftet der Staat doch besser als wir denken? Immerhin hat es die öffentliche Hand in Deutschland in den letzten Jahren geschafft, die Haushaltsdefizite, die sich 2010 auf 105 Milliarden Euro belaufen hatten, auf eine “Schwarze Null” zu reduzieren. Das ist eine Leistung, die nicht viele andere Staaten hinbekommen haben.

Zur Verringerung der Schuldenquote reicht dies freilich nicht aus. Dazu muss der Staat nicht nur keine Defizite mehr machen. Er muss Überschüsse erwirtschaften. Nur dann kann er die aufgenommenen Kredite zurückzahlen. Das liegt im Augenblick noch in weiter Ferne.

Dass die Schuldenquote von 2010 bis 2015 trotzdem zurückgeht, liegt an zwei Dingen. Zum einen hat sich das Bruttoinlandsprodukt um fast 400 Milliarden Euro erhöht. Damit wird der Nenner größer und die Schuldenquote verringert sich. Das war der wichtigste Effekt. Selbst wenn der Staat also keine Kredite zurückzahlt, geht die Schuldenquote allein durch das Wirtschaftswachstum zurück.

Zum anderen aber sind auch die Verbindlichkeiten des Staates kleiner geworden, und zwar um 73 Milliarden Euro. Das ist zwar nicht so groß wie der Wachstumseffekt. Aber immerhin trägt auch dies zu rund einem Fünftel zur Verbesserung der Schuldenquote bei. Das ist überraschend. Die Verbindlichkeiten des Gesamtstaats gehen zurück, obwohl er in seinen laufenden Ausgaben und Einnahmen keinen nennenswerten Überschuss erwirtschaftet.

Der Grund liegt in den Spätfolgen der Finanzkrise. Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 hatte der Staat faule Kredite einzelner Banken (unter anderem der Hypo Real Estate) in seine Bücher genommen. Dadurch sollten die Institute vor der Insolvenz gerettet werden. Diese Kredite wurden in “Bad Banks” ausgegliedert. Sie werden jetzt Stück für Stück abgewickelt. Dadurch verringern sich die Verbindlichkeiten des Staates.

Das ist aber kein Zeichen finanzpolitischer Solidität. Es ist lediglich Ausdruck, dass die Aufräumarbeiten nach der Finanzkrise vorankommen. Die Situation im Bankensektor hat sich gebessert. Der Staat zieht sich aus seiner Hilfsfunktion zurück. Der Prozess wird noch einige Jahre weitergehen. Die FMS Wertmanagement, in der sich die Portfolien der Hypo Real Estate befinden, hatte Ende letzten Jahres noch ein Portfolio von 119 Milliarden Euro. In der Spitze waren es 176 Milliarden Euro.

Für den Anleger

Freuen Sie sich über die Verbesserung in den öffentlichen Finanzen. Das ist ein gutes Zeichen. Gehen Sie aber nicht davon aus, dass wir jetzt schon wieder solide Verhältnisse erreicht hätten. Zum einen ist der Schuldenstand im kommenden Jahr mit 72 Prozent immer noch sehr hoch. Zum anderen ist der erreichte Stand noch fragil. Jede Zinserhöhung oder Verschlechterung der Konjunktur kann schnell wieder zu steigenden Schuldenquoten führen. In den letzten 25 Jahren gab es schon häufiger Verbesserungen beim Schuldenstand. Sie waren jedoch nur kurzlebig.

Von: Martin Hüfner

Quelle: DAS INVESTMENT.

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