Das Investment: Wie Großbritannien den EU-Ausstieg versemmelt

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Großbritannien steuert mit Volldampf auf einen Chaos-Brexit zu. Und der bedroht viele Arbeitsplätze auf der Insel und kann für alle Beteiligten teuer werden. Die Aktienfonds spiegeln das schon jetzt wider. Zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien und ein Dreivierteljahr vor dem Inkrafttreten der Scheidung von UK und EU biegen die Verhandler auf die Zielgerade ein. Dabei scheinen aufseiten der Briten selbst grundlegende Fragen nach wie vor ungeklärt. Das zeigte sich zum wiederholten Mal im Juli, als die britische Premierministerin Theresa May einen herben Doppelschlag einstecken musste. Aus Protest gegen ihren aktuellen Brexit-Kurs traten innerhalb nur weniger Stunden gleich zwei wichtige Minister zurück und stürzten die schon in der Vergangenheit beim Thema Brexit nicht immer glücklich handelnde Regierung in die nächste Krise. Erst verzichtete Brexit-Minister David Davies unter dem Beifall der Hardliner in der Konservativen Partei auf seinen Posten, dann Außenminister Boris Johnson. Beide gelten als Befürworter eines harten Brexit, der die Insel klar von der europäischen Gemeinschaft trennt. In seiner letzten Kabinettsklausur soll Johnson Mays Pläne als „Scheißhaufen“ bezeichnet haben.

„Fuck Business“

In der Öffentlichkeit lief es kaum besser: Obwohl Johnson für seine Ausfälle und Extratouren berüchtigt ist, hat er es noch kurz vor seinem Rücktritt geschafft, insbesondere britische Unternehmer gegen sich aufzubringen. Auf einem Empfang des Außenministeriums zum Geburtstag von Queen Elizabeth II. hat der konservative Polit-Profi klar gemacht, welche Nebenrolle Beschäftigung und Wirtschaft für ihn spielen. Angesprochen auf die Ängste, der Brexit könnte Großbritanniens Industrie schädigen und viele Arbeitsplätze vernichten, antwortete Johnson Berichten zufolge nur knapp: „Fuck Business.“ Zurückhaltend übersetzt bedeutet das ungefähr: „Die Wirtschaft spielt keine Rolle.“

Das Tischtuch zwischen Johnson und den Unternehmenschefs war schon länger zerschnitten, da die meisten Wirtschaftskapitäne sich ohnehin nicht mit einem harten Abschied von der Europäischen Union anfreunden können. Je wahrscheinlicher nun ein ungeordneter Austritt wird, desto blanker liegen die Nerven in den Chefetagen.

Quelle: Morningstar

Keine neun Monate mehr vor dem Brexit am 29. März 2019 hat May es immerhin geschafft, den Aufstand der Hardliner in ihrer Partei niederzuschlagen. Schnell präsentierte die Regierungschefin Nachfolger für Davies und Johnson. Gesundheitsminister Jeremy Hunt übernahm den Posten des Außenministers, Wohnungsbau-Staatsekretär Dominic Raab den des Brexit-Ministers. Beide Politiker gelten im Gegensatz zu ihren Vorgängern als gemäßigt und liberal. Einem Abkommen mit der EU bringt die Personalrochade die Briten allerdings noch nicht näher. Ein Vertrag über den Austritt müsste spätestens im Herbst stehen, damit die Parlamente ihn noch rechtzeitig ratifizieren können.

May will den richtigen Deal abschließen

Ungeachtet der Rücktritte verteidigt May standhaft ihre Brexit-Pläne, die sie im Juli nach langem Zögern in einem sogenannten Weißbuch vorstellte. Die Premierministerin will künftig weniger Zuwanderer vom Kontinent aufnehmen, aber zugleich einen Zugang zum Binnenmarkt bewahren. Insbesondere der Handel soll ohne Hindernisse weitergehen. Sie wolle weiterhin enge Beziehungen zur EU pflegen, Arbeitsplätze schützen und das Beste für die Bevölkerung erreichen, sagte May im Parlament: „Es ist der richtige Deal für Großbritannien.“

Den braucht es wohl auch, denn bislang wirkt das Referendum vom 23. Juni 2016 wie ein wirtschaftlicher Bremsklotz. Seitdem hinken die Aktienkurse der großen Konzerne auf der Insel ihren europäischen Wettbewerbern weit hinterher. Diese haben in den zwei Jahren mehr als doppelt so viel an Wert gewonnen.

Der bevorstehende Abschied aus der EU belastet zudem das Britische Pfund, was den Bürgern höhere Kosten beschert, aber angesichts einer übersichtlichen Exportindustrie wenig Vorteil bringt. Im Gegenteil: Die in Manchester ansässige Modemarke Bench etwa meldete im Mai Insolvenz an und führte als wesentlichen Grund die abwertende Währung an.

Dafür soll der EU-Abschied „enorme jährliche Beiträge“ zum gemeinsamen Haushalt einsparen, wie May in ihrem Weißbuch schreibt. Auch daran zweifeln allerdings Experten. Die Analysten der Commerzbank haben ausgerechnet, dass Großbritannien für seine EU-Mitgliedschaft bislang nur rund zwei Drittel der Kosten stemmen muss, die Norwegen für sein Assoziierungsabkommen mit der Gemeinschaft entrichtet.

Aktuellen Studien zufolge drohen den Unternehmen in der EU und in Großbritannien durch Zölle und andere Handelshemmnisse unmittelbare Zusatzkosten von 69 Milliarden Euro jährlich, sollte es zu einem Chaos-Brexit kommen. Die Wirtschaft auf der Insel tritt auf der Stelle, im ersten Quartal ging es lediglich 0,1 Prozent aufwärts. Ohne Brexit-Abkommen könne es sogar zu Unruhen und Aufständen kommen, warnte bereits Amazons Großbritannien-Chef Doug Gurr laut „Times“ bei einem Treffen mit der Regierung. Dass EU-Chefunterhändler Michel Barnier Mays Weißbuch in weiten Teilen umgehend ablehnte, macht den Ausblick nicht rosiger.

Von: Marc Radke

Quelle: Das Investment

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