Der Einzelhandel in Europa wandelt sich und wird durch Online-Handel und Demographie herausgefordert. Aber dennoch bietet der Retail-Sektor des Immobilienmarktes attraktive Investmentmöglichkeiten.
Ein Gastbeitrag von Ian Kelley, Fund Director Europe und Head of France bei BMO Real Estate Partners, und Iris Schöberl, Managing Director bei BMO Real Estate Partners
Die Einschätzungen zu Lage und Perspektiven von Einzelhandelsimmobilien-Investments vermitteln ein durchaus buntes Bild.
Da ist von Rekordinvestitionen und anhaltend hoher Nachfrage nationaler und internationaler Anleger nach Retail-Objekten die Rede.
Häufig im gleichen Atemzug folgt dann der Hinweis auf verknappte Renditen und die Sorge vor möglichen Preisblasen. Nachrichten wie, dass in Deutschland innerhalb der kommenden fünf Jahre etwa zehn Prozent aller Ladengeschäfte schließen werden, stehen Berichte über einen harten Wettbewerb potenzieller Mieter um freie Flächen in den zentralen Einkaufsstraßen der Städte gegenüber.
Ein klares Ja
Wohin entwickeln sich die Einzelhandelsimmobilienmärkte? Und sind Investoren noch gut beraten, sich hier zu engagieren? Wir beantworten diese Frage mit einem klaren Ja. Im ersten Halbjahr 2015 flossen laut Maklerangaben in Deutschland rund 9,8 Milliarden Euro in Retail-Immobilien; das war gut ein Drittel mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres und entspricht rund 40 Prozent des gesamten Volumens an Investments in deutschen Gewerbeimmobilien in der ersten Jahreshälfte 2015. In anderen europäischen Ländern sieht es ähnlich aus.
Für ein Investment in die Asset-Klasse sprechen nicht nur die Rahmenbedingungen mit günstigen Finanzierungskosten und einem Mangel an renditestarken Alternativen. Auch die Vermietungssituation für Einzelhandelsflächen ist grundsätzlich positiv, sofern die Qualität und vor allem die Lage stimmen.
Nicht nur die Großstadt
Dabei fokussiert sich die Nachfrage keineswegs ausschließlich auf die großen Städte. Für Markenanbieter, die etwa eine flächendeckende Präsenz im deutschen Markt erreichen möchten, führt an einer Präsenz in Mittel- und kleineren Großstädten kein Weg vorbei. Denn mehr als vier Fünftel der Umsätze im stationären Einzelhandel werden in Standorten außerhalb der Top-Ten-Städte erzielt. In Deutschland gibt es fast 80 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, viele von ihnen sind bedeutende Zentren für ihre jeweilige Region und verfügen über eine hohe einzelhandelsrelevante Kaufkraft. In Großbritannien sind kleinere Universitäts- und Städte mit touristisch attraktiven Sehenswürdigkeiten eine Alternative zum Hochpreismarkt Central London.
Bei den Expansionsmanagern von Markenanbietern und Handelsunternehmen stehen in Deutschland daher Städte wie Münster, Darmstadt oder Straubing auf dem Radar. Ihre Nachfrage sorgt für eine gute Vermietbarkeit und damit für stabile laufende Erträge. Das gilt für Handelsimmobilien in innerstädtischen Geschäftslagen, aber auch für Fachmarktzentren in Top-Lagen.
Faktoren für langfristige Vermietbarkeit
So unterschiedlich beide Formate auf den ersten Blick sein mögen, haben sie doch zwei Dinge gemeinsam, die für die langfristige Vermietbarkeit entscheidend sind: Erstens ist das Angebot begrenzt und nicht beliebig zu erweitern. Was sich bei innerstädtischen Einkaufsstraßen aus dem beschränkten Platzangebot und der oft historisch gewachsenen Bausubstanz ergibt, resultiert bei Fachmarktzentren aus der restriktiven Genehmigungspraxis der Behörden.
Zweitens sind beide Immobilienarten weniger stark durch den Anstieg des Online-Handels bedroht. Fachmarktzentren in integrierter Lage erfüllen eine wichtige Funktion in der Nahversorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs, bei denen der Anteil des Online-Handels noch vergleichsweise gering ist. Läden an Top-Standorten spielen für internationale Anbieter eine wichtige Rolle in der Inszenierung und Pflege der eigenen Marke. Die Tatsache, dass ein zunehmender Anteil der Internetnutzer mobil surft, ist hierbei für die Händler in der Innenstadt sogar eher ein Vorteil. So bietet die sogenannte Beacon-Technologie, der Einsatz von Minisendern, die bei Smartphones auch in geschlossenen Räumen eine Navigation ermöglichen, etwa die Möglichkeit, Passanten über personalisierte Botschaften auf dem Smartphone in den eigenen Laden und dort gezielt zu beworbenen Produkten zu führen.
Paris, London, Madrid
Noch stärker wirkt sich der Attraktivitätsfaktor auf das Spitzensegment aus, also Ladenlokale in den Top-Einkaufsstraßen europäischer Metropolen. Der Städtetourismus boomt und der Shopping-Bummel gehört für die meisten zu einem Wochenende in Paris, London oder Madrid dazu. Entsprechend gefragt sind Flächen an der Oxford Street oder den Champs-Élysées bei Luxus- und Markenanbietern. Die Vermietungsmärkte an solchen Spitzenstandorten entwickeln sich daher nahezu vollkommen unabhängig von der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Lage. Das macht sie insbesondere für Investoren interessant, für die Wertstabilität und verlässliche Ausschüttungen vordringlich sind.
Der Zugang zu Objekten am jeweiligen Top-Standort funktioniert nur über sehr gute Kontakte zu den oft lokalen Marktakteuren. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Champs-Élysées kaum vom Prinzipalmarkt in Münster oder von Top-Adressen in anderen mittelgroßen Städten. Denn Immobilien in Top-Lagen werden hier wie dort in aller Regel „off-market“ und nicht über öffentliche Plattformen gehandelt. Die größte Hürde besteht darin, die Eigentümer ausfindig zu machen und überhaupt Verkaufsbereitschaft zu wecken. Vor allem Letzteres funktioniert nur, wenn zum potenziellen Verkäufer ein Vertrauensverhältnis besteht.
Immer noch lokal geprägt
Insgesamt sind die Immobilieninvestmentmärkte trotz des steigenden Engagements internationaler Anleger immer noch sehr lokal geprägt. Das gilt für Deutschland ebenso wie für Frankreich oder Spanien. Selbst beim sehr offenen Immobilienmarkt in Großbritannien entfällt auf die heimischen Akteure der Großteil des Transaktionsvolumens. Gleichzeitig wächst aber unter vielen institutionellen Anlegern das Interesse, ihre Immobilieninvestitionen über verschiedene Länder zu diversifizieren.
Unser Fonds deckt mit seinem Fokus auf exquisite Objekte in den Top-Lagen europäischer Metropolen einen attraktiven Sektor des Einzelhandelssegments ab. Doch auch weniger glamouröse Fachmarktzentren oder Einzelhandelsobjekte in Städten aus der zweiten oder dritten Reihe bieten interessante Chancen. Der Markt entwickelt sich jedoch dynamisch und wer dauerhaft erfolgreich sein will, muss Vernetzung vor Ort mit Handelskompetenz verbinden.
Der hier veröffentlichte Beitrag entstammt dem ersten Jahrbuch der HANSAINVEST Hanseatische Investment-GmbH. Darin äußern sich Experten zu Themen, welche die Finanzbranche und die Gesellschaft bewegen. In den kommenden Wochen veröffentlichten wir auf DAS INVESTMENT eine Auswahl von Beiträgen aus dieser Publikation. Lesen Sie darin Erkenntnisse und Wissenswertes aus den Bereichen „Branche und Wirtschaft“, „Portfolio“ und „Öffentlichkeit“. An dieser Stelle ein herzliches Danke an die Autoren und die Initiatoren dieses Sammelwerkes. Das vollständige Jahrbuch in gedruckter Form können interessierte Leser kostenfrei unter der folgenden E-Mail Adresse anfordern: dirk.wechmann@hansainvest.de.
Von: Iris Schöberl, Ian Kelley
Quelle: DAS INVESTMENT.